© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/01 28. September 2001

 
Der Sparwahn rächt sich jetzt
Bundeswehr: Die kaputtgeschrumpfte Armee kann nur mit großen Finanzhilfen mithalten/Einsatz so gut wie unmöglich
Paul Rosen

Eigentlich dürften sich die rot-grünen Politiker mit Kanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer an der Spitze nicht beschweren, sie seien nicht gewarnt worden. Seit ihrem Amtsantritt haben sie den Bundeswehr-Etat als Steinbruch verwendet - noch rigoroser als die bürgerliche Vorgängerregierung. Jetzt, nachdem die beiden WTC-Wolkenkratzer in New York und Teile des Washingtoner Pentagons als Folge terroristischer Anschläge in Schutt und Asche liegen, rollen Schröder und Fischer Milliardensummen heran, um innere und äußere Sicherheit auf einen höheren Stand zu bringen. Denn die Bundesrepublik, so haben selbst rot-grüne Strategen erkannt, ist gegen die neue Form der Bedrohung nicht mehr ausreichend geschützt.

So neu ist die Bedrohung, die wir in den USA schmerzhaft miterlebt haben, allerdings nicht. Nur die Dimension der Opferzahlen hat man sich nicht vorstellen können. Kleinere Katastrophenszenarien mit terroristischen Angriffen auf Einkaufszentren wurden selbst in der eher biederen Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg durchgespielt. Schon vor zwei Jahren kamen Experten dort zu dem Ergebnis, daß die Folgen eines Terroristen-Angriffs auf ein Einkaufszentrum bei Einsatz von biologischen Waffen nur von Soldaten, aber nicht mehr von Polizei und Hilfswerken in den Griff zu bekommen seien. Mehr als ein Aufschrei der Empörung fand damals nicht statt.

Die Diskussion scheint derzeit einen ähnlichen Weg zu nehmen - wenn auch auf einem höheren Machtniveau. Jetzt streitet sich das rot-grüne Bundeskabinett. Der zu einem „roten Peter Gauweiler“ mutierte Innenminister Otto Schily weiß längst, daß „wir polizeiliche Ziele auch mit militärischen Mitteln zu erreichen versuchen“. Kanzler Gerhard Schröder und sein Mallorca-Bademinister Rudolf Scharping, im bürgerlichen Nebenjob für die Bundeswehr zuständig, widersprechen heftig und wollen nichts davon wissen.

Doch schon jetzt stöhnt Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, er könne mit seiner Landespolizei den Schutz der zahlreichen Bundesgebäude nicht mehr gewährleisten. Schily, sonst knochenhart, verweigert jedoch zusätzliche Einheiten des Bundesgrenzschutzes, weil die Beamten dort ebenfalls überlastet sind. Die Regierenden merken, daß sie zu viel Friedensdividende kassiert haben. Sie haben den Fehler gemacht, der manchem Unternehmensinhaber auch zum Verhängnis wurde: Wer zuviel Geld herauszieht, kann nicht mehr weiterexistieren.

Nun steht die Existenz der Bundesrepublik Deutschland wahrlich nicht auf dem Spiel. Aber die Bürger verlangen Sicherheit. Wenn nach den Anschlägen in den USA und nach amerikanischen Gegenreaktionen Terroristen gleich welcher Herkunft die nächste Runde einläuten und Anschläge auch in Europa verüben sollten, sieht es um den Schutz von Menschen und Wirtschaft in Deutschland wahrlich nicht gut aus.

Aus verständlichen und geschichtlichen Gründen hat sich das politische System Westdeutschlands jahrzehntelang eine teure Bundeswehr geleistet, die nur einen Auftrag kannte: das Land so lange gegen russische Panzertruppen zu verteidigen, bis die amerikanische Unterstützung in Europa gelandet ist. Seitdem die Bedrohung durch den Ostblock weggefallen ist, kassierten die Kanzler Kohl und Schröder die Friedensdividende: Die Verteidigungsausgaben, einst bis zu zwanzig Prozent des Bundeshaushalts, sanken unter zehn Prozent.

Jetzt kommt die Quittung: Die politisch Verantwortlichen haben die Veränderungen der Bedrohungslage schlichtweg ignoriert, obwohl auf zahlreichen Expertentagungen und in ebenso zahlreichen Geheimdienstberichten darauf hingewiesen wurde. Jetzt werden Sicherheitskräfte gebraucht, die die Bürger und ihr Eigentum präventiv schützen können, aber diese Kräfte können auch mit drei Milliarden Mark nicht aus den Hut gezaubert werden.

Den Politikern wird nichts anderes übrigbleiben, als die von ihnen sträflich vernachlässigte Bundeswehr zu Sicherungsaufgaben im Inland einzusetzen, was allerdings eine Änderung der Verfassung notwendig macht. Denn Polizei und Bundesgrenzschutz allein können nicht für die Sicherheit von Tausenden von Kilometern Straße, Brücken und Eisenbahnlinien garantieren. Die zivile rot-grüne Spaßgesellschaft wird sich an erheblich mehr Uniformen gewöhnen müssen.

Das heißt natürlich auch eine Umorientierung in der Haushaltspolitik. Die Sicherheit eines Staates gibt es nicht für die 46 Milliarden Mark, die derzeit im Verteidigungshaushalt stehen.

Auch was bisher verschwiegen wurde, tritt jetzt in die Öffentlichkeit: Die deutschen Soldaten auf dem Balkan sind so schlecht ausgerüstet, daß ihre Sicherheit akut gefährdet ist. Vermutlich hätte Deutschland nicht einmal das militärische Potential, seine Soldaten dort bei einem - jederzeit möglichen - Aufstand der einheimischen Bevölkerung in einem geordneten Verfahren wieder herauszuholen.

Natürlich könnte man althergebracht argumentieren und sagen, der Balkan sei nicht die Knochen eines einzigen deutschen Landsers wert, und für einen geordneten rechtzeitigen Rückzug plädieren. Doch diese Sicht ignoriert die veränderte Bedrohung eines jeden zivilisierten Staates, die ihre Quelle - siehe die Anschläge in den USA - weit außerhalb des eigenen Territoriums in instabilen Regionen haben kann und daher präventiv auch weit außerhalb des eigenen Territoriums zu bekämpfen ist. Dafür braucht jedes Industrieland, nicht nur die Bundesrepublik, geeignete Truppen und geeignetes Gerät.

Unabhängig davon, wie hoch und umfangreich der deutsche Hilfsbeitrag für die USA sein wird: Die Bundeswehr ist nicht in der Lage, auch nur eine kleinere Hilfsmaßnahme oder einen zusätzlichen Einsatz längere Zeit durchzuhalten. Selbst der Kommandeur der Spezialstreitkräfte KSK der Bundeswehr, Günzel, hält eine Geiselbefreiung in Afghanistan für schlechterdings nicht möglich und erwartet ein Blutbad. Es gehört zu den rot-grünen Lebenslügen, das Problem mit einer vier Pfennig höheren Zigarettensteuer lösen zu wollen. Die Wahrheit ist: Es wird teurer, viel teurer.


 
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