© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/01 05. Oktober 2001

 
„Kader und Karrieristen“
Der Bürgerrechtler Hans Schwenke über die drohende PDS-Regierungsbeteiligung in Berlin und die Gefahr des Kommunismus
Moritz Schwarz

Herr Schwenke, am elften Jahrestag der deutschen Einheit scheint eine Regierungsbeteiligung der PDS in der Hauptstadt Berlin nur noch wenige Wochen entfernt. Ist eine Koalition mit der Partei des Demokratischen Sozialismus eine ganz normale Regierungsbildung wie jede andere auch?

Schwenke: Natürlich nicht! In unseren Augen ist das eine verheerende Entwicklung, und wir fragen uns, wieso wir 1990 die Staatssicherheit aufgelöst haben, wenn nun ein Mitarbeiter der Staatssicherheit eventuell Regierender Bürgermeister von Berlin wird.

Die PDS behauptet, gerade ihre Regierungsbeteiligung bedeute die Überwindung der deutschen Teilung.

Schwenke: Diese Behauptung ist schon ziemlich dreist, denn schließlich ist es gerade die PDS, die aus den aus der Teilung rührenden Ressentiments ihre politische Lebenskraft bezieht. Und wenn jemandem nach 1989 keine Gerechtigkeit widerfahren ist, dann denjenigen, die vor der Wende politisch verfolgt wurden. Sie sind es, die im neuen Deutschland „außen vor geblieben“ sind. Die Kader und Karrieristen des SED-Staates dagegen sind meist allesamt gut „in der Einheit angekommen“ und haben heute schon wieder Karriere gemacht. Für deren Interessen haben sich ja sogar Bundestag und Bundesverfassungsgericht eingesetzt!

Vollendung der Einheit heißt also gerade nicht, die ehemaligen Kader nun auch noch politisch zu integrieren, sondern den Opfern endlich zu ihrem Recht zu verhelfen?

Schwenke: So ist es, und es ist schon bezeichnend, daß das in der öffentlichen Meinung des wiedervereinigten Deutschlands meist so verdreht dargestellt und betrachtet wird.

Wieso vermag sich die PDS stets so erfolgreich als Stimme der „Opfer der Einheit“ darzustellen?

Schwenke: Das ist eine Fortsetzung - und das ist vor allem den meisten Deutschen in den alten Bundesländern nicht klar - des Propagandatricks, dessen sich schon die SED all die Jahre hindurch so erfolgreich bedient hat: Sie hat jede Kritik an ihrer politischen Führung als eine Diffamierung der Bevölkerung der DDR denunziert, als eine Diffamierung der Werktätigen und der Arbeiterklasse. Diese Strategie setzt die PDS nun fort: Sie „treibt“ gewissermaßen die Menschen in den neuen Bundsländern vor sich her und erklärt, jede Kritik an ihr sei zugleich eine an den Menschen dort, jede Kritik an der DDR eine Kritik an der Lebensleistung ihrer ehemaligen DDR-Bürger. Natürlich ist dem nicht so. Aber der Trick funktioniert. Das ist Demagogie.

Warum gelang es denn den Menschen, die sich als alte Antikommunisten oder als Bürgerbewegte für Freiheit und Recht der Menschen in der DDR eingesetzt haben, nicht, zur Identifikationsgröße der Mitteldeutschen zu werden?

Schwenke: Diese Menschen werden ja nicht einmal im Westen wirklich akzeptiert. Sicherlich gibt es hier und da Sonntagsreden, einen Empfang oder mal eine Auszeichnung - aber im großen und ganzen bleiben sie weitgehend unbeachtet, wenn sie nicht gar als störend empfunden werden. Das ist auch nicht verwunderlich, denn wer in der DDR aufmuckte, der mußte schon das Zeug zu einem Unangepaßten haben und der paßte sich folglich auch im neuen System nicht ohne weiteres an.

Die Mißachtung beginnt also schon in der öffentlichen Meinung des Westens?

