© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/01 02. November 2001

 
Das Eigentum ist kein geschütztes Gut mehr
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt am 8. März 2001 faktisch eine Rechtsnormenumkehr
Thomas Gertner

In seinem Beschluß vom 8. März 2001 (3 B 154.00) hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) ausgeführt, daß auch rechtsunwirksame Enteignungen zum Eigentumsverlust führen. Damit hat das BVerwG einen Rechtssatz aufgestellt, der jedem zivilisierten Rechtsstaat fremd ist.

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Vortrag des Beschwerdeführers bestätigt, daß die Enteignung, die sein Vater durch die Vertreibung aus seiner Neubauernstelle erlitten hat, von dem damaligen Besatzungsrecht nicht getragen worden ist. Die Rechtsanwendung durch die verantwortliche deutsche Behörde sei derart willkürlich gewesen, daß man die Enteignung unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten als rechtsunwirksam ansehen müsse. Das freilich bedeute nicht, daß das Eigentum des Neubauern die Jahre der SED-Herrschaft überdauert habe. Ungeachtet der Rechtsunwirksamkeit der damaligen Enteignungen sei das Eigentum verlorengegangen. Folgerichtig benötigen die Betroffenen einen Anspruch auf Restitution, der aber gemäß Paragraph 1 Abs. 8a Vermögensgesetz ausgeschlossen ist. Die Hoffnung, das BVerwG repariere diesen höchst bedenklichen und für einen zivilisierten Rechtsstaat geradezu einmaligen Rechtsbruch, wurde in Rekordzeit zerstört. Nach einer Bearbeitungszeit von nicht einmal zwei Wochen lehnte das Bundesverwaltungsgericht die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ab mit der Begründung, die gerügten Grundrechtsverletzungen seien „nicht ersichtlich“. Wenn das Bundesverwaltungsgericht zumindest zugunsten des Beschwerdeführers unterstellt hat, daß die Enteignung rechtsunwirksam war, durfte es nicht von einem Eigentumsverlust ausgehen. Das ist eine eklatante Mißachtung des in Deutschland wie allgemein in Kontinentaleuropa seit Jahrzehnten geltenden Territorialprinzips. Dieses besagt, daß die unter einer fremden Rechtsordnung vorgenommene Enteignung von anderen Staaten grundsätzlich hingenommen wird, soweit die Enteignung das im Zeitpunkt des Zugriffs auf dem Gebiet des enteignenden Staates belegende Vermögen erfaßt und der enteignende Staat sich dabei an die Grenzen seiner Macht, also seiner eigenen Rechtsordnung gehalten hat. Eine faktische Enteignung mag zwar grundsätzlich denkbar sein, führt aber niemals zu einem Eigentums-, sondern allenfalls zum Verlust der mit dem Eigentum typischerweise verbundenen Rechte wie Besitz und Vermögensmacht. Im Einigungsvertrag haben die beiden deutschen Staaten sogar den Fortbestand des Territorialprinzips ausdrücklich geregelt. Art. 19 Satz 3 enthält die klare Aussage, daß bei Verwaltungsakten, die deutsche Verwaltungsbehörden vor Gründung der DDR erlassen haben, aufgrund unserer Rechtsordnung zu prüfen ist, ob diese bestandskräftig sind. Ein rechtsunwirksamer Verwaltungsakt kann niemals der Bestandskraft fähig sein (Paragraph 44 des Verwaltungsverfahrensgesetzes).

Die deutschen Gerichte sind also zu der Prüfung nicht nur befugt, sondern auch verpflichtet, ob der Hoheitsakt eines ausländischen Staates durch dessen Recht gedeckt ist. Die auf den Eigentumsentzug gerichtete Enteignung ist ein feststehender Rechtsbegriff und nicht gleichzusetzen mit einer bloßen Wegnahme im Sinne einer Besitzentziehung, also eine auf den Besitzentzug beschränkte Enteignung.

Festzuhalten ist, daß das Bundesverwaltungsgericht tradierte Rechtsgrundsätze mißachtet hat, indem Eingriffe in das Eigentum trotz Rechtsunwirksamkeit als wirksam erachtet werden und ein wirksamer Eigentumsentzug angenommen wird. Da das Gericht auf diese Problematik, insbesondere die Bedeutung des Territorialprinzips, von dem Beschwerdeführer wiederholt hingewiesen worden ist, hat es bewußt das geltende Recht mißachtet. Zu Ende gedacht, bedeuten die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts nämlich, daß auch der Dieb Eigentum erlangt; denn auch sein Handeln ist darauf gerichtet, den Berechtigten vollständig und endgültig aus seinem Eigentum zu verdrängen.

Welcher ausländische Investor wird bei einer solchen Mißachtung des Eigentums und derartiger Unsicherheit, wie sie in keinem Staat des ehemaligen Ostblocks größer sein kann, noch bereit sein, ein unternehmerisches Risiko einzugehen? Ist am Ende die Bundesrepublik Deutschland durch den Einigungsprozeß als Staat untergegangen und lebt in der ehemaligen DDR fort? War also die deutsche Einigung nur ein Etikettenschwindel gewesen?

 

Dr. Thomas Gertner ist Rechtsanwalt in Koblenz.


 
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