© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/01 02. November 2001


Parteiensystem
Warum die PDS Schill fürchtet
Dieter Stein

Auf ihrem Parteitag am vergangenen Wochenende in Hamburg hat die Partei Rechtstaatlicher Offensive des Richters Ronald Schill angekündigt, daß sie mit der bundesweiten Ausdehnung ernst machen will. Damit ist kurz nach dem Abstieg der rechtspopulistischen Republikaner und dem Verlust ihrer Fraktion im Stuttgarter Landtag eine neue Formation in der ersten Bundesliga des deutschen Parteiensystems präsent, wenn es um die Jagd nach den Stimmen der von den Volksparteien enttäuschten und verprellten Wähler geht.

Es stehen im kommenden Jahr interessante Wahlen an: Am 21. April 2002 wird in Sachsen-Anhalt und im Herbst in Mecklenburg-Vorpommern ein neuer Landtag gewählt. Von der ebenfalls im Herbst stattfindenden Bundestagswahl einmal abgesehen wird der Bürger damit in zwei Bundesländern an die Wahlurne gehen, die derzeit von SPD-Regierungen bestimmt werden, in denen die PDS als Tolerierungspartner (Magdeburg) oder sogar Koalitionspartner (Schwerin) großen Einfluß hat. Bislang hat sich die CDU die Zähne daran ausgebissen, gegen diese Doppelformation aus PDS und SPD anzukommen. Im Grunde wäre auch in Berlin, entgegen der jetzigen Entscheidung, eine Ampel-Koalition zu bilden, eine Koalition aus Wowereit und Gysi konsequenter gewesen

Warum wird die CDU - mit Ausnahme Sachsens und Thüringens - im Osten der Republik bis auf weiteres kein Bein auf den Boden bekommen? Weil sie immer noch als Mischung aus West-Import und selbstgerechter Nachlaßverwalterin der selbst mit der SED verquickten DDR-CDU empfunden wird. Die CDU tritt im Osten zudem besonders als handzahme Diaspora-Truppe unter der Führung anmodernisierter, technokratischer Kuschel-Konservativer auf.

Demoskopen haben herausgefunden, daß Schill die allergrößten Chancen hätte, tief in das Lager gerade der PDS einzubrechen. Warum? Weil die Schill-Partei als neue Formation angesehen wird, die mit der leidigen Ost-West-Befindlichkeit nichts zu tun hat. Aus demselben Grund hat selbst die obskure und offensichtlich unseriöse Partei DVU des Münchner Immobilien-Magnaten Gerhard Frey in Sachsen-Anhalt (12,9 Prozent) und Brandenburg (5,3 Prozent) Furore gemacht.

Schill hat die Chance, das durch die Wende 1989 und die Wiedervereinigung geprägte Parteiensystem der neuen Bundesländer umzupflügen und den unzufriedenen Wählern, die weder Rechts- noch Linksradikalismus, aber auch keine West-Import-Partei wollen, eine neue Heimat zu geben. Es käme so auch wieder zu neuen Mehrheiten jenseits von SPD/PDS.

Es fehlt Ronald Schill dort nur ein kleines bißchen: engagierte, kompetente, sympathische Bürger, die Vertrauen erwecken, die noch nicht in 13 Kleinparteien waren und die das Herz am rechten Fleck haben. Zweifelhaft ist auch, welches bundespolitische Profil die Schill-Partei haben wird. An einer weiteren Partei, die unlimited solidarity mit den USA proklamiert, besteht wahrlich kein Bedarf.


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