© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/01 02. November 2001

 
Der Fiskus diktiert das Recht
Enteignungen: Bei der Rückgabeverweigerung des Eigentums arbeiten Legislative, Exekutive und Judikative in die gleiche Richtung
Matthias Bäkermann

Zwölf Jahre nach dem Fall der Mauer ist der Rechtsfrieden in Deutschland gefährdeter als je zuvor. Die Enteignung von über 2,7 Millionen Hektar Land und über 100.000 Wirtschafts- und Wohngebäuden durch die Kommunis ten wird - darauf deutet zur Zeit alles hin - nach Ende der DDR nicht wieder rückgängig gemacht. Bei dieser verweigerten Restauration von Eigentumsrechten geht es nicht nur um die Enteignungen von „Großgrund- und Produktionsmittelbesitzern“, sondern auch um jene von eigenständigen Kleinbauern (im Zuge der Zwangskollektivierung) und Flüchtlingen.

Mit dem Ende der DDR stieg die Hoffnung ehemals Benachteiligter, ihren alten Besitz zurückzubekommen. Diese Hoffnung hat sich größtenteils nicht erfüllt. Obwohl in den Verhandlungen zur Einheit anfangs die Rekonstitution der rechtmäßigen Besitzstände im Munde geführt wurde, ist die Rückübereignung bis heute an der Politik der Bundesregierungen und der Rechtsprechung gescheitert.

Mit unterschiedlichen Argumenten wurde immer wieder einer Rückgabe enteigneter Liegenschaften widersprochen. Zunächst wurde seitens der Bundesregierung angeführt, daß man mit der Rückgabe in zwischenzeitlich neu entstandene Eigentumsrechte, insbesondere von Klein- und Kleinstbesitzern der ehemaligen DDR, eingreifen würde. Damit wurde die Angst der Häusler und „Datschenbesitzer“ geschürt, die ihren Besitz wieder in die gierigen Hände ehemaliger Junker kommen sahen. Dabei wurde zweierlei unterschlagen: Erstens wurde seitens der Alteigentümer bereits akzeptiert, daß neuentstandene Eigentumsrechte nicht angerührt werden sollten. Zweitens war der Umfang dieser neu entstandenen Eigentumsverhältnisse am gesamten enteigneten Besitz äußerst marginal. Die größeren Liegenschaften sind damals staatlichen „volkseigenen“ Betrieben zugeschlagen worden, die durch Rechtsnachfolge durch die Einheit weiterhin im Besitz des Staates blieben - Nicht der „Datschenbesitzer“ mußte um den Besitz zittern, sondern die Bundesrepublik Deutschland.

So wurde von Teilen der Bundesregierung - neben Bundeskanzler Kohl die Finanzminister Theo Waigel und Innenminister Wolfgang Schäuble - die Verantwortung der Nicht-Rückgabe an die Sowjetunion weitergegeben. Gorbatschow und Schewardnadse verhinderten demnach nicht nur die Rückübereignung des in den Jahren 1945-1949 enteigneten Besitzes und die im Rahmen der Zwangskollektivierung 1953-1962 verstaatlichten Liegenschaften, sondern knüpften daransogar ihre Zustimmung zur deutschen Einheit. Dabei forderten die Sowjets in den Zwei-plus-vier-Verhandlungen 1990 lediglich die „Anerkennung der Legitimität der Maßnahmen und das Verbot der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der seinerzeitigen Beschlüsse“. Die Aufrechterhaltung der „besatzungsrechtlichen und besatzungshoheitlichen Enteignungen von 1945 bis 1949“ wurde nicht zur Vorbedingung gemacht. Zumindest wurde dieses im Nachhinein vehement von Gorbatschow und von DDR-Innenminister Günter Krause bestritten. In gleicher Richtung äußerte sich der ehemalige sowjetische Außenminister Schewardnadse im Spiegel vom 4. September 1994: „Bei den Besprechungen zur Frage der Wiedervereinigung ist dieses Thema nicht erörtert worden. Weder im Stab von Gorbatschow noch im Außenministerium kam die Frage auf. Auf unserer Ebene, unter den Fachleuten ist diese Frage jedenfalls nicht diskutiert worden. Vorbedingungen in bezug auf die Wiedervereinigung haben wir nicht gestellt.“

