© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/01 19. Oktober 2001

 
„Uns kann keiner mehr das Maul verbieten“
Berlin-Wahl II: In der Gedenkstätte Hohenschönhausen führen ehemalige politische Häftlinge Besuchergruppen durch die Stätte ihrer einstigen Unterdrückung
Sebastian Sasse

Die FDP-Bundestagsfraktion sorgt  sich um den Erhalt der früheren Stasi-Untersuchunghaftanstalt Hohenschönhausen als Gedenkstätte für die Opfer der SED-Diktatur. In einem Parlamentsantrag fordern die Liberalen den Bund auf, die für den Erhalt und Ausbau der Gedenkstätte erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Zur kurzfristigen Sicherung des Betriebs und der laufenden Unterhaltungskosten sollen die Zuwendungen des Bundes sofort erhöht werden.

In Berlin-Hohenschönhausen befand sich während der gesamten DDR-Zeit ein Stasi-Untersuchungsgefängnis. Heute ist in dem alten Stasi-Knast eine Gedenkstätte für die Opfer des SED-Unrechtsregimes untergebracht. Dort wo früher die Schließer und Wachleute herrschten, haben nun die einstigen politischen Häftlinge das Sagen. Sie führen Besuchergruppen aus dem In- und Ausland durch die Stätte ihrer Unterdrückung. Ihr Ziel ist es, über den verbrecherischen Charakter der DDR zu informieren. Die zweite deutsche Diktatur soll nicht in Vergessenheit geraten.

Man ist bedrückt, wenn man das Gelände des ehemaligen Untersuchungsgefängnisses betritt. Es sieht noch alles aus wie früher: hohe graue Gefängnismauern, in jeder Ecke ein Wachturm, überall Stacheldraht. Und doch ist alles anders: In dem Gebäude, das früher ein Symbol für die Macht des SED-Staates war, wird seit 1995 über die Verbrechen des Unrechtsregimes informiert. An der Konzeption des Dokumentations- und Begegnungszentrums waren neben Fachleuten aus Wissenschaft und Forschung vor allem politische Häftlinge beteiligt, die zu DDR-Zeiten hier einsaßen.

Für viele ist das wohl ein Stück später Genugtuung: Dem 37jährigen Mike Fröhnel ist wichtig, daß er an seinem Bund den Schlüssel seiner ehemaligen Zelle hängen hat. Der Schlüssel ist ihm zum Symbol für seine Freiheit geworden. Einer, der unter den ehemaligen Insassen einen besonderen Status genießt, ist Herbert Pfaff. Der Maschinenschlosser im Ruhestand saß zweimal im berüchtigten „U-Boot“. So wird im Häftlingsjargon der Kellertrakt des Gefängnisses genannt. Er steht synonym für die physischen und psychischen Qualen, denen die Häftlinge von ihren Peinigern ausgesetzt wurden. Fröhnel sagt über Pfaff: „Herbert ist auch bereit, für die Freiheit mit der Waffe in der Hand zu kämpfen.“ Daß Pfaff die Aufarbeitung der roten Diktatur eine Herzensangelegenheit ist, wird in jedem seiner Worte deutlich. Er führt gerade eine Gruppe bayerischer Landschaftspfleger durch die Gedenkstätte. Wenn er seine Geschichte erzählt, herrscht Schweigen.

