© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/01 14. September 2001

 
Zum Heulen
Kino: Stephen Spielbergs „A.I. - Künstliche Intelligenz“ läßt künstlerischen Intellekt vermissen
Claus M. Wolfschlag

Das marktwirtschaftliche System gelangt in nicht allzu ferner Zukunft an sein Ende. Die Bodenschätze gehen zur Neige, Klimaveränderungen lassen Polkappen schmelzen und die Küstenebenen im Wasser versinken. Die Mehrheit der Menschen darbt in Hunger und Elend.

Einige Weltgegenden, vor allem die USA, konnten sich allerdings einen sehr hohen Lebensstandard erhalten. Der Hedonismus kann noch ein Weilchen weitergehen - nicht zuletzt dank einer sich enorm entwickelnden technologischen Forschung und einer strikten Geburtenkontrolle. Ein Kind zu empfangen bedarf nun staatlicher Genehmigung. Roboter haben die meisten der menschlichen Tätigkeiten übernommen. Gartenarbeit, Haushalt, Sex - für alle Dienste stehen spezielle Mechas (mechanische Wesen) den Orgas (organischen Menschen) zur Verfügung.

In dieser Situation kommt ein Forscherteam der „Cybertronics Manufacturing“ auf die Idee, auch einen Roboter für die Liebe zu erschaffen. Der wie ein menschlicher Junge aussehende Robotertypus David soll, einmal programmiert, für immer seine organische „Mutter“ lieben und ihr jene Gefühle vermitteln, die sie aufgrund eigener Kinderlosigkeit entbehrt. Eine der letzten Hürden zur Unterscheidung von Mensch und Maschine wird damit überschritten. Die Forscher fühlen sich als Herren einer neuen Schöpfung, denken aber - marktwirtschaftlich konsequent - kaum an die Folgen ihres Tuns, vor allem für das neu von ihnen kreierte Wesen.

Ein Film also vom schleichenden Ende der Menschheit. Welch großes Thema, welch vertane Chance, wenn es in die falschen Hände gelegt wird. Man weiß nicht, welcher Teufel Stanley Kubrick zu Lebzeiten geritten haben mag, sich Steven Spielberg als Realisierer des Roboterdramas vorzustellen, das er ursprünglich selbst in Angriff nehmen wollte. Vorausgesetzt natürlich Spielbergs Regie-Mythos als Vollstrecker von Kubricks filmischem Testament entspricht der Wahrheit. Der 1999 verstorbene Altmeister Kubrick jedenfalls hätte höchstwahrscheinlich ein durchgängig ästhetisches Meisterwerk geschaffen, bei Spielberg reichte es für unzusammenhängende Stückelei mit Hollywood-Schmalz.

Dabei spaltet sich der Film in drei völlig verschiedene Realisierungsebenen. Am Anfang steht das Filmdrama, der Kampf des kleinen Roboterjungen David (Haley Joel Osment) um die Liebe seiner organischen „Mutter“. Diese emotionale Problematik spielt sich im minimalistischen Ambiente einer modernen Wohnung ab, das durchaus einem Kubrick-Film entsprungen sein könnte.

Das eigentliche Drama beginnt hier, als der einst todkranke organische Sohn der Familie geheilt wieder in den Haushalt zurückkehrt. Die seelischen Konflikte der Mutter (Frances O’Connor), die Frage nach deren Liebe zum eigenen Fleisch und Blut oder zur ihr bedingungslos ergebenen Maschine, der Konflikt zwischen dem nur auf Liebe und Angst programmierten David und seinem auch von negativen menschlichen Energien wie Eifersucht, Haß oder Geltungsdrang getriebenen „Bruder“ wird eindrucksvoll darlegt.

Der zweite Teil des Films wird zum Roadmovie-Abenteuer des von seiner Mutter ausgesetzten Roboterjungen. An das Märchen von der Holzpuppe Pinocchio glaubend, begibt sich David auf die Suche nach einer schwarzen Fee, die ihn in einem echten Menschenjungen verwandeln könne, damit er wie ein solcher geliebt werden könne. Besteht der erste Teil des Films aus altmodischen Kameraaufnahmen, wird im zweiten Teil bereits stark mit digitaler Tricktechnik gearbeitet. Ästhetische Anklänge an „Mad Max“, „Blade Runner“ und diverse Märchenfilme sind hier nicht zu übersehen.

Das letzte Drittel des Films schließlich führt in eine gänzlich digitale Welt viele Jahrhunderte später. Der eingefrorene David wird auf dem Meeresgrund entdeckt und geborgen - nicht von Menschen, die mittlerweile ausgestorben sind, sondern von Robotern, die ihren Erschaffern allerdings höchsten Respekt zollen. David wird untersucht, wie weiland in Sibirien gefundene Mammuts, da er einer Zeit enstammt, in der Roboter noch echte Menschen kannten.

