© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001

 
Weiterhin neutral bleiben
Schweiz: Die Konsequenzen für die Eidgenossenschaft nach dem Terror gegen die USA
Luzi Stamm

Der Attentäter Ramzi Youssef sagte 1993 nach seinem Sprengstoffanschlag auf das World Trade Center (sechs Tote und über 1.000 Verletzte): „Das nächste Mal, wenn wir genug Geld und mehr Verbündete haben, werden die Türme einstürzen.“ So ganz ernst hat dies damals niemand genommen.

1998 machte sich das US-Magazin Foreign Affairs Gedanken über die Folgen, wenn das Trade Center mit chemischem oder nuklearem Kampfstoff angegriffen würde. So ganz ernst nimmt man auch diese Möglichkeit nicht. Aber was ist, wenn das nächste Mal tatsächlich eine Attacke mit chemischem, biologischem oder nuklearem Kampfstoff erfolgt? Die Folgen wären noch viel schlimmer. Wegen der Verseuchung wäre Hilfeleistung kaum mehr möglich, die angegriffene Stadt könnte für Generationen unbewohnbar werden. Wer das für undenkbar hält, muß bedenken, daß auch die Attacke vom 11. September undenkbar schien.

Die Welt ist nach dem Fall der Berliner Mauer nicht sicherer geworden. Der Konflikt Ost-West ist abgelöst worden durch den drohenden Konflikt islamische Welt versus westliche Welt. Und dies ist gefährlicher, denn die Sowjetunion war berechenbarer als die Selbstmordattentäter, die den religiösen Heldentod sterben wollen. Einen eskalierenden Konflikt können wir uns nicht mehr leisten. Gefragt sind deshalb Besonnenheit und Kooperation, nicht Konfrontation. Scharfmacher wie Edgar Bronfman, Benjamin Netanyahu und Stuart Eizenstat haben uns beigebracht, wie man selbst in der moderaten Schweiz die Emotionen hochgehen lassen kann. Noch viel leichter können im Nahen Osten unbedachte Äußerungen und Interventionen den Haß hochschaukeln und eine Katastrophe auslösen.

Die USA sind Garant der individuellen Freiheit. Ohne sie würden wir in Europa längst in einem totalitären Staat leben. So gesehen verstehe ich den Satz „God bless America“ (Gott segne Amerika). Ein solcher Ausspruch ist aber bereits problematisch, wenn religiöse Denkmuster wieder im Vormarsch sind. Noch viel gefährlicher ist der zentrale Satz von Präsident Bushs Grundsatzrede: „Either you are with us or you’re with the terrorists“ (Entweder seid Ihr für die USA oder für die Terroristen). Es gibt Millionen und Abermillionen von Menschen, die im Nahen Osten die USA Israel gleichstellen und nie und nimmer auf der Seite der USA stehen wollen. Bringt man sie mit solchen Sprüchen nicht dazu, sich mit den Terroristen zu identifizieren?

So sehr die USA ein bewundernswertes Land sind, so sehr machen sie im Nahen Osten Fehler, weil sie gegenüber Israel Verpflichtungen eingegangen sind. Themen wie die Siedlungspolitik Israels drohen zu einer unaufhaltsamen Gewaltspirale zu führen. Millionen von Arabern empfinden es als grenzenlose Provokation, wenn man propagiert, Jerusalem solle zur Hauptstadt Israels werden. Wie werden sich nun die USA verhalten? Besteht die Gefahr, daß sie in ihrer verständlichen Wut auch jetzt wieder Fehler begehen? Werden sie ihre Interventionen durch die Uno absegnen lassen (völkerrechtlich kann nur der Uno-Sicherheitsrat grünes Licht für Gewaltanwendung geben)? Wird im Uno-Sicherheitsrat wegen des 11. September kein Veto eingelegt? Richtet sich dann der Haß von Millionen von Muslimen nicht nur gegen die USA und Israel, sondern auch gegen die Uno?

Solche Befürchtungen können für die Schweiz außenpolitisch nur bedeuten: Es ist noch wichtiger geworden, neutral zu bleiben. Gegenüber Terroristen gibt es selbstverständlich keine Neutralität, denn bei Kriminalität ist Neutralität generell unmöglich. Aber bei Auseinandersetzungen im Nahen Osten darf die Schweiz weder für die eine noch die andere Seite Partei ergreifen. Beim möglichen Konflikt Uno - arabische Welt muß es wenigstens noch ein Land geben, welches außerhalb der politischen Uno bleibt. Die Schweiz dient der Welt mehr, wenn sie als Nichtmitglied ihre Vermittlungsdienste anbietet und humanitäre Hilfe leistet.

 

Luzi Stamm, 49, ist Rechtsanwalt in Baden und Mitglied der Schweizerischen Volkspartei (SVP).Seit 1991 ist er Schweizer Nationalrat. Der Text erschien letzte Woche in der in Flaach erscheinenden Wochenzeitung „Schweizerzeit“.


 
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