Schwenke: Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen: Die Ablehnung einer Anzeige des Berliner Radiosenders „Hundert, 6“ durch die Berliner Zeitung dieser Tage, in der zum Beispiel an die Zahl der Mauertoten erinnert wird. Und das mit dem Argument, ein solches Erinnern trage zur Spaltung bei! Ich habe deshalb mit dem Geschäftsführer des Berliner Verlages gesprochen - aber man beißt bei diesen von den Achtundsechzigern geprägten Journalisten auf Granit. Da kann man wunderbar die Wirkung eines Mannes wie Gregor Gysi studieren, der leutselig, unterhaltsam, spritzig, witzig von Salon zu Salon turnt und dort das ahnungslose und oberflächliche Establishment unserer öffentlichen Meinung beeinflußt. Die finden dann: „Man soll die Kommunisten doch schon einmal zeigen lassen, was sie können.“ Wenn ich dann erwidere, das sei das gleiche Argument, mit dem 1933 die Nazis an die Macht gekommen sind, dann heißt es, das könne man nicht vergleichen. Da frage ich mich nur noch: Wo leben dieses Leute eigentlich?

Der Kommunismus wird in seiner weltanschaulichen Struktur also nicht durchschaut?

Schwenke: Genau, die Leute sehen immer nur das bißchen DDR, die sich in den letzten Jahren ja zudem schon in Agonie befand. Vom Wesen des Kommunismus haben sie keine Ahnung. Und von den Verheerungen, inklusive Völkermorden, die der Kommunismus in der ganzen Welt angerichtet hat, sowieso nicht. Der Kommunismus wird verharmlost, und darin liegt die Wurzel der Verharmlosung der DDR.

Der Kommunismus gilt zwar als utopisch, aber auch als im Grunde menschenfreundliche Unternehmung.

Schwenke: Leider ist das aber nicht so. Der Kommunismus hat 1917 mit Terror, Mord und Diktatur begonnen, und zwar nicht zum Zwecke des Guten, sondern zum Zwecke der Herrschaft. Da erwidern die Leute gern: „Aber in der Theorie ...“ Na, dann schlagen Sie doch mal bei Karl Marx nach! Es beginnt schon dort mit radikalen Eingriffen in die Eigentumsrechte.

Aber genau der Umverteilungsgedanke erscheint doch als die menschenfreundliche Komponente des Kommunismus?

Schwenke: Entschuldigen Sie: Wie naiv! Solchen Eingriffen in die Eigentumsrechte kann doch zwangsläufig nur die Diktatur der Enteigner folgen. Und historisch war es ja tatsächlich auch so. Das war keine Entartung der Idee, das war die konsequente Vollstreckung der Idee.

Sie waren selbst 42 Jahre lang Mitglied in der SED. Warum?

Schwenke: Mein Vater war im Widerstand gegen die Nationalsozialisten und wurde 1944 in Plötzensee enthauptet. Freunde meines Vaters, die schließlich meine väterlichen Freunde wurden, waren Kommunisten. Ich war lange vom Antifaschismus und vom Sozialismus als einzigen Antworten auf Faschismus und Krieg überzeugt. Ich kämpfte selbst sehr mit mir, bevor mir endlich klar wurde, daß diese Diktatur mit der NS-Diktatur so viel gemein hatte: Die Henker meines Vaters sollten mit den Freunden meines Vaters irgend etwas gemeinsam haben? Das ist jetzt natürlich verkürzt gesprochen.

Sie sprachen von der Mitschuld der westdeutschen Öffentlichkeit an der Verharmlosung des Kommunismus ebenso wie heute an der Verharmlosung der PDS. Gilt dasselbe für die politischen Parteien?

Schwenke: Die trifft mein Vorwurf natürlich genauso. Die haben ja sogar bereits kurz nach der Wende Mitarbeiter aus dem DDR-Staatsapparat eingestellt, denn diese Leute erweisen sich immer als dienstbar.

Woran liegt es, daß Parteien, wie die FDP, die sich angeblich so der Freiheit verpflichtet fühlt, oder die CDU, die vorgibt, das Bürgertum hochzuhalten, sich so bereitwillig mit der PDS arrangieren - wenn nicht gerade Wahlkampf ist?

Schwenke: Im Moment haben CDU und FDP ja noch Scheu vor der PDS, weil sie wissen, daß sie nicht mit ihr, sondern nur gegen sie Stimmen gewinnen können. Das entspricht derzeit noch der öffentlichen Meinung. Wenn diese aber einmal kippen sollte, dann werden auch die sogenannten „bürgerlichen“ Parteien gegenüber der PDS zu allem bereit sein. So wie wir das derzeit schon bei SPD und Grünen beobachten können. Denn diese wissen, daß sie in ihrem Wählerklientel mehr Zustimmung als Ablehnung für ein kooperatives Verhalten gegenüber der PDS erzielen. Wenn die politische Saat des Gregor Gysi, die er in den „bürgerlichen“ Salons nicht mal mehr eine CDU ekeln, mit der PDS sogar zu koalieren.

