© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/01 21. September 2001

 
Es gibt nichts zu gewinnen
Amerika: Warum der Anschlag in New York nicht mit Pearl Harbor zu vergleichen ist
Walter Post

Die jüngsten Terroranschläge von New York und Washington sind von den Kommentatoren immer wieder mit Pearl Harbor verglichen worden. Betrachtet man diese beiden Ereignisse aber etwas näher, dann zeigen sich schon rein formal tiefgreifende Differenzen.

Der Überraschungsangriff einer japanischen Trägerkampfgruppe auf die amerikanische Flotte im Kriegshafen Pearl Harbor auf Hawaii am 7. Dezember 1941 traf ein rein militärisches Ziel; unter den 2.403 Todesopfern befanden sich nur 68 Zivilisten. Anders, als heute vielfach geglaubt wird, gab es sehr wohl eine japanische Kriegserklärung; diese wurde durch ein Mißgeschick in der japanischen Botschaft in Washington nur verspätet überreicht, mehr als eine Stunde nach Beginn des Angriffs statt unmittelbar davor. Der japanische Angriff auf Pearl Harbor war somit ungeachtet aller Propaganda vom „heimtückischen Überfall“ eine legitime Kriegshandlung.

Dagegen trafen die Terroranschläge von New York und Washington - sieht man von den Militärs im Pentagon ab - ausschließlich Zivilisten. Es gibt weder eine Kriegserklärung noch irgendeinen staatlichen Akteur, sondern nur eine schwer erkennbare internationale Organisation islamischer Terroristen. Für diese Anschläge wurden auch keine Kriegswaffen, sondern zu Lenkflugkörpern umfunktionierte Zivilflugzeuge benutzt.

Die Unterschiede werden noch viel größer, wenn man die politischen Entwicklungen betrachtet, die zu diesen Katastrophen geführt haben. Pearl Harbor war das von Präsident Roosevelt gewünschte Resultat der amerikanischen Japanpolitik. Die Beziehungen zwischen Tokio und Washington waren Ende der dreißiger Jahre wegen des japanisch-chinesischen Krieges hochgradig gespannt. Seit 1939 wollte Roosevelt die USA in den Krieg gegen Deutschland führen, aber Hitler wich allen amerikanischen Provokationen aus und weigerte sich, Amerika den Krieg zu erklären. Eine amerikanische Kriegserklärung an Deutschland war nicht möglich, da die große Mehrheit der Bevölkerung und der Kongreßabgeordneten alle kriegerischen Abenteuer ablehnten. Da sich aber Deutschland, Italien und Japan mit dem Dreimächtepakt vom 27. September 1940 gegenseitig verpflichtet hatten, Washington den Krieg zu erklären, falls die USA eine der drei Mächte angreifen sollten, bot der Ferne Osten Roosevelt die Möglichkeit, sozusagen durch die „Hintertür“ in den Krieg in Europa einzutreten. Denn es bestanden nicht nur amerikanisch-japanische Spannungen wegen China, Japan war auch in hohem Grade von amerikanischen Ölexporten abhängig. Ein Ölembargo hätte Japan dazu gezwungen, die einzig verfügbaren Ölquellen im südostasiatischen Raum, die in Niederländisch-Indien (dem heutigen Indonesien) lagen, militärisch zu besetzen. Roosevelt hatte aber mit Großbritannien und der niederländischen Exilregierung in London geheime Absprachen getroffen, denen zufolge ein japanisches Vorgehen gegen Niederländisch-Indien den Bündnisfall und damit den Kriegseintritt der USA auslösen würde. Tokio war über diese Absprachen unterrichtet. Nachdem die USA am 24. Juli 1941 ein Ölembargo gegen Japan verhängt hatten, blieb Tokio nur die Möglichkeit, eine Verhandlungslösung anzustreben oder die niederländisch-indischen Ölfelder zu besetzen und damit den Krieg gegen die USA heraufzubeschwören. Die Verhandlungen scheiterten an der amerikanischen Intransingenz, und am 25. November ging eine japanische Trägerkampfgruppe mit Ziel Pearl Harbor in See. Die amerikanische Pazifikflotte sollte durch einen Überraschungsangriff ausgeschaltet werden, um Japan die ungestörte Besetzung Niederländisch-Indiens zu ermöglichen. Tokios Entscheidung zum Krieg war in Washington bekannt, da es der amerikanischen Funkaufklärung gelungen war, einen der wichtigsten Codes im Funkverkehr zwischen dem japanischen Außenministerium und seinen Auslandsbotschaften zu knacken. Da aber Roosevelt aus Rücksicht auf die Stimmung in der amerikanischen Bevölkerung die Japaner als heimtückische Verräter hinstellen mußte, wurde die Pazifikflotte nicht gewarnt. Der Angriff auf Pearl Harbor war für den Präsidenten somit keine Überraschung, sondern das Ergebnis einer zielgerichteten Politik. Obwohl Pearl Harbor eine militärische Katastrophe darstellte, war Roosevelt am Ziel seiner Wünsche: eine geeinte Nation im Krieg gegen Japan und Deutschland.

