© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/01 21. September 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Eine ungewöhnliche Allianz gegen Terror
Carl Gustaf Ströhm

Wenn Wladimir Putin ab 25. September auf Staatsbesuch in Berlin weilt, bedarf es keiner Geheiminformation, um zu wissen, was der Gast den Deutschen schulterklopfend vorschlagen wird: eine noch engere Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Terrorismus. Angesichts der Selbstmord-Anschläge in den USA hat Rußlands Präsident durchaus Chancen, bei seinen Gastgebern auf offene Ohren zu stoßen.

Deutsche Politiker haben bereits vorher ihre Zufriedenheit darüber ausgesprochen, daß nun auch Rußland und China bereit sind, gemeinsam mit dem Westen die „Pest des 21. Jahrhunderts“ (Putin) zu bekämpfen. Doch ist der - seit den über 300 russischen Terroropfern vom September 1999 - erwachte Anti-Terror-Eifer Moskaus allein ein Zeichen demokratischer Reife, oder stecken auch noch andere Motive dahinter?

Wenn Putin von Terrorismus redet, meint er Tschetschenien. Nach dem Einsturz der Wolkenkratzer und angesichts des brennenden Pentagon, erklärte man in Moskau, jetzt müßten auch die USA endlich einsehen, daß das russische „Durchgreifen“ in Tschetschenien notwendig war. Und gewiß enthält der tschetschenische Kampf auch terroristische Elemente. Aber das Problem Tschetschenien auf Terrorismus zu reduzieren hieße, viel zu kurz zu greifen. Die Tschetschenen haben seit fast zwei Jahrhunderten einen Widerstandskampf hinter sich, den schon Leo Tolstoj literarisch beschrieb und später Alexander Solschenizyn in seinem Gulag-Buch würdigte. Solschenizyn beschrieb, wie die Tschetschenen von Stalin gewaltsam deportiert wurden und wie es in den sowjetischen Lagern nur eine Nation gab, die keinen einzigen Spitzel für die Geheimpolizei stellte: Das waren die Tschetschenen. Auch russische Demokraten, wie der Menschenrechts-Aktivist Sergej Kowaljow haben sich auf die tschetschenische Seite gestellt.

Wenn man erfährt, daß der BND mit dem erneuerten russischen Geheimdienst in der Bekämpfung der Tschetschenen kooperiert, ist einem nicht ganz wohl zumute. Denn was immer man sonst sagen mag - russisches Militär und Polizei haben in Tschetschenien massive Menschenrechtsverletzungen begangen und Tausende von Zivilisten getötet. Interessant ist, daß sich westliche Menschenrechtsorganisationen nicht sehr nachhaltig für das Thema interessierten. Wenn zwei dasselbe tun - dann ist es offenbar nicht dasselbe. Auch noch so naive „Germanen“ sollten nicht vergessen, daß der jetzige russische Präsident ein alter KGB-Fuchs ist - u. a. Ex-Geheimdienst-Resident in Dresden. Putin ist durch diese Geheimdiensterfahrung ebenso geprägt wie sein Verteidigungsminister Sergej Iwanow. Ein ehemaliger KGB-Kollege Putins, Konstantin Preobraschenskij, behauptete jüngst sogar, die Geheimdienste seien im heutigen Rußland mächtiger als seinerzeit in der Sowjetunion.

Jedenfalls hat der Chef des FSB - des „Föderalen Sicherheitsdienstes“ (der wichtigsten KGB-Nachfolgeorganisation), Nikolaj Petruschew, neulich bekanntgegeben, daß der „Dienst“ in Zukunft auch anonymen Denunziationen nachgehen werde - was zu Stalins Zeiten praktiziert, dann aber von Michail Gorbatschow verboten wurde. Auch westliche Geschäftsleute werden neuerdings wieder „diskret“ überwacht.

Es wäre ein allerdings trauriger Treppenwitz, wenn die schrecklichen Vorfälle in den USA dazu beitragen sollten, daß im Kampf gegen die „islamistische Internationale“ (Putin) ganze Völker, wie etwa die Tschetschenen, unterdrückt werden. Womöglich auch noch unter Beifall des Westens.


 
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