Sicherlich ist diese Aussage glaubwürdig, hat doch die sowjetische Seite an der nicht erfolgten Rückübereignung - im Gegensatz zur Bundesregierung - keinen Nutznieß. Der Verkauf der Liegenschaften wird staatlicherseits organisiert, allerdings ohne eine besonders hohe Wertschöpfung. Zum einen sind in den ländlichen Gebieten die Objekte durch einen jahrzehntelangen Verfall teilweise nur noch für einen Spottpreis veräußerungswürdig, zum anderen dient der Verkauf dieser Liegenschaften nicht unbedingt einer dringend notwendigen Strukturentwicklung in den neuen Ländern. Selbst wenn die Käufer dieser Objekte keine Spekulationsabsichten haben, erschwert die durch den Klageweg der Alteigentümer erreichte Rechtsunsicherheit eine Kreditaufnahme bei den Banken. Also wird eine Errichtung der Strukturen auch in den nächsten Jahren auf sich warten lassen. Die eingenommenen Gelder aus den Versteigerungen werden darüber hinaus vom Staat in sehr viel höherem Maße in eine weitere Strukturförderung fließen müssen.

Nun wurde in einem Klagefall durch das Bundesverwaltungsgericht am 23. August 2001 ein Präzedenzfall zur Vermögensrückgabe geschaffen (BVerwG 3 C 39.00). Eine Klägerin hatte auf die Rückgabe ihres 1952 nach dem damals geltenden DDR-Baulandgesetz enteigneten Grundstückes geklagt. In der Begründung der Klageabweisung heißt es, daß eine Rückgabe nur zu bejahen ist, wenn es einen personenbezogenen Unrechtsakt geht. Allerdings ist eine spezielle personenbezogene Unrechtstat schwer zu beweisen. So kann damit gerechnet werden, daß die meisten inkriminierten Maßnahmen gegenüber den Alteigentümern als eine gegenstandsbezogene Unrechtstat gewertet wird, die eine Rückgabe als Rehabilitationsakt ausschließt.

Daß aber selbst die Anwendung bestehender Rechtsnormen ausgeklammert wird, hat das Beispiel der „Ersatzgrundstücke“ bewiesen. Auch Bestandteile des Einigungsvertrages (Paragraph 9, Vermögensgesetz) wurden mißachtet. Die angeführte Regelung sollte ehemalige DDR-Bürger wegen ihren verlorenen Besitzes entschädigen, da die durch Flucht oder Ausreise verwaisten Liegenschaften verkauft oder den Betreffenden vorher durch die DDR-Behörden weit unter Wert abgepreßt wurden. Die Bereitstellung von Ersatzgrundstücken hätte demnach die zuständigen Kommunen etwa zehn Milliarden Mark gekostet. Nach einem Rechtsspruch im Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7. September 1998, der die Ersatzzahlungen als Rechtens erklärte, wurden die Vermögensämter der Länder per Nichtanwendungserlaß am 24. November 1998 vom Bundesfinanzministerium aufgefordert, die aktuelle Rechtsprechung zu ignorieren.

Da dieser Zustand zu offensichtlich gegen alle rechtsstaatlichen Prinzipien verstieß, wurde nach einem Jahr, kurz vor der parlamentarischen Sommerpause, der gesamte Rechtsgrundsatz (Paragraph 9, VermG) einfach durch eine Gesetzesinitiative im Bundestag abgeschafft. Der nur noch mögliche Klageweg über die Entschädigungsgesetzgebung ist sehr langwierig. Das Bundesamt zur Regelung offener Vermögenfragen (BARoV) kritisierte diese zögerliche Bearbeitung der Entschädigungsanträge in einer Pressemitteilung vom 22. Mai 2001 als nicht zufriedenstellend, eine BARoV-Mitarbeiterin bezeichnete die gegenwärtige Praxis im ARD-Magazin Plus/Minus sogar als Rechtsverweigerung.

Insgesamt hat der kürzlich zur 50-Jahr-Feier des Bundesverfassungsgerichtes gelobte Rechtsstaat alles dafür getan, daß begangenes Unrecht nicht korrigiert wird, in der wenig ehrenwerten Tradition dieses Staates. Erschreckender als dieser Zustand ist nur noch, daß selbst ein Grundzug unserer Demokratie - die Gewaltenteilung - für die Herstellung einer fiskalisch begründeten Rechtsdiktion hemmungslos außer Kraft gesetzt wird.


 
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