© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/01 19. Oktober 2001


Kein Fest der Freundschaft
Frankreich: Ein abgebrochenes Fußballspiel gegen Algerien offenbarte gesellschaftliche Konflike
Charles Brant

Am Abend vor dem Beginn der Luftangriffe auf Afghanistan zeigte ein Fußballspiel zwischen Frankreich und Algerien, wie fragil das französische Gesellschaftssystem inzwischen ist. Weit davon entfernt, ein Freundschaftsspiel zu sein, verwandelte sich die erste Begegnung seit der algerischen Unabhängigkeit von 1962 in eine erschreckende Demonstration des Hasses maghrebinischer Jugendlicher auf die französische Bevölkerung.

Das Spiel am 6. Oktober, bei dem die beiden Nationalmannschaften zum ersten Mal seit der algerischen Unabhängigkeit 1962 aufeinandertrafen, war im Vorfeld zu einem „historischen Ereignis“ hochgejubelt worden. Es endete unerwartet früh - zwar nicht in Tränen, aber immerhin mit Flaschenhagel, Schlachtgeschrei und unter wehenden algerischen Flaggen. Nach 75 Spielminuten - Frankreich führte vier zu null - stürmten Jugendliche mit algerischen Fahnen den Rasen des Stadiums in Saint-Denis. Die prominenten Gäste, die auf der Tribüne saßen - der sozialistische Premierminister Lionel Jospin, der Präsident der Nationalversammlung Raymond Forny und verschiedene Minister wie Jack Lang, Elisabeth Guigou und die kommunistische Sportministerin Marie-George Buffet -, schienen wie vor den Kopf gestoßen. Nach wenigen Augenblicken kehrten die Spieler in ihre Garderoben zurück, der Ordnungsdienst, der sich zuvor nicht bemerkbar gemacht hatte, war zur Stelle, konnte aber die Störenfriede nicht unter Kontrolle bringen. Der Schiedsrichter beschloß, das Spiel abzubrechen. Die französischen Fans hüteten sich, in irgendeiner Weise zu reagieren. Claude Simonet, der Präsident des französischen Fußballbundes, griff sich ein Mikrophon und mahnte zur Besonnenheit: „Bleiben Sie auf Ihren Plätzen!“ Die kommunistische Jugend- und Sportministerin schloß sich ihm kaugummikauend an: „Bleiben Sie sitzen, bewahren Sie Ruhe und Freundlichkeit!“ Als Dank bekam sie ein Wurfgeschoß ins Gesicht. Elisabeth Guigou erging es nicht besser. Dem Fernsehen sagte Buffet: „Es ist nichts schlimmes passiert. Kein Grund zur Aufregung, es war bloß eine Plastikflasche.“

Funktionäre räumten die Tribüne. Die Spieler gaben Reportern gegenüber ihrem Entsetzen und Bedauern Ausdruck. Der Aufruhr legte sich relativ bald, die üblichen Banden fanden sich zusammen und brüllten ihre Slogans, während die algerischen Fahnen im Wind flatterten. Laut Behördenangaben kam es in der Nacht zu keinen weiteren Zwischenfällen. Dennoch mußte die Polizei in siebzehn Fällen eingreifen. Am nächsten Morgen schrieben die Sonntagszeitungen die Ausschreitungen „einigen wenigen ruhestörenden Elementen“ zu, die „den Spaß verdorben“ hätten, und malten die Sanktionen an die Wand, die die FIFA wegen der unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen gegen den französischen Verband ergreifen könne. Die algerische Presse drückte sich unverblümter aus. Eine der sechs Tageszeitungen titelte: „Schandhaft“. In Paris gaben junge nordafrikanische Einwanderer dem Fernsehen Interviews. Sie lachten und erzählten, wie stolz sie gewesen seien, die algerische Fahne über dem Stade de France wehen zu sehen.

Von Anfang an war diesem Spiel ein Symbolcharakter zugeschrieben worden. Die Spannung, die das innenpolitische Klima in Frankreich bestimmt, war nicht nur durch die Erwartung des amerikanischen Vergeltungsschlages verschärft worden. Auch das Vorgehen der Polizei gegen islamistische Netzwerke und das Gerücht über einen terroristischen Hintergrund der Explosion einer Toulouser Chemiefabrik (die JUNGE FREIHEIT berichtete) hatten nicht gerade zur Entspannung beigetragen. So sollte das Freundschaftsspiel ein Zeichen der guten Beziehungen zwischen Frankreich und seiner ehemaligen Kolonie setzen. Noch am Wochenanfang hatte Jospin seinen sozialistischen Außenminister Hubert Védrine nach Algerien entsandt, nachdem schon Nicolas Sarkozy im Auftrag des gaullistischen Präsidenten Jacques Chirac höchstpersönlich dem Land einen Besuch abgestattet hatte.

Das Länderspiel hätte eine Art „Fest der Freundschaft“ werden sollen, ausgerichtet zu Ehren der maghrebinischen Bevölkerung in Frankreich. Es sollte dazu dienen, der „Verwechslung“ von Islam und Islamismus entgegenzuwirken, wie seit dem 11. September unentwegt gepredigt wird. Nicht zuletzt sollte es das „integrative Potential“ des Sports vorführen - eine bevorzugte Thematik unter Vertretern der multikulturellen Doktrin. Zinedine Zidane, Sohn algerischer Einwanderer, französischer Nationalspieler und Publikumsliebling, stand einmal mehr im Rampenlicht. Vor dem Spiel bekannte der gebürtige Marseiller, er habe „zwiespältige Gefühle“ bei dem Gedanken, gegen Algerien zu spielen.

Dieser Traum von der Völkerverständigung war von kurzer Dauer. Schon vor dem Spiel quittierte das Publikum das Abspielen der Marseillaise mit einem Pfeifkonzert. Die Soziologen, die alsbald auf den Plan gerufen wurden, um die Vorfälle zu interpretieren, betonen ständig die „Orientierungslosigkeit“ der zweiten Einwanderungsgeneration. Solche Euphemismen greifen immer weniger. Die Polizeieinsätze, die in den letzten Wochen durchgeführt wurden, um die islamistischen Netzwerke zu zerschlagen, die vermutlich Osama bin Laden Unterstüzung leisten, haben den Bruch zutage treten lassen, der die Generation der Einwandererkinder durchzieht. Auf der Suche nach einer Identität wendet sich ein Teil von ihnen fundamentalistischen Gruppen zu, die die Vision eines islamischen Endsiegs predigen. Das republikanische Modell der grande nation erscheint ihnen dabei wenig attraktiv - ob Jean-Pierre Chevènement das glauben mag oder nicht. Frankreich muß ihre Ablehnung endlich zur Kenntnis nehmen. Nach den amerikanischen Vergeltungsschlägen gegen Afghanistan gilt das erst recht. Pessimisten sagen, es sei schon zu spät.


 
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