Was die spektakulären Terroranschläge von New York und Washington betrifft, so erscheint es äußerst unwahrscheinlich, daß Präsident Bush oder irgendein ein anderes Regierungsmitglied diese Katastrophe bewußt herbeigeführt hat. Sie ist vielmehr als das Ergebnis einer verfehlten amerikanischen Nahostpolitik anzusehen.

Präsident Eisenhower legte großen Wert auf gute Beziehungen zu den arabischen Staaten und lehnte jede einseitige Bevorzugung Israels ab. Die USA konnten damals wegen ihrer antikolonialen und antikommunistischen Grundhaltung in der arabischen Welt auf breite Sympathien rechnen. Als 1956 Großbritannien, Frankreich und Israel Ägypten überfielen um die britische Herrschaft über den Suezkanal wiederherzustellen, verweigerte Eisenhower den drei Mächten jegliche Unterstützung und zwang sie damit zu einem demütigenden Rückzug.

Der wachsende Einfluß der amerikanischen jüdischen Organisationen und die vermeintliche strategische Bedeutung Israels im Ost-West-Konflikt führten Washington nach den Nahostkriegen von 1967 und 1973 zu einer Politik der bedingungslosen Unterstützung des jüdischen Staates. Dies mußte die arabische Welt zwangsläufig gegen Amerika aufbringen, da die Annexions- und Repressionspolitik Israels gegenüber den Palästinensern als Demütigung aller Araber angesehen wird. 1991 versuchte Präsident Bush der Ältere die gesamte Nahostproblematik im Rahmen einer Gesamtkonzeption zu lösen. Durch den Krieg gegen den Irak wurden die USA zum großen Schiedsrichter im arabischen Raum. Diese Rolle Amerikas sollte durch eine Regelung des Palästinenserproblems für die Araber annehmbar gemacht werden. Der sogenannte „Friedensprozeß“ scheiterte aber an der Weigerung Israels, den Palästinensern wirkliche Zugeständnisse zu machen. Die israelische Annexions- und Siedlungspolitik wurde verstärkt fortgesetzt, Arafat und der palästinensischen Autonomiebehörde nur eine Pseudosouveränität zugestanden. Das unvermeidliche Ergebnis war der erneute Ausbruch von Gewalt in den besetzten Gebieten. Die USA weigerten sich auch weiterhin, auf Israel den notwendigen Druck auszuüben, um es zu einer ernsthaften Lösung des Palästinenserproblems zu bewegen. Mit der Anti-Rassismus-Konferenz von Durban schwanden die letzten Hoffnungen, daß die Amerikaner oder die Europäer Israel wenigstens verbal verurteilen würden. Damit war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die USA selbst zum Ziel terroristischer Anschläge werden würden. Überraschend war allerdings das verheerende Ausmaß des ersten Schlages.

Während Präsident Roosevelt seinerzeit die treibende Kraft der amerikanischen Kriegspolitik war, droht Präsident Bush nun in einen „Krieg der Kulturen“ hineingetrieben zu werden, bei dem es für Amerika positiv nichts zu gewinnen gibt.

 

Dr. Walter Post ist Historiker, zahlreiche Veröffentlichungen zum Zweiten Weltkrieg, u.a.: als Herausgeber von „Pearl Harbor 1941. Eine Amerikanische Katastrophe“ (Herbig).


 
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