© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001

 
Blinde Flecken der Systemkritik
Hans Herbert von Arnim hat einen neuen Versuch unternommen, die bundesdeutsche Demokratie auf westliches Niveau zu heben
Josef Schüßlburner

Der Rezensent hat den relativ geringen Effekt der Beanstan dungen des bekanntesten Kritikers der bundesdeutschen politischen Verhältnisse, des in Speyer lehrenden Professors Hans Herbert von Arnim darauf zurückgeführt, daß dieser wesentliche Aspekte der politischen Realverfassung ausblendet. Zu nennen sind die mehr als fragwürdige Rolle des sogenannten Verfassungsschutzes, der damit verbundene Mißbrauch der „wehrhaften Demokratie“ zur Beschränkung des politischen Pluralismus und die Entleerung des Prinzips der Volkssouveränität durch die internationale „Einbindung“. Diese Demokratiedefizite haben ihre historischen Wurzeln in der Entstehung der Bundesrepublik aus einer Besatzungsherrschaft, wobei die von von Arnim analysierten Defekte mit dieser Problematik eng verbunden sind.

Die Tatsache, daß von Arnim nunmehr ein weiteres Buch über „Das System“ veröffentlicht, das seine bisherige Kritik zusammenfaßt und mit Beispielen aus der jüngsten Zeit auffrischt, ist Anzeichen für die bislang - trotz hoher Auflagen der vorangegangenen Werke - eher bescheidene Wirkung seiner Kritik. Unter „System“ versteht von Arnim den Komplex realer Machtstrukturen des Parteienstaates, die sich hinter der Fassade des formal vom Grundgesetz fixierten Regierungssystems etabliert haben und um Parteienfinanzierung, Einkommensvermehrung der Angehörigen der politischen Klasse und zunehmend korrupte Verhaltsweisen kreisen.

Geht von Arnim nunmehr in seinem neuesten Werk auf die bislang fehlenden Punkte ein? Erfreulicherweise finden sich durchaus Ansätze hierzu. So sind nach von Arnim die Manipulationen am demokratischen Wahlrecht in der Geschichte der Bundesrepublik, insbesondere die kaum nachvollziehbare Begründung der Rechtsprechung zur Rechtfertigung der wahlrechtlichen Sperrklausel, damit zu erklären, daß die für etablierte Strömungen günstige Wirkung des „ausgesprochen restriktiven“ alliierten Lizenzierungssystems auch nach Aufhebung desselben fortbestehen soll. Von Arnim läßt aber offen, warum die Alliierten überhaupt eine derartige - fortwirkende - Beschränkung des politischen Pluralismus der Deutschen praktiziert haben.

Diese Frage hätte Ansatzpunkt der Analyse sein können, ob nicht die Interessenlage ausländischer Mächte (eben der ehemaligen Besatzungsmächte) an der Aufrechterhaltung des „Systems“ besteht. Ein Eingehen auf diese Problematik findet sich lediglich - in einer Anmerkung versteckt - im Zusammenhang möglicher französischer Schmiergeldzahlungen und der Frage, wie diese mit dem Interesse an Kohls fortdauernder Kanzlerschaft zusammenhängen könnten. Auch der Entdemokratisierungseffekt der „Europäisierung“, der eigentlich als Fortsetzung der einst im Besatzungsstatut festgelegten „Einbindung“ zu verstehen ist, kommt in der Weise zum Vorschein, daß die europäische Parteienfinanzierung die Parteien noch unabhängiger vom Bürger machen soll.

Der Sache nach findet sich erstmals bei von Arnim, mehr beiläufig ausgesprochen, eine unverkennbare Ablehnung des ideologischen Konzepts der wehrhaften Demokratie, die er als einseitige Betonung des Repräsentationsprinzips (im Sinne der Richtigkeitsgewähr) gegen das Partizipationsprinzip (Demokratie) kennzeichnet. Damit kontrastiert freilich die kritiklose Billigung des sogenannten Radikalenerlasses, obwohl von Arnim durchaus den denunzierenden Charakter von Begriffen wie „verfassungsfeindlich“ erkennt, was er sich aber nur im Falle der PDS zu exemplifizieren getraut. Damit verfehlt er immer noch das wesentliche Element, das der Verwirklichung des politischen Wettbewerbs in der Bundesrepublik entgegensteht, dessen Mangel („Scheinwettbewerb“) letztlich die bundesdeutschen Demokratiedefizite erklärt. Obwohl von Arnim erstmals systematischer darstellt, daß das „System“ im wesentlichen ein Ideologiesystem mit Denkverboten und Tabuisierungsgeboten darstellt, kommt der Begriff „Verfassungsschutz“ nicht vor. Und dies, obwohl der VS doch als Ideologiekontrollbehörde dieses „System“ insbesondere „gegen Rechts“ am effektivsten schützt. Auch der Begriff „Vergangenheitsbewältigung“ fehlt, obwohl deren Ideologiegehalte doch das System, meist unausgesprochen, am stärksten legitimieren: Ohne das, was von Arnim als „System“ beschreibt, würden die Deutschen danach wieder „Nazis“ wählen!

Der Autor befürchtet wohl nicht zu Unrecht, bei Aufgreifen der vollen Problematik in eine „bestimmte Ecke“ gestellt zu werden, sympathisiert er doch erkennbar mit dem vielgeächteten Stammtisch. Er will eine rechte Agenda durchsetzen, ohne sich als „rechts“ einstufen zu müssen. Dies erklärt im wesentlichen seinen plebiszitären Lösungsansatz. Weil der taktische Ausgangspunkt seiner Lösungsvorschläge nachvollziehbar ist, empfiehlt es sich, für eine ernst zu nehmende rechte politischen Strömung, die Lösungsvorschläge als politische Forderung aufzugreifen. Sein Ansatz läuft zusammengefaßt auf eine Übernahme des US-amerikanischen Verfassungssystems (mehr auf Staaten- als auf Föderationsebene) hinaus. Wer darin eine ideologische Amerikanisierung sieht, hat das Demokratieprinzip nicht verstanden. Denn anders als das etablierte „Ideologie-System“ meint dieses, daß bei universeller Einführung keine gleichgerichteten Entscheidungen herbeigeführt werden, sondern daß die Deutschen wieder so deutsch werden, wie die Amerikaner amerikanisch sind.

Im übrigen würde die Rezeption des US-amerikanischen Verfassungsrechts auf eine demokratisch-republikanische Version der Bismarckschen mit den plebiszitären Elementen der Weimarer Reichsverfassung hinauslaufen und würde damit verwirklichen, was Artikel 146 GG, den auch von Arnim anführt, als Versprechen der deutschen Verfassungsgeschichte eröffnet.

Hans Herbert von Arnim: Das System - Die Machenschaften der Macht. Droemer, München 2001, 448 Seiten, 44,90 Mark


 
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