© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/01 05. Oktober 2001

 
Vorbehalte bleiben gültig
Die Bundeswehr droht der Kontrolle durch das Parlament zu entgleiten
Klaus Hammel

Was von jedermann erwartet wurde, ist eingetreten: Der Einsatz von Truppen der Nato in Mazedonien wird verlängert. Obwohl beide Ereignisse nichts miteinander zu tun haben, hat der Bundestag unter dem Eindruck der Terroranschläge in den USA beinahe einstimmig nicht nur der Verlängerung und inhaltlichen Abänderung des Einsatzes zugestimmt, sondern auch die Kommandoführung durch die Bundeswehr akzeptiert.

Kein einziger der ursprünglichen Vorbehalte der Abweichler in den Regierungsparteien oder bei der Opposition ist gegenstandslos geworden: Die Risiken bleiben bestehen, die Verwirklichung des politischen Zwecks ist zweifelhaft, langfristig und kurzfristig ändern die zugesagten Milliarden für die Terrorismusbekämpfung nichts am Stand der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr.

Die Diskussion um den Mazedonien-Einsatz, aber auch die Unterstützung der Amerikaner bei den Schlägen gegen den Terrorismus erfordert es, auf zwei grundlegende Sachverhalte einzugehen, deren Problematik weit über aktuelle Anlässe hinausreicht: 1.) Tatsache ist, daß, unabhängig von gegebenen oder nicht gegebenen militärischen oder politischen Zielsetzungen, die Solidarität mit den Bündnispartnern als zwingende Voraussetzung für die Beteiligung Deutschlands am Einsatz angesehen wird; und 2.) der Versuch namhafter Politiker, die durch das Bundesverfassungsgericht vorgegebene Zustimmung des Parlaments für Kriseneinsätze aufzuheben oder zu relativieren.

Wenn wir es ironisch ausdrücken, dann müßte der ausschlaggebende Artikel des Grundgesetzes für die Aufgaben der Streitkräfte, der Artikel 87a Abs. 1, um eine neue Voraussetzung ergänzt werden, nämlich um die Bündnissolidarität.

In typisch deutscher Übertreibung wird das „Bündnis“ ideologisiert und zum Selbstzweck erhoben, ohne zu berücksichtigen, daß Bündnisinteressen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner jeweiliger nationaler Interessen beruhen.

Konsequenterweise bestimmt bereits der Art. 5 des Atlantikvertrages, daß die Erklärung des „Bündnisfalles“ keinesfalls einen Automatismus darstellt, sondern eine autonome Entscheidung der jeweiligen Regierung ist. Die Nato hat also mit ihren Erklärungen im Zusammenhang mit den Terroranschlägen eine Kompetenz vorgegeben, die sie gar nicht besitzt. Wenn dies für den eigentlichen Zweck des Bündnisses, die Verteidigung des Vertragsgebietes, gilt, wieviel mehr muß es für Einsätze im Rahmen der internationalen Krisenbewältigung gelten.

Abgesehen davon, daß der deutschen Öffentlichkeit die große Bewährungsprobe noch bevorsteht - noch haben wir keine Gefallenen zu beklagen -, wird die Bevölkerung unverzichtbare Opfer nur dann zu tragen bereit sein, wenn eine transparente, den deutschen Interessen dienende Zielsetzung mit dem Einsatz verbunden ist. Wird die Bündnissolidarität aber zum Fetisch erhoben, dann wird die Entscheidung zur Beteiligung nicht nur der Verantwortung der Regierung und des Parlaments entzogen. Der Einsatz erfolgt dann nach einem Automatismus, dessen Regeln von anderen bestimmt werden.

In diesem Zusammenhang könnte der Vorstoß der CDU-Politiker Schäuble und Lamers, den vom Bundesverfassungsgericht 1994 festgestellten Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen aufzuheben, fatale Auswirkungen haben. In Ergänzung zu den Artikeln 35 (Einsatz der Streitkräfte im Katastrophenfall) und 91 (Innerer Notstand) regelt der Artikel 87a in den Absätzen 3 und 4, unter welchen Voraussetzungen Streitkräfte über die Zwecke der Verteidigung hinaus eingesetzt werden dürfen.

Die Verfassung legt in weiteren Artikeln fest, wann der Einsatz der Streitkräfte der Zustimmung des Parlaments bedarf, beispielsweise im Artikel 80a (Spannungsfall) oder Artikel 115a (Verteidigungsfall). Wenn sich nun in den Augen mancher Politiker der Parlamentsvorbehalt als störend erweist, dann ist dies kennzeichnend für den Stellenwert, der dem Parlament im Laufe der Zeit zugewiesen wurde. Es ist die Abstimmungsmaschine für Entscheidungen, die im Vorfeld zwischen Regierung und Opposition, zwischen der Regierung und den Ländern ausgehandelt werden.

Wie könnte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beseitigt werden, da dieses ja wohl nicht auf Antrag der Parteien seine eigene Vorgabe revidiert? Soll der Vorbehalt generell aufgehoben werden oder nur in Fällen wie Mazedonien? Werden die Schleusen für eine Kungelei dann nicht noch mehr geöffnet, bei Einsätzen, die die Betroffenen das Leben kosten können?

Wenn es darum geht, sich von vordemokratischen Zeiten abzugrenzen, wird immer wieder betont, die Bundeswehr sei ein Parlamentsheer, nicht eine Armee der Regierung oder des Monarchen. Um so bemerkenswerter sind nun Vorstöße, die parlamentarische Kontrolle gegenüber der Exekutive einzuschränken. In einer entscheidenden Frage, die aufgrund der realen politischen Lage von größerer Tragweite ist als die Erklärung des Spannungsfalles oder des Verteidigungsfalles, würde sich das Parlament selbst seiner Kontrollbefugnis begeben und seine eigene Machtlosigkeit fortschreiben. Ein weiterer Schritt zur Internationalisierung deutscher Politik wäre getan.

 

Klaus Hammel, 61, Oberst i. G. a. D. lebt als freier Publizist in München.


 
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