© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/01 02. November 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Athener Zwiespalt
Carl Gustaf Ströhm

Seit dem 11. September ist nicht nur die politisch-ideologische, sondern auch die religiöse Landkarte kräftig durcheinandergeraten. Hohe katholische Geistliche vertreten das Recht Amerikas, sich auch militärisch gegen den Terrorismus zu wehren. Eher pazifistisch gestimmte, protestantische Würdenträger setzen sich zumindest für eine Feuerpause ein.

Alle sind sich nur in einem Punkt einig: das es keinen Krieg zwischen den Religionen und schon gar nicht einen Krieg des Westens gegen den Islam geben darf, obwohl- zur Zeit jedenfalls - die Angriffsopfer allesamt Muslims sind (vielleicht irregeleitete, aber immerhin), während die kämpfende und bombardierende Truppe - derzeit Amerikaner und einige symbolische Briten - sich jedenfalls aus Nicht-Muslimen (zumindest der Abstammung nach aus Christenmenschen) rekrutiert. Bei diesem Zusammenprall blieb eine weitere Weltreligion zunächst schweigsam: die Orthodoxie beziehungsweise „Ostkirche“. Sie steht auf eigentümliche Weise zwischen den Fronten.

Der Zufall (oder war es gar doch Gottes Fügung) wollte es, daß sich das Oberhaupt der orthodoxen Kirchen Griechenlands, der Athener Erzbischof Christodoulos, zum Zeitpunkt des Anschlages auf die WTC-Türme und das Pentagon zu einem offiziellen Besuch in Jugoslawien aufhielt. Christodoulos besuchte vom 7. bis 13. September die Vojvodina-Hauptstadt Novi Sad (Neusatz), einst Zentrum des Serbentums im Habsburger-Reich.

Er war Gast des als besonders national-serbisch denkenden dortigen Bischofs Irinej Bulovic. Das geistliche Oberhaupt der griechischen Orthodoxie bezeichnete in Novi Sad, wo die Trümmer der von den Amerikanern zerbombten Donaubrücke noch aus dem Strom ragen, den Kosovo-Krieg der Nato und die Militäraktionen gegen das inzwischen gestürzte Regime Milosevic als, „Verbrechen an unseren orthodoxen serbischen Brüdern“. Bei einem feierlichen Gottesdienst gemeinsam mit dem serbisch-orthodoxen Patriarchen Pavle in der Kathedrale von Belgrad bekräftigte Erzbischof Christodoulos seine Verurteilung der Nato.

Obwohl die Haltung der Griechen, welche schon seit Beginn des Balkan-Konflikts die Serben als „Brüder“ im Glauben bezeichnen, an sich nicht neu ist, wirft sie doch einige delikate Fragen auf. Griechenland ist immerhin Nato- und EU- Mitglied. Da anzunehmen ist, daß der Athener Erzbischof gelegentlich auch griechische Soldaten besucht und militärische Gottesdienste abhält, entsteht eine überaus seltsame Situation: Das geistliche Oberhaupt der Griechen bezeichnet die Verbündeten Griechenlands als Verbrecher - und stellt sich auf die Seite der Gegner der Nato, der Griechenland angehört. Was bleibt da von der vielzitierten westlichen „Wertegemeinschaft“?

Blicken wir weiter nach Norden, nach Moskau, so entsteht auch dort eine neue Situation: auch der Moskauer orthodoxe Patriarch verurteilte die Nato-Angriffe auf die orthodoxen Brüder in Serbien. Allerdings - gleichzeitig billigte (und billigt) das Moskauer Patriarchat den Kampf des Präsidenten Putin und der russischen Armee gegen die „tschetschenischen Terroristen“. Folglich müßte die russisch-orthodoxe Kirche die US- Bombenangriffe auf die Taliban in Afghanistan gutheißen, wenn man den innenrussischen Maßstab, oder verurteilen, wenn man den serbischen zugrunde legt.

Die Orthodoxie - genauer gesagt: ein beträchtlicher Teil von ihr - hat sowohl offene Rechnungen mit dem Islam als auch mit dem Westen. Der Papst jedenfalls wird Moskaus goldene Türme nicht so schnell zu Gesicht bekommen.


 
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