Zeigt das nicht, daß der CDU jede konservative Substanz fehlt?

Schwenke: Natürlich. Aber die Misere in diesem Land reicht noch viel tiefer. Es gibt in Deutschland verhängnisvollerweise keine echte Auseinandersetzung mit den „Sozialismen“ mehr. Weder der rote noch der braune Sozialismus wurden von uns in ihrer ideologischen Struktur wirklich erkannt. Und wenn ich heute sehe, wie unbedarft vor allem die Regierungsparteien den Bürgern in die Tasche greifen, dann wird klar, daß man offenbar rein gar nichts begriffen hat: Es existiert offenbar kein Verständnis für das, was Freiheitsrechte wirklich ausmacht.

Nämlich?

Schwenke: Die Robin-Hood-Manier erscheint auf den ersten Blick nobel und ist jedem wohlmeinenden Menschen sehr einleuchtend: Dem einen nehme ich es weg, den anderen gebe ich es. Nur funktioniert das nicht. Man muß Wirtschaft entwickeln: Sie muß akkumulieren können, und dazu braucht sie Profite, damit sie mit dem akkumulierten Kapital wieder investieren kann. Diese Grundsätze werden aber überlagert, von dem Gedanken, das dauere alles zu lange und sei nicht wirklich gerecht. Also will man die soziale Frage mit „brachialer Gewalt“ lösen, und also verteilt man um. Die Freiheit bleibt da zwangsläufig auf der Strecke, denn die Regelung nimmt immer mehr zu. Exerziert man das konsequent durch, dämmert die Gefahr einer Diktatur „des Guten“ herauf. So wird aus sozialer Versorgung politische Diktatur. So war es 1917 und 1933 und zig andere Male in der Geschichte.

Die Umverteilungsidee ist also immer der erste Eingriff in die Freiheitsrechte der Menschen?

Schwenke: So ist es, und dieser erste Schritt fällt deshalb so leicht, weil er sich sozial verbrämen läßt. Dieser Umstand wird bei all den Auseinandersetzungen mit den verschiedenen „Sozialismen“ nicht berücksichtigt.

Sowohl die Grünen - man denke an die Bürgerrechtler - als auch die SPD - ich nenne nur Namen wie Ebert, Schumacher, Reuter und Wehner - hatten einst bedeutende freiheitliche Elemente in ihren Reihen. Wie konnte es sein, daß in beiden Parteien die Ideologen über den staatsbürgerlichen Flügel gesiegt haben?

Schwenke: Überall in der Welt gibt es arm und reich, sprich die soziale Frage. Überall besteht der Wunsch, diese Ungleichheit auszugleichen. Und so setzt sich fast zwangsläufig immer wieder die Umverteilungsfraktion gegen die Freiheitsfraktion durch. Doch statt diesem Problem verantwortungsvoll zu begegenen, nutzt es die PDS sozialpopulistisch aus. Sie verspricht Dinge, die sie nicht halten kann und die eigentlich auch niemand haben will. Denn vor gut zehn Jahren sind die Menschen in der DDR gegen die Konsequenzen einer solchen Politik noch massenhaft auf die Straße gegangen.

Rächt sich jetzt die Einseitigkeit, die durch die Aufkündigung des antitotalitären zugunsten des antifaschistischen Konsenses in der Bundesrepublik entstanden ist?

Schwenke: Das rächt sich ganz gewaltig. Die Weimarer Republik war ganz bestimmt auf dem rechten Auge blind, aber diese von den 68ern geprägte Bundesrepublik ist auf dem linken Auge blind. Heute wittert man überall nationalsozialistische Gefahr, sobald nur das Wörtchen „rechts“ oder „konservativ“ erscheint. Und darüber geht der Blick - wie schon in Weimar - für die wirklichen Gefahren, die viel grundsätzlicher sind, verloren.

Wie kommt es, daß die Auseinandersetzung mit dem Extremismus der nationalsozialistischen Diktatur nicht dazu geführt hat, einen tiefenscharfen Blick für den Totalitarismus zu entwickeln? Es scheint, schon der Nationalsozialismus ist nur oberflächlich und verharmlosend wahrgenommen worden.

