© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/01 28. September 2001


Merkwürdige Vorgänge
Einwanderung: Der begehrte Vertriebenen-Status wird auch rechtswidrig erworben
Hans-Jürgen Sommerfeld

Die Witwe des 1999 verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, und der Campus-Verlag haben sich in einem vor dem Kammergericht Berlin geschlossenen Vergleich mit dem deutschen Diplomaten Karl-Heinz Sch. geeinigt, die über den Kläger Sch. in der 1996 erschienenen Autobiographie „Damit bin ich noch längst nicht fertig“ im Kapitel „Geistige Brandstifter“ verbreiteten unwahren und beleidigenden Behauptungen nicht zu wiederholen. Die Witwe und der Verlag haben eine Entschädigung an Sch. gezahlt. Die restliche Auflage der Autobiographie wurde eingestampft.

Zuvor war auch dem Ullstein-Buchverlag vom Landgericht Berlin verboten worden, die Taschenbuchausgabe von 1998 weiter zu verbreiten. Es wurde ein Schadenersatz an den Kläger Sch. gezahlt. Bubis hatte noch zu Lebzeiten am 23. Februar 1999 vor Gericht einräumen müssen, daß er den Beweis für seine beleidigenden Behauptungen nicht erbringen könne.

Der von Bubis gegen den Diplomaten Sch. erhobene Vorwurf nazistischer Gesinnung knüpfte an eine Kritik an, die der damalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin, Heinz Galinski, bereits am 4. Februar 1988 äußerte. Es ging um die Anerkennung jüdischer Antragsteller als deutsche Volkszugehörige nach dem Bundesvertriebenengesetz. Seit Ende der siebziger Jahre hatten Sowjetbürger, die in der UdSSR mit jüdischer Nationalität geführt worden waren, die Ausreise nach Israel in Wien oder Rom abgebrochen und sich mit Hilfe gefälschter Urkunden „deutsche Eltern“ zugelegt. Das ermöglichte ihnen die Einreise nach Deutschland, wo sie z. B. Wohngeld, Leistungen aus der Rentenversicherung oder Zulassung als Arzt in Empfang nehmen konnten.

In Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen wurden Sonderkommissionen der Polizei geschaffen, die sich bemühten, den Fälschungskomplex aufzuklären. Eine von der Staatsanwaltschaft Frankfurt/M. nach Israel unternommene Dienstreise blieb erfolglos, weil die israelischen Behörden nicht bereit waren, bei der Vernehmung ihrer Staatsbürger mitzuwirken.

Als Beamte des deutschen Außenministeriums im Auftrag innerdeutscher Behörden und Gerichte bei den sowjetischen Stellen nachforschten, entpuppten sich die Prüfungsfälle durchweg als Fälschungen. Bei einem Bremer Anwalt, der in den Vorfahren auftrat und unter betrugswilligen Zuwanderern als Geheimtip galt, gingen die zuständigen Stellen davon aus, daß es allein mit seiner Hilfe in etwa 200 Fällen gelungen war, mit falschen Urkunden, Zeugenaussagen oder neuen Identitäten die Anerkennung als „deutsche“ Vertriebene zu erreichen. Auch in Berlin und Südhessen waren kriminelle deutsche Rechtsanwälte in einschlägige Betrugsverfahren verwickelt.

Behörden wurden als antisemitisch verdächtigt

1980 wurden bei der Jüdischen Gemeinde in Berlin die dort beschäftigten ehemaligen Sowjetbürger Genrich P. und Michael R. festgenommen. Gegen P. lag inzwischen ein amerikanischer Auslieferungshaftbefehl vor. Der vom damaligen Chef des Bundeskanzleramts, Wolfgang Schäuble, auf die vorerwähnte Beschwerde des inzwischen zum Vorsitzenden des Zentralrats der Juden berufenen Heinz Galinski nach langem Zögern am 31. März 1989 erteilte Bescheid, wonach auftretende Verdachtsmomente ohne Ansehen der Person aufgeklärt werden müßten, überzeugte Galinski, Bubis und ihr Umfeld nicht. Anstatt daß die jüdischen Funktionsträger bei der Aufklärung der Betrugsfälle mitwirkten, wurden Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung antisemitischer Tendenzen verdächtigt. Es gelang sogar, die Einstellung strafrechtlicher Ermittlungsverfahren (Paragraph 153 StPO) gegen betrügerische Zuwanderer zu erreichen.

Das für die Ausstellung von Vertriebenenausweisen an volksdeutsche Aussiedler zuständige niedersächsische Ministerium wies in einem Rundschreiben noch vor dem Regierungswechsel in Niedersachsen 1990 von der CDU/FDP zu Rot-Grün darauf hin, daß ein Mangel an Beweisen kein Anlaß sein dürfe, gefälschte Urkunden und Schriftstücke vorzulegen oder unrichtige Zeugenaussagen zu verwenden.

