© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001


Turbulenz und Melodie
Oper: „La Donna del Lago“ bei den Rossini-Festspielen
Julia Poser

Pesaro ist eine reizvolle kleine Stadt an der Adriaküste, die jeden Sommer viele Touristen anlockt, denn dort gibt es auch schöne saubere Strände. Die Mehrzahl der Besucher kommt jedoch zu den Rossini- Festspielen, die im August in der Geburtsstadt des Komponisten stattfinden.

In diesem Sommer war die Aufführung einer der selten gespielten Opern Rossinis der Höhepunkt des Festivals. Nach dem Poem von Walter Scott „The Lady of the Lake“, das 1810 erschienen war, schrieb Rossini, der von der Bühnenwirksamkeit des Stoffes überzeugt war, die Oper „La Donna del Lago“ (Das Fräulein vom See).

Die Geschichte spielt im 16. Jahrhundert zur Zeit der Regierung Jakobs V. In vielen Kriegen versuchte der englische König die freien Clans in den schottischen Bergen zu unterwerfen. Sein Berater, Lord Douglas, widersetzte sich diesen Kriegszügen und wurde deshalb verbannt. Er fand bei Roderic von Dhu Zuflucht und versprach ihm dafür die Hand seiner Tochter Ellen. Das Mädchen liebte jedoch schon den tapferen Krieger Malcolm, der ihretwegen den königlichen Hof verließ, um sie im schottischen Hochland zu suchen. Ellens liebster Zeitvertreib war, allein auf dem See zu rudern. Zu Beginn der Oper trifft der als einfacher Jäger verkleidete König Ellen und ist verzaubert von ihrem Liebreiz. Malcolm hat Ellen gefunden, erfährt aber von dem erzwungenen Verlöbnis mit Roderic. Ehe es zum Streit zwischen den Rivalen kommt, rüsten sich die schottischen Krieger zum Kampf gegen die englischen Unterdrücker, werden aber besiegt. Der König verzeiht Graf Douglas - Roderic ist gefallen - und vereint Ellen und Malcolm.

„La Donna del Lago“ ist die melodienreichste Oper Rossinis. Wie ein Leitmotiv durchzieht Ellens Cavatine „O mattutini albori“ (O herrlicher Morgen) die ganze Oper, eine der schönsten Melodien, die Rossini je komponiert hat. Diese romantische Naturoper meist schon den Weg zu C. M. von Webers „Freischütz“. Der Chor der Barden wurde sogar zum Lieblingsthema der italienischen Patrioten: „L’ombre degli avi“( Die Geister eurer Vorfahren werden euch im Kampf zur Seite stehen). Vor allem aber begeistert heute wie damals der schier unerschöpfliche Schatz an Arien und Duetten.

Das schöne Teatro Rossini wird zur Zeit renoviert, so daß diese zart romantische Liebesgeschichte leider in die riesige „Palafestival“ genannte Allzweckhalle verlegt werden mußte. Auf ihrer breiten Bühne konnten sich Regisseur Luca Ronconi und seine Ausstatterin Margherita Palli mit gewaltigen Felsen, grünen Hügeln und der raffinierten Illusion eines Sees austoben.

Drei Sänger überragten das ganze Ensemble. An erster Stelle muß der neue Stern am Rossini-Tenor-Himmel, der junge Peruaner Juan Diego Florez, genannt werden, der in kurzer Zeit eine steile Karriere gemacht hat. Mit lyrischen Tönen, brillanten Koloraturen und heldischer Attacke riß der charismatische Sänger als König Jakob mit „Oh fiamma soave“ (verzehrende Flamme) das Publikum zu minutenlangen Beifallstürmen hin.

Auch Daniela Barcellona in der Hosenrolle des Malcolm begeisterte mit ihrem volltönenden Mezzo schon in ihrer Auftrittsarie „Mura felice“ (glückliche Mauern) Charles Workmans dunkel timbrierter Baritenor imponierte als kämpferischer Roderic. Für Mariella Devia kam die Partie der Ellen zu spät: Für Rossinis glanzvolle Koloraturen nicht mehr ausreichend beweglich, entsprach sie nicht der „feengleichen Nymphe“ aus Scotts Gedicht. Die kleineren Rollen waren gut besetzt, ausgezeichnet der Prager Kammerchor. Daniele Gatti dirigierte das Orchester des Theaters von Bologna mit beinahe kammermusikalischen Klangfarben.

Außerdem wurde „La Gazetta“, eine kleine komische Oper aufgeführt, in der ein reicher Geschäftsmann per Zeitungsannonce einen Ehemann für seine Tochter sucht. Sie hat natürlich längst einen Liebhaber. Verwechslungen, Maskeraden, Eifersüchteleien - ein turbulentes Durcheinander mit glücklichem Ende. Der Literaturnobelpreisträger Dario Fo verlegte das Ganze in die „wilden Zwanziger“. Er ließ spärlich bekleidete „Damen“ Charleston tanzen und die Beine schwenken, fügte italienische Gassenhauer in Rossinis Musik ein, ließ ein Auto explodieren, Hühner tanzen und reihte einen Gag an den anderen. Sinnlos überdreht und verschandelt! Rossinis heiterer Witz blieb auf der Strecke.

Den ernsten Abschluß des Festivals bildete Rossinis ergreifendes „Stabat Mater“, dessen „unsterbliche Grazie und unwiderstehliche Sanftheit“ schon Heinrich Heine lobte. Und der französische Dichter Th. Gautier sagte, daß es „glücklich, lächelnd und immer ein Fest“ sei.

Von den vier Solisten überragten wiederum Juan Diego Florez mit der hinreißend gesungenen Arie „Cuius animam gementem“ (ihre seufzende Seele) wie auch der herrliche Mezzo von Daniela Barcellona. Der Prager Kammerchor übertraf sich selbst in den a-capella Chören und ließ das sakrale Werk in einem grandiosen „In sempiterna saecula Amen“ ausklingen.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen