© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/01 21. September 2001

 
„Gnadenlose Verharmlosung“
Nach den Terroranschlägen: Der Publizist Rolf Stolz über die Gefahren eines fundamentalistischen Islam
Christian Anders

Herr Stolz, die islamische Welt ist nicht nur durch das Internet und die 13 Millionen in Europa lebenden Muslime eingebunden in die modernen Entwicklungen von Wissenschaft und Ökonomie. Sieht der Islam sich durch diese Entwicklung bedroht?

Stolz: Der Islam stützt sich einerseits auf die technische Entwicklung zur Durchsetzung seiner Ziele, auf der anderen Seite ist den führenden Repräsentanten des Islam durchaus bewußt, daß technische Entwicklung, Verwissenschaftlichung und Aufklärung in einem Zusammenhang stehen. Im orthodoxen, erst recht im fundamentalistischen Islam wird die Aufklärung als die zentrale Bedrohung begriffen, hundertmal gefährlicher als alle Machtkonstellationen und Militärapparate. Hinzu kommt, daß es im Islam seit über tausend Jahren eine Unterströmung einer islamischen Aufklärung gibt, die eine Minderheitenposition hat, aber gleichwohl nicht ganz verschwunden ist.

Welche Bedeutung hat diese Unterströmung der Aufklärung für die islamische Welt?

Stolz: Die islamische Aufklärung hat sehr früh begonnen und hat ihren Höhepunkt im 9. Jahrhundert gehabt, als die Mutasiliten sogar eine Generation lang die politische Macht auf ihrer Seite hatten. Ihre Bewegung ist zurückgedrängt worden, hat aber untergründig weiterexistiert und großen Einfluß auf die arabische Philosophie und durch Übersetzungen auch auf das Denken Europas und die Entstehung der philosophischen Moderne in Europa gehabt. Aber diese geistige Bewegung hatte nie wieder dauerhaft die politische Macht an ihrer Seite und in ihrem Rücken. Über die Jahrhunderte hinweg ist sie eine unterdrückte und verfolgte Weltanschauung gewesen. Bereits die Mutasiliten haben den Koran als historisches Dokument verstanden und gelesen. Damit wurde seine Rolle als göttliche Offenbarung, die Wort für Wort, Buchstabe für Buchstabe eine nicht zu hinterfragende Wahrheit sein soll, fundamental in Frage gestellt. Mit einer solchen Radikalität wagen sich heute sehr wenige muslimische Autoren an den Islam und den Koran heran. Auch diese wenigen Dissidenten werden politisch verfolgt. Im übrigen ist das pol

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tische Lager des Reformismus und Modernismus, mit dem die muslimischen Aufklärer sich stets verbunden haben, heute in Ländern wie Ägypten weitaus schwächer als vor hundert Jahren - also zu der Zeit, als der Aufbruch der arabischen Nationalbewegung auch eine Öffnung für europäisches, aufgeklärtes Denken bedeutete und sich überall in der arabischen Welt die besten Köpfe bezogen haben auf europäische Denker wie Kant, Fichte und Locke.

In einigen Meldungen und Stellungnahmen der letzten Tage ist von der „Bedrohung der zivilisierten durch die unzivilisierte Welt“ die Rede. Ist es richtig, der islamischen Welt jegliche Zivilisation abzusprechen?

Stolz: Das ist natürlich unsinnig, da es eine islamische Zivilisation gegeben hat und weiter gibt. Man darf im übrigen nicht vergessen, daß die europäisch-abendländische Zivilisation durchaus von innen her bedroht ist durch Dekadenz und Barbarei und daß dabei die hier in Europa auftretenden barbarischen Islamisten nur ein untergeordneter Aspekt sind. In meiner Sicht sind es zwei Zivilisationen, die in einer möglichst friedlichen Koexistenz zusammenarbeiten können, die aber natürlich auch aufgrund unterschiedlicher Strukturen und Interessen von Zeit zu Zeit aufeinanderprallen werden. Auf der anderen Seite existieren in beiden Zivilisationen, sowohl in der islamischen als auch in der christlich -abendländischen, starke Kräfte, die diese Zivilisationen zerstören wollen und die an die Stelle einer durch Rationalität geprägten Zivilisation ein barbarisches Gegeneinander von Gewalt und Fanatismus setzen wollen.

Der Dschihad ist im Koran bezeugt als „Krieg nach außen zur Verteidigung des islamischen Hauses“. Ist der „heilige Krieg“ letztlich die Grundlage der Beziehungen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen?

Stolz: Es kommt immer darauf an, auf welche Tendenzen im real existierenden Islam man sich bezieht. Mit einem Teil der islamischen Welt ist eine Beziehung friedlicher Koexistenz und Kooperation möglich. Mit dem Teil der islamischen Welt, der sich auf die schon im Koran angelegte Richtung der Gewalt gegen Andersdenkende, der Unterdrückung angeblicher Ungläubiger und der Entrechtung von Andersgläubigen bezieht, ist es sehr schwer, eine friedliche Koexistenz zu finden. Das wird eher eine Koexistenz sein, die sich auf Stärke und Abschreckung stützt. Also eher ein zeitweiliger Waffenstillstand. Es ist von ganz großer Bedeutung, zu sehen, daß der Islam sich in Mekka zwar auf einen Monolithen bezieht, den schwarzen Stein, aber keineswegs monolithisch ist. Schon von seinem Anfang, schon von seiner Entstehungszeit her, gibt es zwischen der medinensischen Phase Mohammeds und seiner Zeit in Mekka große und bedeutsame Unterschiede im Verhältnis zu den anderen Religionen.

Welche Unterschiede sind Ihrer Meinung nach besonders hervorzuheben?

Stolz: Am Anfang des Islam als Weltanschauung steht die Übernahme, Weiterentwicklung und auch Verfremdung christlichen und jüdischen Gedankenguts. Am Anfang der islamischen Geschichte steht das Bündnis mit den anderen Hochreligionen gegen die Polytheisten Arabiens. Aber schon zu Lebzeiten Mohammeds ist es zu einer Konfrontation der gerade entstehenden islamischen Bewegung besonders mit den Juden gekommen. Und Mohammed selbst war mitverantwortlich für das erste große Massaker, bei dem nach der Vertreibung der anderen Juden einer der jüdischen Stämme, die seit Generationen in Medina lebten, ausgerottet wurde.

Legitimiert der Islam ein solch radikales Vorgehen wie bei den jüngsten Terroranschlägen in New York und Washington?

Stolz: Wenn wir zurückgehen auf den Koran, wenn wir die islamische Orthodoxie betrachten, dann wird immer das Handeln von Menschen danach beurteilt, ob es dem Islam als Religion, Weltanschauung oder staatlich-politische Organisationsform dient oder ob es ihm schadet. Gewalt gegen die, denen nachgesagt wird, die Welt zu verderben oder den Glauben zu verderben, wird im Koran immer wieder gerechtfertigt. Insofern ist der Koran natürlich ein Steinbruch, aus dem sich terroristische Kräfte ihre Begründungen holen. Andererseits finden wir im Koran eine ganze Reihe von Aussagen, die auch dazu dienen könnten, eine friedliche Politik islamischer Länder zu begründen. Es ist letztlich die Frage, wer sich durchsetzen wird im Islam: Diejenigen, die Frieden wollen, oder diejenigen, die Krieg wollen.

Einige der Terroristen lebten vor den Anschlägen einige Zeit unbehelligt in Deutschland. Wie bewerten Sie den Umgang der deutschen Politik mit solchen Fundamentalisten?

Stolz: Der Umgang deutscher Politik mit dem organisierten Islamismus ist in den letzten 10 bis 15 Jahren geprägt von gnadenloser Verharmlosung und von bodenlosem Leichtsinn. Ich denke, es ist dabei grundfalsch, allein den Sicherheitsdiensten die Schuld zuzuschieben. Häufig ist es so gewesen, daß diese Dienste aufgrund von Mitteln der Elektronik, zum Teil auch über eingeschleuste Agenten, über zuverlässige Informationen verfügten, um die Gewaltbereitschaft und fanatische Verhetzung von Islamisten in Deutschland nachzuweisen. Aber die politische Führung wollte das nicht hören, beziehungsweise wollte daraus keine Konsequenzen ziehen. Dabei ging es immer um wirtschaftliche Interessen und um Unterordnung unter die amerikanische Globalpolitik. Dort, wo die amerikanische Globalpolitik das Bündnis mit Saudi-Arabien, mit Pakistan, mit der Türkei in den Mittelpunkt stellte, durften die vorliegenden Erkenntnisse gegen islamistische Organisationen nicht umgesetzt werden in konkrete Schritte der Abwehr. Hinzu kommen dann zum Teil die eigenen Interessen deutscher international operierender Unternehmen, etwa was den Iran angeht. Aus solchen Gründen heraus wurde dann beispielsweise die Übernahme des Flughafens Hartenholm bei Kiel wohlwollend in Kauf genommen - eine Übernahme durch Iraner, die anscheinend in engster Verbindung einerseits zum iranischen Geheimdienst, andererseits zu terroristischen Organisationen waren.

Wirtschaftliche Interessen standen also über denen der inneren Sicherheit?

Stolz: Das kann man sehr deutlich sagen, wenn man allein das Verhältnis zum Iran betrachtet. Man nehme nur die Art und Weise, wie man Vertreter der iranischen Regierung, unter anderem den berühmt-berüchtigten Minister für die Geheimdienste nach Bonn eingeladen hat, oder die Art und Weise, wie der „Mykonos“-Mord an den kurdischen Parteiführern durch Agenten des iranische Regimes von deutschen staatlichen Stellen zunächst vertuscht werden sollte. Oder man blicke auf das Verhältnis der deutschen Regierung zu den algerischen Terrororganisationen „Islamische Heilsfront“ und „Islamischer Dschihad“. Man hat dort Absprachen getroffen in der Hoffnung, man spräche mit den zukünftigen politischen Repräsentanten eines islamistisch geführten Algeriens und später werde sich die wohlwollende Politik gegenüber Personen wie Rabah Kebir, dem Schattenaußenminister der Islamisten, der als Asylant in Deutschland aufgenommen wurde, auszahlen. Eine solche Politik ist nicht allein faktisch Komplizentum, also Beihilfe zum Mord, sondern langfristig - diese Erfahrung haben die Amerikaner gerade gemacht - ist sie selbstmörderisch. Die Brandstifter kennen keine Dankbarkeit und keine Gnade - auch nicht gegenüber Biedermännern und Meistbegünstigern.

 

Rolf StolzJahrgang 1949, ist Publizist und Buchautor. Seit 1967 in der unabhängigen Linken engagiert, gehörte er 1979 zu den Mitbegründern der Grünen und war Sprecher des Initiativkreises „Linke Deutschland-Diskussion“.

 

Veröffentlichungen: „Der deutsche Komplex. Alternativen zur Selbstverleugnung (Erlangen, 1990); „Die Mullahs am Rhein“ (München, 1994), Neuauflage unter dem Titel „Die Mullahs in Deutschland (Berlin, 1996); „Kommt der Islam? Fundamentalisten vor den Toren Europas“ (München, 1997)

 

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