© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/01 28. September 2001


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Staatsräson
Karl Heinzen

Militärischer Erfolg ist in jenen Regionen der Welt, die nicht ihrem eigenen Schicksal überlassen werden dürfen, nur um den Preis zu erzielen, daß die Heimatfront eine Befriedung erduldet. So romantisch es mitunter sein mag, Abenteurern, die in fernen Ländern für irgendwelche vermeintlich emanzipa­tori­schen Ziele kämpfen, Sympathien entge­genzubringen: Auch und gerade der einzelne Bürger hat sich in seinem privaten Engagement an den Bündnisverpflichtungen unseres Landes messen zu lassen. Der jetzt vom Bundeskabinett beschlossene neue Paragraph 129 b des Strafgesetzbuches bietet die Chance, hier eventuell Uneinsichtige zur Rechenschaft zu ziehen. Legt es die internationale Entwicklung und in dieser vor allem das Interesse unserer Füh­rungsmacht nahe, eine bestimmte Bewe­gung irgendwo auf unserem Planeten als terroristisch zu betrachten, so ist die Werbung für diese strafbar. Das Ende der Dritte-Welt-Solidarität, so wie wir sie kennen, ist gekommen. Ohne den Wechsel zu Schröder und Fischer wäre dies unvorstellbar gewesen.

Wer 1998 dachte, die rot-grüne Bundes­regierung würde nun, gestützt auf eine breite und durch Einbindung der PDS von Fall zu Fall sogar zu verbreiternde Mehrheit, im kompromißlosen Stil einer Diktatur, die ihre einzige Chance nutzen will, genau jenes Programm umzusetzen versuchen, das ihr ihre Gegner wie ihre Anhänger unterstellten, hat sich getäuscht. Sehr gewissenhaft haben sich Gerhard Schröder und seine Ministerinnen und Minister von Anfang an bemüht, eine weltanschauliche Herkunft, die über das eine oder andere Kabi­nettsmitglied erzählt werden mag, vergessen zu machen, und sich einzig und allein an die Staatsräson der Bundesre­publik Deutschland gehalten.

Diese ist von zweierlei Verpflichtungen gekennzeichnet. Zum einen gilt es, die Interessen der gesellschaftlichen Ober­schicht jenen Massen zu vermitteln, die ihr zu Diensten sind. Hier war Gerhard Schröder unter dem Strich bislang nicht erfolgreicher als sein Vorgänger und kann sich wie dieser darauf herausre­den, daß die Vorgaben zu uneinheitlich waren. Zum anderen ist es vonnöten, die Bundesrepublik Deutschland als ganzes zuverlässig zur Stabilisierung jener internationalen Ordnung zur Verfügung zu halten, deren Errichtung erst so viel Mühe gekostet hatte, dann das zwanzigste Jahrhundert aber doch noch zu ei­ner runden Sache hat werden las­sen. Hier stellen Gerhard Schröder und Joschka Fischer als der „Falke“ an sei­ner Seite alle ihre Vorgänger, sogar jene aus den heißeren Phasen des Kalten Krieges, in den Schatten. Wo noch Hel­mut Kohl eine Verantwortung der Deutschen allenfalls für den Weltfrieden reklamieren wollte, ist sein Nachfolger mit einem so kurzen wie erfolgreichen und daher motivierenden Krieg im Rücken nach nicht einmal drei Jahren im Amt sogar zur Anordnung räumlich entgrenz­ter und rechtlich rahmenloser Militär­schläge bereit. So schnell hat nicht einmal Adolf Hitler sein Land auf Kriegskurs zu bringen gewußt. 


 
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