© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/01 02. November 2001


Islam auf dem Boden der Republik
Frankreich: Komitee der muslimischen Religion geplant / Kirchenrechtlicher Sonderfall Elsaß
Charles Brant

Im Elsaß wird dieses Jahr das zweihundertjährige Bestehen des Konkordats gefeiert. Gleichzeitig wird eine Bestandsaufnahme der Schwierigkeiten fällig, welche die Präsenz einer muslimischen Bevölkerung mit sich bringt, deren Sprecher die Errichtung von Gebetsstätten sowie die Gleichbehandlung ihrer Religion mit den Juden und Christen fordern. Für ganz Frankreich soll ein „Französisches Komitee der muslimischen Religion“ eingerichtet werden.

Die Bischöfe der Straßburger Diözese werden wie die der Metzer auf Vorschlag des Heiligen Stuhls per Dekret ernannt. Im Elsaß sowie im Departement Moselle regelt das Konkordat von 1801, das von Napoleon und Papst Pius VII. unterzeichnet wurde, die Beziehungen zwischen dem Staat und der katholischen Kirche. Für die protestantischen Kirchen und die jüdischen Gemeinden gelten die „Organischen Artikel“, die in derselben Epoche festgeschrieben wurden.

Elsaß und der deutschsprachige Teil Lothringens feiern das zweihundertjährige Bestehen des Konkordats mit Kolloquien und Veröffentlichungen. Aus den Regelungen des Konkordats und den „Organischen Artikeln“ resultiert die friedliche Koexistenz zwischen staatlichen Institutionen, Zivilgesellschaft und den betreffenden Glaubensbekenntnissen. Konkret bedeutet das, daß in den Schulen Religionsunterricht erteilt wird, daß der Klerus aus staatlichen Mitteln bezahlt wird, daß in Straßburg ein Büro der Konfessionen besteht, das für die Verwaltung kirchlicher Personalangelegenheiten zuständig ist.

Kirche und Staat sind in Frankreich seit 1905 getrennt. Da das Elsaß und das heutige lothringische Departement Moselle damals zu Deutschland gehörten, behielt das Konkordat von 1801 für diese Gebiete seine Gültigkeit. Als sie 1918 mit dem Versailler Vertrag an Frankreich gingen, blieb diese Regelung weiterhin bestehen. Obwohl die Linke, die weder der Kirche noch regionalen Partikularismen wohlgesonnen ist, sich von Anfang an dagegen widersetzte, ist sie niemals ernsthaft in Frage gestellt worden. Nach dem Ende der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg stellte die französische Regierung 1944 den Status quo vor 1940 wieder her.

Erst jetzt könnte sich das drastisch ändern. Während seiner Amtszeit als Innenminister zeigte Jean-Pierre Chevènement ein verdächtig starkes Interesse an religiösen Praktiken im Elsaß und im Departement Moselle, die ab 1997 in seinen ministeriellen Zuständigkeitsbereich fielen. Der überzeugte „republikanische Patriot“ (Chevènement über sich selbst) ist stets auf der Suche nach Ideen und Modellen, um einen organisierten „französischen Islam“ auf die Beine zu stellen. Dabei geht es ihm darum, ein wenig „republikanische Ordnung“ in die Organisation und Ausübung einer Religion zu bringen, die landesweit über 500 Gebetsstätten und vier bis fünf Millionen Anhänger verfügt und sich mittlerweile zur „zweiten Religion Frankreichs“ entwickelt hat.

Für Chevènement spielen hier auch persönliche Faktoren eine Rolle. Für das französische Algerien, in dem er geboren wurde, empfindet er eine gewisse Nostalgie und interessiert sich daher für den geheimnisvollen Orient. Immerhin hat er eine Ägypterin jüdischen Glaubens geheiratet und ist aus Protest gegen den Golfkrieg vom Amt des Verteidigungsministers zurückgetreten. Chevènement gehört zu den wenigen französischen Politikern, die eswagen, bestimmte Fragen zu stellen: Wie soll man den Dschungel der kulturellen Vereinigungen durchschauen, deren Kurs oft von fundamentalistischen Mullahs angegeben wird, die selber eher dem saudi-arabischen Wahabismus oder der ägyptischen Ausprägung des Islam nahestehen als der maghrebinischen Tradition? Wer bildet die Mullahs aus? Wie kommt es, daß Moscheen von Marokko oder Saudi-Arabien finanziert werden? Warum wird der Leiter der Pariser Moschee in Algier ernannt? Wie lassen sich das republikanische Gesetz und der Laizismus mit der Scharia in Einklang bringen, dem koranischen Gesetz, dessen einzige Gesellschaftsvision eine religiöse ist? Wie kann man die Entstehung eines „moderaten Islam“ fördern?

