© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/01 21. September 2001

 
Die unbekannten Netzwerke
Religion: Der Islam ist in Deutschland gut organisiert - nur wenige sind Extremisten
Alexander Barti

In einem Beitrag auf seiner Homepage äußert Yavuz Özoguz, Leiter des Internet-Servers Muslim-Market, große Sorge über die aktuelle Entwicklung in Deutschland. Vor allem islamische Frauen, die durch das Tragen von Kopftüchern leicht zu identifizieren seien, wurden angepöbelt und angespuckt. Özoguz wisse von einer Schülerin, die am Tag nach den Anschlägen in Amerika mit den Worten: „Na, hast Du mitgefeiert?“ von ihrem Lehrer empfangen wurde. Andere Muslime ließen ihre Kinder nicht mehr in die Schule oder trauten sich nicht mehr auf die Straße.

Die Lage der Muslime in Amerika scheint ähnlich zu sein. Nach zahlreichen Übergriffen sah sich der amerikanische Präsident Bush veranlaßt, die Welle der Gewalt gegen die Anhänger des Islam scharf zu verurteilen.

Der Aufruf zur Besonnenheit, wie man ihn auch in Deutschland von führenden Politikern hört, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß der durchschnittliche Bürger von der Religion der Eingewanderten keine Ahnung hat. Man redet pauschal von „islamischen Fundamentalisten“ und glaubt, das Übel benannt zu haben. Völlig übersehen wird dabei, daß der Islam - ebenso wie das Christentum - in verschiedene Strömungen geteilt ist, die sich oft erbittert gegenüberstehen. „Bin Laden oder Saddam Hussein sind nicht unsere Leute. Das sind eure Leute, wie auch die Könige und Prinzen in Saudi-Arabien“, sagt Özoguz, und meint damit den sogenannten „US-Islam“, der nach Meinung vieler Araber vom Westen korrumpiert wurde. Aber in Zeiten der Emotionen wird wenig differenziert, die empörte Masse will klare Gegner.

Neben den Sunniten und Schiiten gibt es noch die sehr junge Strömung der Wahabiten. Abdul Wahab (1703-1791) ist der Begründer dieser Religion, die von der Dynastie der Sauds angenommen wurde und nicht zuletzt durch die Petrodollars weite Verbreitung fand. Bekanntlich bekennt sich auch bin Laden zum Wahabismus, den man im Prinzip mit dem Puritanismus im Christentum vergleichen kann.

Der Islam ist in Deutschland vielfältig und gut organisiert. Allein das Verzeichnis Islamischer Vereinigungen und Institutionen in Deutschland zählt 868 Eintragungen. Regionale Schwerpunkte sind im Ruhrgebiet, in Berlin und Hamburg. Besonders die Hansestadt mit dem „Islamischen Zentrum“, Schöne Aussicht 36, ist in die Schlagzeilen geraten, nachdem einige der mutmaßlichen Täter vor den New Yorker Anschlägen in Hamburg gelebt und studiert haben sollen. Die „Islamische Föderation Berlin“ (IFB) wurde erst kürzlich vom Schulsenator damit betraut, den Islam-Unterricht an öffentlichen Schulen zu organisieren.

Nach dem Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz haben sich weniger als ein Prozent (58.800 Personen) der 7,3 Millionen Ausländer einer extremistischen Ausländerorganisationen angeschlossen. Dazu gehören auch marxistisch-leninistische und andere linke Gruppen, wie zum Beispiel die kurdische Arbeiterpartei PKK, die allerdings keinen Zulauf mehr haben und an Einfluß verlieren. Gleiches gilt für die extremen Nationalisten, die vor allem in der „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa e.V.“ (ADÜTDF) organisiert und auch als „Graue Wölfe“ bekannt sind. Der Idealistenverein wurde 1978 in Frankfurt am Main gegründet und hat etwa 7.800 Mitglieder. Das „größte extremistische Potential“ haben die islamistischen Organisationen mit insgesamt 31.450 Personen. Auch hier gibt es eine Stagnation bei den Mitgliederzahlen. Unverändert blieb die 1985. In Köln gegründete türkische „Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V.“ (IGMG) mit rund 27.000 Mitgliedern die stärkste Fraktion. Die IGMG soll ein Sammelbecken für die 1998 in der Türkei verbotene Wohlfahrtspartei (RP) und die ebenfalls verbotene Tugendpartei (FP) sein. Vor allem jüngere Mitglieder in den Ortsvereinen der IGMG wollen einen liberaleren Kurs einschlagen, so daß eine Abspaltung in Zukunft nicht auszuschließen ist.

Hilafet Devleti, besser bekannt als „Der Kalifenstaat“, geriet in die Schlagzeilen, als sein Begründer, Metin Kaplan, zu vier Jahren Haft wegen „öffentlicher Aufforderung zu Straftaten“ verurteilt wurde. „Der Kalifenstaat“ mit Sitz in Köln ist in den muslimischen Gemeinden weitgehend isoliert und stagniert bei etwa 1.100 Mitgliedern.

Arabische Gruppen sind personell noch geringer entwickelt. Die 1928 in Ägypten gegründete „Muslimbruderschaft (MB) in der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e.V.“ (IGD) mit Sitz in München ist multinational vernetzt und hat in der Bundesrepublik 1.200 Mitglieder. Die IGD hat im gesamten Bundesgebiet „Islamische Zentren“ nachgeordnet, ihr Präsident, Ghaleb Himmat“, lebt in der Schweiz. MB-Angehörige gründeten in München1981 den „Islamischen Bund Palästina“ (IBP), der in Deutschland die Hamas (Islamische Widerstandsbewegung) unterstützt.

Der algerische Zweig der MB nennt sich Islamische Heilsfront (FIS) und ist in Deutschland mit schätzungsweise 300 Personen vertreten. Die FIS konzentriert sich auf Aktionen in Algerien, ist aber nicht für die grausamen Massaker zuständig, da diese von der rivalisierenden „Bewaffneten Islamischen Gruppe“ (GIA) verübt werden.

Die sunnitische Organisation „Al-Gamaa Al Islamiya“ (GI) ist ebenfalls eine Abspaltung der MB. Einzelpersonen verfolgen die Schwächung Ägyptens, zum Beispiel durch Anschläge auf Touristenzentren, um einen Gottesstaat zu errichten.

1982 wurde die „Partei Gottes“ (Hisbollah, bzw. Hizb Allah) im Libanon gegründet, um gegen die israelische Besatzung zu kämpfen. Sie wird vom Iran ideologisch und materiell unterstützt und zählt in Deutschland rund 800 Mitglieder.

Völlig unklar erscheinen die Strukturen der Netzwerke „Arabische Mudsjaheddin“, von denen in Deutschland nur Einzelpersonen bekannt sind. Die internationale Organisation trainiert ihre Anhänger für Kampfeinsätze in Bosnien, Kaschmir oder Tschetschenien. Westliche Werte werden abgelehnt und bekämpft. In dem weitverzweigten Netzwerk findet man auch die Organisation „Al-Qaida“ (die Basis), die angeblich von Osama bin Laden geführt und finanziert wird.


 
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