Ist der Film bis zu diesem Zeitpunkt noch innerhalb der Grenzen der emotionalen Verträglichkeit angesiedelt, so überschreitet er diese, als die Roboter der Zukunft dem kleinen Jungen durch Klonung einen letzten Tag mit seiner menschlichen „Mutter“ ermöglichen.

Spielberg besitzt mitnichten die intellektuellen und bildästhetischen Fähigkeiten eines Stanley Kubrick, dennoch ist er der perfekteste Emotionsmanipulator Hollywoods, der erwünschte Mitleids-, Abneigungs- oder Solidaritätsempfindungen im Handumdrehen medial zu erzeugen versteht, gleich ob beim faltigen Außerirdischen in „E.T.“, beim Abenteurer Indiana Jones, beim Weltkriegs-Soldaten James Ryan, beim NS-Industriellen Schindler oder nun beim kleinen Roboterjungen David. Das Strickmuster bleibt sehr ähnlich, das intellektuelle Potential der Filmthematik wird zugunsten von Herz-Schmerz aufgelöst. Anstatt zu versuchen, das Wesen der menschlichen Liebe, zum Mitwesen wie zum göttlichen Schöpfer, zu beschreiben, reduziert Spielberg es in „A.I.“ auf ein nachkonstruierbares Computerprogramm, auf einen technischen Vorgang.

Die Verherrlichung der Kraft menschlicher Liebe, angelegt im kleinen David wird dadurch gleichzeitig wieder zurückgenommen und zur bloßen chemischen Reaktion herabgewürdigt. Es sei denn, man versteht Davids Sendung im Umkehrschluß als eine Weitergabe der göttlichen Liebeskraft an die Maschine durch den Menschen: So wie Gott den Menschen nach seinem Vorbild schuf und von den Menschen für diese Schöpfung geliebt werden mußte, so sind die Roboter ihren Schöpfern, welche sie nach ihrem Vorbild schufen, also damit im Grunde auch dem Gottes, zu Liebe verpflichtet. Die Roboterwelt wird dabei zur evolutionären Fortentwicklung des göttlichen Funkens. Doch wäre es etwas gewagt, dem Streifen eine derart spirituelle Einsicht zu unterstellen. Eklatant natürlich die logischen Schiefebenen. So wurden den „Mechas“ vor Davids Entwicklung keine Gefühle zugestanden. Wozu auch? Schließlich dienen „Mechas“ doch nur der Verrichtung lästiger menschlicher Arbeiten.

Dennoch ist ihnen aus irgendeinem Grund ein letztlich kontraproduktiver Selbsterhaltungstrieb eingebaut, der sie vor Menschen flüchten läßt, sobald deren Absicht erahnbar ist, ausgediente Robotermodelle einzufangen und zu entsorgen. Kein Wunder, daß der alte Metallschrott immer mehr Platz auf der Erde einnimmt und deshalb angesichts dieser schleichenden Landnahme und Verkünstelung des Lebens manchen Menschen große Sorgen bereitet. Diese Fortschrittsfeinde werden allerdings nur als barbarischer, hedonistischer Haufen gezeichnet, der sich johlend an der Vernichtung der Roboter in Kampfarenen ergötzt. Und der letztlich zu dumm erscheint, den neuen Prototyp David von einem „Orga“-Jungen zu unterscheiden. Der Mensch hat sich seiner optischen Kontrollmechanismen selber beraubt und erliegt der Simulation, wie der Zuschauer der Spielbergschen Emotionsmanipulation.

Die Thematik ist übrigens nicht besonders neu. Das Motiv der sich vom Menschen emanzipierenden Maschine wurde bereits 1970 in Joseph Sargents „The Forbin Projekt“ (dt. „Collossus“) dargestellt. 1977 kam es in Donald Commells „Demon Seed“ (dt. „Des Teufels Saat“) zum Wunsch eines Haushaltsroboters nach eigener Fortpflanzung und daraus realisierter Menschwerdung. 1982 erklärte Ridley Scott in seinem „Blade Runner“ die rebellierende Maschine aus deren Wunsch nach eigenem, selbstbestimmtem Leben. Und 1999 durfte Robin Williams in Chris Columbus’ „Bicentennial Man“ („Der 200-Jahre-Mann“) einen immer menschlicher werdenden Haushaltsroboter spielen. Spielberg hat diesem alten Thema ein sicher anrührendes, tricktechnisch abwechslungsreiches, aber intellektuell auf halber Strecke stehenbleibendes Werk hinzugefügt.


 
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