Als wäre er ein neuer Napoleon, macht sich Chevènement nun ans Werk, den „französischen Islam“ zu organisieren. Als erstes wird ein repräsentatives Organ der französischen Muslims ins Leben gerufen. Man will sich einen Überblick über sämtliche muslimischen Gebetsstätten auf französischem Boden verschaffen und islamische Vereinigungen konsultieren. Die Vertreter eines demokratisierten, „moderaten“ Islam, die sich in den letzten Tagen zu Wort meldeten, beunruhigt die Auswahl der Verhandlungspartner, mit denen das Innenministerium im Gespräch ist. Unter ihnen befinden sich Repräsentanten islamistischer Sekten.

Im Straßburg der sozialistischen Bürgermeisterin und protestantischen Theologin Catherine Trautmann wurden ähnliche Fehler gemacht. Aus humanistischer Gutgläubigkeit und Sorge um die periodisch aufflammenden Vorstädte beriet sie sich mit selbsternannten Vertretern der muslimischen Gemeinden, die für um die 40.000 Menschen aus diversen Ländern und mit verschiedenen religiösen Praktiken sprechen wollen. Diese Konsultationen enden mit dem Versprechen, eine Großmoschee zu errichten. Der Front National (FN), der im Straßburger Kommunalrat vertreten ist, protestierte vergeblich dagegen. Die Lage verkompliziert sich, nicht etwa wegen der Opposition seitens des FN, sondern dank der Rivalitäten, die sich zwischen den muslimischen Gesprächspartnern auftun. Es scheint unmöglich, ihre Interessen im Namen eines einzigen Projekts unter einen Hut zu bringen. In der verhängnisvollen Logik ihrer guten Absichten gefangen, sieht sich die Stadtverwaltung genötigt, das Bauland für zwei rivalisierende Vorhaben zur Verfügung zu stellen. Was die Finanzierung der Moscheen selbst angeht, so bleibt sie weitgehend undurchsichtig.

Bei den Kommunalwahlen im vergangenen März unterlag schließlich im elsässischen Straßburg die Sozialistin Trautmann dem bürgerlichen Tandem aus Fabienne Keller (liberale UDF) und Robert Grossmann (gaullistische RPR). Diese stehen dem Thema natürlich mit großer Skepsis gegenüber. Es komme gar nicht in Frage, sagen sie, den Islam als gleichberechtigt mit den christlichen und jüdischen Religionen zu behandeln. Dieselbe Haltung vertreten auch die Kirchen des Elsaß. Die Linke zeigte sich sofort zum Widerspruch bereit. In einer vom Sender France Culture ausgestrahlten Debatte sprach Jean-Claude Richez - linker Geschichtsprofessor in Straßburg und ehemaliger Trotzkist - von der muslimischen „Präsenz auf dem Boden der Republik“, die eine „Rechtsgleichheit bezüglich der Religionsausübung“ nach sich ziehen müsse. Soll das heißen, daß auch dem Islam die Sonderregelungen zugute kommen müssen, die aus dem Konkordat zwischen Kirchen und Staat entspringen?

In Straßburg haben sich katholische, protestantische und muslimische Repräsentanten auf baldige Treffen geeinigt, um ihre guten Beziehungen zur Schau zu stellen und gegen die „Vermengung“ von Islam und Terrorismus anzugehen. In Paris hat Staatspräsident Jacques Chirac am 10. Oktober die Teilnehmer der von Chevènement in die Wege geleiteten und unter seinem 52jährigen sozialistischen Nachfolger Daniel Vaillant fortgesetzten Beratungsgespräche empfangen. Im nächsten Jahr will man die Einsetzung eines für den Islam zuständigen Staatsrates in Gang setzen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen