© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/01 26. Oktober 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Eine neue Kleiderordnung
Carl Gustaf Ströhm

Auf dem Apec-Gipfel in Schanghai boten die hohen Gäste der Chinesen ein seltsames Bild: der Gastgeber, Staatschef Jiang Zemin, war auf die Idee gekommen, die Gipfelteilnehmer und sich selbst in altchinesische Seidenjacken zu kleiden. Solchermaßen kostümiert, trat man gemeinsam vor die Kameras. Auch George W. Bush und Wladimir Putin folgten der neuen Pekinger Kleiderordnung und präsentierten sich als „Ehrenchinesen“: der Unterschied war nur, daß der chinesische Präsident ein seidenes Gewand in roter Farbe trug, während sie mit silberbesticktem Blau vorliebnehmen mußten.

Natürlich standen in Schanghai ernste Themen im Vordergrund, wie etwa Wirtschafts- und Finanzprobleme oder der (gemeinsame) Kampf gegen den Terrorismus. Doch die Kostümierung war symbolträchtig: Indem die chinesischen Gastgeber ihre Kleiderordnung durchsetzten, demonstrierten sie einen gewissen Führungsanspruch. Bisher hatten sich die Asiaten bei der internationalen Konferenzen an die westliche Kleiderordnung halten müssen und waren (außer in der Mao-Ära mit dunklen Uniformen) in Anzug und Krawatte erschienen. Jetzt mußten erstmals Amerikaner die asiatische Kleiderordnung akzeptieren.

Daß aber die Tracht etwas mit Identität und Selbstgefühl zu tun haben, weiß jeder, der in Oberbayern oder Österreich auf einem Volksfest war. Ein US-Präsident oder ein russischer Kreml-Chef, der sich chinesisch kostümiert, setzt damit ein Signal, daß er die Chinesen als vollgültig und sogar maßgeblich akzeptiert. Das aber hat politische Konsequenzen. Wenn Bush, Putin und Zemin den Schulterschluß im Kampf gegen den Terrorismus demonstrieren, dann weckt das gemischte Gefühle, denn wenn zwei Große sich mit dem Größten zusammentun, müssen die kleineren auf der Hut sein. Sollte ein amerikanisch-russisch-chinesisches Triumvirat definieren, wer ein Terrorist ist, könnte Seltsames dabei herauskommen.

Auch müssen sich die USA die „Solidarität“ Moskaus und Pekings etwas kosten lassen. Man braucht kein Prophet zu sein, um zu konstatieren, daß der US-Eifer bei der Verteidigung von Menschenrechten in Tschetschenien in nächster Zeit erheblich nachlassen wird. Ebenso wird man wenig über die Uiguren in der chinesischen Unruheprovinz Xinjiang und noch weniger über andere ethnische oder religiöse und politische Minderheiten in China hören: Amerika ist das Hemd näher als der Rock - und die chinesische Unterstützung (mag sie auch noch so bedingt und verklausuliert sein) für die Anti- Terroraktion ist den USA mehr wert als der Kampf für Menschenrechte irgendwelcher Tschetschenen oder Uiguren, die schon äußerlich den Taliban ähnlich sehen.

Was Rußland betrifft, benötigen die USA die Basen für Aktionen gegen Afghanistan, welche sich die Sowjet-Armee seinerzeit in Usbekistan und Tadschikistan aufbaute und die heute noch zum großen Teil von russischen Truppen kontrolliert werden. Hier verlangt Putin seinen Preis - und der besteht unter anderem in der Nicht-Aufnahme der baltischen Staaten in die Nato. Die USA können auch nicht mehr wie bisher die antirussischen, nationalen islamischen Kräfte in Zentralasien protegieren. Washington muß mehr als bisher auf russische und chinesische Interessen Rücksicht nehmen. Eine seltsame neue Abhängigkeit ist entstanden. Doch nur die Amerikaner müssen sich die Hände in Afghanistan schmutzig machen. Rußland und China ermuntern die USA - und distanzieren sich gleichzeitig von US-Militäraktionen. Auch das nennt man Diplomatie. 


 
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