Schwenke: So ist es. Der Nationalsozialismus wurde lediglich in Form der KZs, des Krieges, der Kriegsverbrechen etc. wahrgenommen. Nicht wahrgenommen wurde er in Form seiner Ideologie und geistigen Gleichschaltung - seinem eigentlichen Ziel. Genauso plump wird heute übrigens das Problem der Neonazis betrachtet. Auch hier zählen ihre Parolen, das martialische Auftreten und die punktuelle Gewalt mehr als die antifreiheitliche Ideologie, die ebenfalls auf der Idee der rigorosen sozialen Umverteilung fußt: „Arbeit statt Profite“, liest man da, und die Nazis schrieben „Gegen das raffende Kapital“. Es wird nicht gesehen, daß der Nationalsozialismus diesbezüglich nicht anders funktioniert als der Kommunismus.

Wie kann eine Regierungsbeteiligung der PDS in Berlin verhindert werden?

Schwenke: Wenn der PDS in Berlin der Durchbruch gelingt, so ist das der Einstieg in die Bundespolitik. Verhindern kann man das nur, wenn es gelingt, den Menschen in Erinnerung zu bringen, wie diese Partei bereits vierzig Jahre lang experimentiert, sprich rigoros „umverteilt“ und dann das Land zugrunde gerichtet hat.

Die PDS zu verhindern bedeutet natürlich, daß FDP und CDU gestärkt werden müssen. Damit würden aber doch Parteien belohnt, die ebenso skrupellos an der Verharmlosung der PDS mitgewirkt haben wie SPD und Grüne auch.

Schwenke: Das stimmt, aber ich sehe dazu keine Alternative.

Was für Konsequenzen fürchten Sie für die SED-Opfer und Opfer-Verbände?

Schwenke: Natürlich wird die PDS dann versuchen, ihre Leute überall unterzubringen, und so wird es vielleicht so manches unliebsames Wiedersehen geben. Ich glaube aber nicht, daß sich die Situation für die Opferverbände gleich drastisch verschärfen wird, denn die PDS wird zumindest in der ersten Zeit ihrer Regierung viel Kreide fressen. Aber so mancher Behördengang wird künftig für die Opfer zur großen Demütigung werden.

Wenn die PDS an der Regierung der deutschen Hauptstadt beteiligt wird, brauchen wir dann einen „Aufstand der Anständigen“ dagegen?

Schwenke: Ja, aber diesmal der richtigen Anständigen! Nicht derart, wie vom 9. November 2000, als man alles in die Hände des Antifaschismus geraten ließ - eines Antifaschismus, der zum „antifaschistischen Schutzwall“ geführt hat.

Das heißt CDU, FDP und Grüne sollen eine rot-rote Regierungsbildung in Berlin nicht einfach hinnehmen?

Schwenke: Ja, die Opposition darf dann nicht nur auf das Parlament beschränkt bleiben, sondern muß auch in der Öffentlichkeit lautstark und organisiert sein.

Wann wird die deutsche Einheit wirklich vollendet sein?

Schwenke: Wenn die Menschen die Lehren aus der Geschichte ziehen und ihnen die Freiheit endlich wichtiger ist als soziale Gleichheit.

 

Hans Schwenke geboren 1934 in Düsseldorf, aufgewachsen in Berlin. Da ihm eine akademische Ausbildung verboten wurde, wurde er Fotograf. Seit 1948 war er Mitglied der SED, aus Protest gegen die Verhängung des Kriegsrechtes in Polen trat er 1981 aus und wurde dafür mit völligem Berufsverbot bestraft. Nach 17 Jahren der Resistenz wurde er im September 1989 im Rahmen der Bürgerbewegung aktiv. Seine Gruppe „Vereinigte Linke“, die sich nach der Wende weiter für einen „Dritten Weg“ ein-setzte, ging 1990 im Bündnis ‘90 auf, für das er ab 1991 für eine Le-gislaturperiode im Berliner Abgeordnetenhaus saß. Als 1993 Bündnis ‘90 und die Grünen fusionierten, trat Schwenke aus der Partei aus. 1990 war er Mitglied in der vom Runden Tisch mit der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit beauftragten Arbeitsgruppe. Von 1991 bis 1996 war er Vorsitzender des Berliner Bürgerkomitees. Er war beteiligt an der Ausarbeitung des 1992 in Kraft getretenen Stasiunterlagengesetzes. Seit 1994 ist er Mitglied im „Bund der stalinistisch Verfolgten“ (BSV), seit Fe-bruar 2001 ist er dessen Bundesvorsitzender. Kontakt: Ruschestraße 103, 10365 Berlin

 

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