Das Gelände der ehemaligen Haftanstalt kann auf eine wechselvolle Geschichte zurückblicken: 1938 wurden von der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt dort Großküchen eingerichtet. Bereits im Mai 1945 richtete die sowjetische Besatzungsmacht das „Speziallager 3“ ein. Dieses Lager sollte bald in der gesamten SBZ einen schlimmen Ruf bekommen; gestützt auf Beschlüsse der Alliierten sollten hier potentielle NS-Verbrecher interniert werden. Da in der SBZ aber jedwede rechtsstaatlichen Instrumentarien fehlten, konnten sich die Sowjets ungestört aller „mißliebigen Elemente“ entledigen. Denunziation und Willkür standen auf der Tagesordnung. So wurden vor allem junge Menschen eingesperrt, die im Verdacht standen, „Werwölfe“ zu sein. Den Jugendlichen wurde vorgeworfen, nach Untergang des Dritten Reiches im Untergrund weitergekämpft und Sabotageakte durchgeführt zu haben. Doch der „Werwolf“ war niemals wirklich aktiv. Während der sowjetischen Kontrolle über Hohenschönhausen wurden von Mai 1945 bis Oktober 1946 dort insgesamt 20.000 Menschen inhaftiert. Ursprünglich war das Gefängnis nur für 2.500 Insassen ausgerichtet; Hohenschönhausen war meistens überbelegt. Die Folge waren katastrophale hygienische Zustände. In den knapp eineinhalb Jahren starben zwischen 900 bis 3.000 Menschen. Genauere Zahlen sind in den Quellen leider nicht aufzufinden.

Die bayerischen Landschaftgärtner schauen betroffen, wenn Pfaff erzählt. Doch der Ex-Häftling spricht nicht ruhig, er schreit förmlich alles aus sich heraus. Dabei bezieht er auch Stellung zur aktuellen Politik: „Die DDR war ein Scheiß-Staat. Wer heute mit den Verbrechern von gestern paktiert, ist keinen Schuß Pulver wert.“

Herbert Pfaff, der urpsrünglich aus West-Berlin stammt, wurde wegen Fluchthilfe für sechs Jahre in der DDR eingesperrt. 1951 hatte das Ministerium für Staatssicherheit Hohenschönhausen übernommen und auch zugleich im Kellertrakt der ehemaligen Großküchen „U-Boot“ eingerichtet.

Hier wurden nun vor allem Anhänger der bürgerlichen Parteien eingesperrt. Aber auch nicht linientreue Kommunisten mußten mit einer Inhaftierung rechnen. In dieser Zeit wurde nicht vor körperlicher Gewalt zurückgeschreckt, um Geständnisse aus den Häftlingen herauszupressen. Die Stasi benutzte äußerst subtile Methoden. Pfaff zwängt seinen Kopf durch eine Vorrichtung am Gestell und erklärt: „Hier bekam man jede Minute einen Tropfen Wasser auf den Kopf. Nach mehreren Stunden wird man ganz verrückt und die Stelle auf die das Wasser tropft, beginnt zu schmerzen. Der Trick liegt darin, daß keine Wunden zurückbleiben.“ Eine andere Möglichkeit, die Häftlinge physisch zu quälen, war ihnen mehrere Stunden „Stehkarzer“ zu verordnen. 1961 wurde schließlich ein neuer Gebäudekomplex mit 103 Zellen und dazugehörigen Vernehmungsbüros errichtet. Die Vernehmer, meistens DDR-Juristen, gingen mit psychlogischer Raffinesse in ihren Verhören vor. Viele von ihnen eröffneten nach der Wende gut gehende Rechtsanwaltskanzleien oder arbeiten jetzt als Unternehmensberater. Pfaff wird wütend. „Es ist unglaublich, daß die Postkommunisten heute wieder in verantwortlichen Postionen sitzen. Aber uns kann keiner mehr das Maul verbieten.“

Während er seine Gruppe aus Bayern weiterführt, werden die Teilnehmer zunehmend unruhig. Eine Spreewaldfahrt wollten sie noch machen. Daher müßten sie leider die Führung vorzeitig abbrechen. Pfaff nimmt es gelassen. Die Aufarbeitung der zweiten deutschen Diktatur weckt im Westen eben kein allzu großes Interesse. Trotzdem glaubt er, mit seiner Arbeit dazu beizutragen, daß die Verbrechen des SED-Unrechtsregimes nicht in Vergessenheit geraten: „Das, was ich hier erlebt habe, werde ich nie vergessen!“


 
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