Ein Fall der Einflußnahme auf Spitzenpolitiker mit dem Ergebnis der Aufrechterhaltung einer erschlichenen Anerkennung eines Betrügers mit israelischer Staatsangehörigkeit wurde nach dem Regierungswechsel in Hannover bekannt. Dadurch erntete der gerade ins Amt gekommene Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Jürgen Trittin (Die Grünen), das besondere Lob der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung vom 1. November 1990.

Die Zeitung machte einen Skandal öffentlich, für den sich weder Bundesversicherungsanstalt noch der Bundesrechnungshof noch die Staatsanwaltschaft interessiert haben: Ein Sowjetbürger jüdischer Herkunft reiste 1978 aus der UdSSR nach Israel aus und erwarb dort die israelische Staatsangehörigkeit. Über die deutsche Botschaft in Tel Aviv beantragte er die Übernahme als volksdeutscher Heimatvertriebener in die BRD. Da er die deutsche Volkszugehörigkeit nicht nachweisen konnte, lehnten die zuständigen deutschen Stellen den Antrag ab. Draufhin reiste er mit seinem israelischen Paß nach Deutschland. Mit Hilfe des erwähnten Bremer Anwalts und falscher Zeugenaussagen erreichte er die Ausstellung des Vertriebenenausweises und Zahlung einer beitragsfreien Sozialversicherungsrente. Bei einer unter Einschaltung des Auswärtigen Amts vorgenommenen Überprüfung verwickelte er sich in Widersprüche. Allein hinsichtlich seiner Verfolgung gab es vier Versionen. Eine Rückfrage der deutschen Botschaft bei den sowjetischen Behörden ergab, daß der Zuwanderer und seine Eltern in der UdSSR mit jüdischer Nationalität geführt worden waren. Nur deshalb war ihm zuvor die Einreise nach Israel und sofortige Einbürgerung gestattet worden. Das Vertriebenenamt verfügte nun die Einziehung des Vertriebenenausweises, was auch zur Einstellung der seit 1988 bezogenen Sozialversicherungsrente geführt hätte.

Wie aus dem freimütigen Artikel der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung hervorgeht, setzte sich Minister Jürgen Trittin mit der Begründung, das „sogenannte Deutschtum sei nicht an das fragwürdige Abstammungskriterium zu binden“, willkürlich über Gesetz und Rechtsprechung hinweg und entschied, dem betrügerischen Zuwanderer den Vertriebenenausweis zu belassen.

In der Bubis-Autobiographie wird der Diplomat Sch. verleumdet, der mit der Aufdeckung der Fälschungen befaßt gewesen war. Die Entwirrung des Fälschungsgeflechts in Hunderten von Fällen wird von Bubis auf den Satz verkürzt: „Nach der Rassentheorie der Nazis kann ein Jude gar kein Deutscher sein.“ Darum ging es aber nicht. Russische Einwanderer hatten Abstammungspapiere gefälscht, um sich in Deutschland zu bereichern.

Ehe der Beamte des deutschen Außenministeriums den Rechtsweg gegen Bubis beschritt, um gegen seine Verleumdung als „geistiger Brandstifter“ und die falschen Tatsachenbehauptungen vorzugehen, bat er seinen Dienstherrn, das Auswärtige Amt, unter Hinweis auf Paragraph 79 des Bundesbeamtengesetzes um die Gewährung von Rechtsschutz. Nach dem Gesetz hat der Dienstherr für das Wohl des Beamten und seiner Familie zu sorgen. Daraus erwächst ein Rechtsanspruch auf wohlwollende Behandlung und Gewährung von Rechtsschutz. Das Auswärtige Amt lehnte den Antrag auf Übernahme von Anwaltskosten mit der Begründung ab, der erhobene Vorwurf müsse unzutreffend sein und es müsse ein besonderes dienstliches Interesse bestehen, gegen den Vorwurf vorzugehen.

Nach dem erfolgreichen Abschluß der beiden Gerichtsverfahren fragte Sch. beim Auswärtigen Amt an, welches „dienstliche Interesse“ es 1998 gehindert habe, seiner Fürsorgepflicht gegenüber einem bewährten Beamten nachzukommen. Das Auswärtige Amt lehnte eine Beantwortung der Fragen ab. Es erklärte sich auf Antrag, wie zuvor auch das Bundespräsidialamt, bereit, die am 5. Januar in der JUNGEN FREIHEIT erschienene Kurzmeldung über die Gerichtsentscheidungen gegen die Ignatz Bubis-Autobiographie in das Bibliotheksexemplar des Amts einkleben zu lassen.


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