© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001


Dürrenmatt in Hollywood
Kino II: „Das Versprechen“ von Sean Penn ist bis in die Nebenrollen hochkarätig besetzt
Ellen Kositza

Der Mann mit dem Habitus eines ganz typischen modernen Rentners inklusive Sportivität suggerierender Baseball-Kappe ist tatsächlich Jack Nicholson, kaum verjährtes Männlichkeitsidol, eines von Hollywoods Charaktergesichtern. Nicholson also ist Kommissar Jerry Black am Vorabend seiner Pensionierung. Während seines rauschendes Abschiedsfestes geschieht in den verschneiten Bergen von Reno,Nevada, ein grausamer Kindsmord. Obgleich der Fall an Blacks ehrgeizigen Nachfolger übergeben wird, erklärt sich der Pensionär bereit, noch die unliebsame Aufgabe der Übermittlung der Todesnachricht zu übernehmen.

Gefaßt, doch starr vor Entsetzen legt die Mutter des getöteten Mädchens ein von der Tochter gebasteltes Kreuz in Blacks Hände: Bei seinem Seelenheil soll er schwören, den Mörder zu fassen. Weil ein Zeuge einen Indianer vom Tatort flüchten sah, ist der vermeintliche Mörder schnell gefaßt, der neue Chef des Kommissariats erahnt das Sprungbrett zu einer steilen Berufskarriere und entlockt einem geistig-verwirrten Triebtäter ein Geständnis, woraufhin sich der junge Vorbestrafte (Oscar-Preisträger Benicio del Toro) erschießt.

Black merkt, daß die Indizien gegen den Verdächtigten sprechen, und das Versprechen, das er gab, wird ihm fortan und über Jahre zur Mission. Auf eigene Faust nimmt er sich des Falles an, findet Parallelen zu vorangegangenen Kindsmorden und stellt fest, daß das nächste Verbrechen nicht lange auf sich warten lassen wird. Dort, wo er nach einem bestimmten Koordinatensystem den geplanten nächsten Tatort vermutet, kauft er eine alte, verschlissene Tankstelle auf, freundet sich mit der Kellnerin Lori (Robin Wright-Penn aus „Forrest Gump“) einer nahegelegenen Kneipe an, verbringt seine Zeit mit Angeln und Beobachtungen seiner Umgebung. Bald zieht Lori zu Black. Sie hat eine kleine Tochter, lieb und blond wie die anderen ermordeten Mädchen ...

Hollywood ist die vorläufige Endstation eines Rezeptionsstranges, dem Friedrich Dürrenmatts Drehbuch und Kriminalroman „Das Versprechen“ von 1957/58 zugrundeliegt. Als erster verfilmte Artur Brauner in einer schweizerisch-deutsch-spanischen Produktion Dürrenmatts Vorlage. Hochpädagogisch und unvergeßlich, unter Aussparung grausiger Szenen, dafür vor subtiler Spannung schier berstend, spielte Heinz Rühmann den Kommissar Mathäi, Gert Fröbe den psychopathischen Täter. Ende der Siebziger nahm der italienische Sender RAI den Stoff für eine Fernsehproduktion wieder auf, es folgte 1995 eine niederländisch-britische Koproduktion, die den Handlungsort in die Tschechei verlegte, und schließlich folgte noch Bernd Eichingers Verfilmung mit Joachim Krol und Axel Milberg in den Hauptrollen.

Nun gibt es also die Geschichte vom Mädchen im roten Kleid und dem freundlichen Mörder auch in amerikanischem Zuschnitt - es hätte schlimmer kommen können. Regisseur Sean Penn, selbst preisgekrönter Schauspieler und nebenbei Ex-Ehemann von Madonna, hat sich seine Darsteller bis in die Nebenrollen (etwa Vanessa Redgrave und Mickey Rourke) aus der höchstdotierten Riege seiner Zunft zusammengesucht und obendrein ein reichlich unamerikanisches Filmende inszeniert.

Wegen eines Rechtsstreits zwischen der amerikanischen Produktionsfirma und dem deutschen Rechteinhaber war „Das Versprechen“ wurde der Film kurzfristig vom diesjährigen Berlinale-Programm abgesetzt und muß nun ohne die üblichen Vorschußlorbeeren starten. Zu gönnen wäre ihm, daß er dennoch sein Publikum findet.


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