© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001


Blick in die Medien
Roter Faden
Ronald Gläser

Der seelische und psychische Zustand der Fernsehnation wurde durch die Terroranschläge von New York und Washington stark in Mitleidenschaft gezogen. Gerechtfertigte Emotionen wurden durch die öffentliche Inszenierung zu einer unvorstellbaren Anteilnahme gesteigert. Wie ein roter Faden zieht sich die Mega-Terrorwelle durch die Medien. Die Informationsgesellschaft hat Osama bin Laden ermöglicht, was Dschingis Khan, Attila, Stalin und Freddy Krüger versagt blieb: Er ist im täglichen Leben allgegenwärtig. Das Oberhaupt einer zahlenmäßig vermutlich lächerlichen Armee von Fanatikern ist wie George Orwells „Großer Bruder“. Bin Laden hat sich in den Gehirnen der selbsternannten zivilisierten Menschheit festgesetzt und beherrscht ihr Handeln. So setzen sich die Medien unter den merkwürdigsten Gesichtspunkten mit den gewaltbereiten Islamisten auseinander. Im Radio streiten Trainer, ob es anständig sei, Fußballspiele durchzuführen oder zu übertragen. Feuilletonisten spekulieren in Zeitungen über den frisierten Humor des Entertainers Harald Schmidt. Das ZDF-Magazin Aspekte bettete deutsche Neonazis in einen Beitrag. Bilder des unlängst von Unbekannten beschmierten KZ Dachau und eine NPD-Demo wurden in einen Kausalzusammenhang mit bin Laden gesetzt. Dabei verrieten die orthographisch bedenklichen Wortkonstruktionen („Judenausländermord“, „Moslemkindermassenmord“), die nicht gezeigt wurden, die vermutliche Herkunft der Täter. Solche Wahrnehmungsstörungen schreien nach einem Therapeuten.


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