© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/01 21. September 2001


Blick in die Medien
Mobilmachung
Ronald Gläser

Die Medien verbergen ihre klammheimliche Freude über die jüngste Entwicklung kaum. Das Motto im Nachrichtengeschäft lautet seit jeher: bad news are good news. Nicht die Sondersendungen oder Extrabeilagen an sich erwecken diesen Eindruck. Es sind die plakative Sprache und das zur Schau gestellte Pathos, die insbesondere die Springer-Publikationen mobilisieren. Man beteuert unentwegt seine Anteilnahme. „Wie läßt sich die Solidarität mit den USA noch stärker bekunden?“ lautet die morgendliche Frage in den Redaktionsstuben. Die Bild-Zeitung, deren Seiten sonst mit schlüpfrigen Banalitäten gefüllt sind, probt den Schulterschluß mit Amerika und läßt uns wissen, wir seien alle Amerikaner. In der B.Z. finden sich Aufmarschpläne gegen Afghanistan. Die WamS kommentiert das „helle und strahlende Licht eines unglaublichen Patriotismus“, das das Leid der New Yorker durchbreche. Ist niemandem aufgefallen, daß Bushs Rede nach dem Anschlag fast wörtlich die NS-Durchhalteparole „Unsere Mauern brechen, unsere Herzen nicht“ enthielt? Biographien des Phantoms bin Ladin werden aus der Schublade geholt. Die Suche nach dem Opferlamm, das dem erzürnten Gott geopfert werden kann, hat begonnen. Blitzumfragen zeigen, daß die Menschen überall nach Vergeltung schreien. Der elektrische Stuhl kommt einem angesichts der neuen Kriegsbegeisterung wie eine Sonnenbank vor. Fast zwei Drittel der Amerikaner wollen auf ihre Bürgerrechte zugunsten größerer Sicherheit verzichten. God bless us all. 


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