© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001

 
Zeitschriftenkritik: Rabenflug
Vergessenes zum Sprechen gebracht
Werner Olles

Daß ambitionierte kleine Kultur- und Literaturzeitschriften abseits des monokulturellen mainstream ständig um ihr Überleben kämpfen müssen, während staatlicherseits oft auch noch der allerletzte Schund und Kitsch subventioniert wird, ist leider nichts Neues. So wird möglicherweise auch die bislang zweimal jährlich erscheinende Zeitschrift Rabenflug bald nur noch einmal im Jahr herauskommen. Es mangelt hierzulande eben vor allem an großzügigen Sponsoren und Mäzenen, an interessierten Freunden der Belletristik und der Kunst, die bereit sind, mit einer finanziellen Spende etwas für die Literatur zu tun. Und seltsam bedeckt hält sich auch das hessische Kultusministerium.

Zwanzig Ausgaben von Rabenflug sind bisher erschienen, in denen die Herausgeberin, Evelyn von Bonin, Gegenwartsdichtung und frühere Literatur und Geschichte zueinander in Bezug setzte und Gedichte, Kurzprosa, Aufsätze und Essays sowie gesellschaftspolitische Themen vorstellte. Dabei werden regelmäßig neue Texte und die Sprache vergangener Kultur gegenübergestellt und in jeder Ausgabe ein Schwerpunkt angestrebt, in dem eine Autorin oder ein Autor, deren Werke in der Buchproduktion unserer Zeit oft zu Unrecht aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden sind, wieder in Erinnerung gerufen wird.

So findet der Leser in der jüngsten Ausgabe aus der Feder von Dittker Slark eine Würdigung der großen deutschen Balladendichterin und heimatverbundenen Erzählerin Lulu von Strauß und Torney zu ihrem 45. Todestag. 1873 als Tochter eines Generalmajors und Kammerherrn in Bückeburg geboren, muß sie in einem Atemzug mit Börries von Münchhausen und Agnes Miegel genannt werden. Besonders ihre Dorfgeschichten aus dem Weserbergland, aber auch ihre Romane, Balladen und Gedichte, in denen sie die Menschen und deren Schicksale in ihrer heimatlichen Landschaft eindrucksvoll und lebensecht darstellt, sind wahre Kleinodien literarischer Kunst.

Arnulf Barings Essay „Wolfskinder“ erinnert dagegen an die bitteren Jahre nach 1945, als Tausende elternlos gewordener und allein übriggebliebener ostpreußischer Jungen und Mädchen auf der Flucht vor der Roten Armee waren. Hungernd und frierend, in schneidender Kälte und ständig bedroht von Ermordung, Vergewaltigung und Verschleppung durch die sowjetischen Soldaten, deren Führung in Flugblättern zu Härte und Grausamkeit gegen die Deutschen aufgerufen hatte, zogen sie durch die einsamen Wälder nach Norden, um auf litauischen Bauernhöfen unterzuschlüpfen und hier bei schwerer Arbeit irgendwie zu überleben. Fast immer wurden Geschwister getrennt, und viele der Wolfskinder durften erst Jahrzehnte später in den Westen zu deutschen Verwandten ausreisen. Manche, die als Kinder unfreiwillig in die Fremde gerieten, sind Litauer geworden und wissen nicht einmal, daß ihre Eltern - und damit sie selbst - Deutsche waren.

Es sind gerade solche Texte, die - neben vielen anderen - Rabenflug zu einer der wichtigsten und schönsten deutschen Literaturzeitschriften machen.

Anschrift: Evelyn von Bonin, Herminenstr. 7, 65191 Wiesbaden. Einzelpreis 6 Mark, Abonnement 12 Mark


 
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