© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/01 14. September 2001

 
Die Vorsitzende wird demontiert
Nationale Identität III: Unter Führung von Roland Koch arbeitet die CDU für die Zeit nach Angela Merkel
Paul Rosen

Bramsche in Niedersachsen ist eigentlich kein Ort, der auf Reisende eine magische Anziehungskraft ausüben würde. Die einstmals von der Textilindustrie geprägte Stadt nördlich von Osnabrück rückte im niedersächsischen Kommunalwahlkampf jedoch einmal in den Mittelpunkt des Interesses: Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber landete dort und absolvierte einen seiner wenigen Wahlkampfauftritte. Der Bayer hatte ein mit 3.000 Leuten voll besetztes Bierzelt und widerlegte damit allen Vermutungen, ein CSU-Mann komme nördlich des Weißwurst-Äquators nicht an. Mehr noch: Stoiber benutzte diesen Auftritt, um Thesen des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch zu testen. Die Testfahrt mit dem Wahlvolk gelang: Immer wenn Stoiber Kochs Thesen einer gerechteren Sozialhilfe oder der „nationalen Identität“ ansprach, gab es den größten Beifall.

Koch, in der CDU längst als „der Mann nach Angela Merkel“ tituliert, ist ein Phänomen. In der hessischen Spendenaffäre hielt er durch, obwohl er es selbst mit der Wahrheit in einem Fall nicht so genau genommen hatte. Koch jedoch behielt die Nerven, das Vertrauen seiner Partei und, noch wichtiger, das Vertrauen des liberalen Koalitionspartners, so daß er in Wiesbaden an der Macht blieb. Aus dem CDU-Präsidium heißt es, immer wenn Merkel spreche, werde im Vorstand getuschelt. Der Aufmerksamkeitsgrad halte sich in Grenzen. Die Parteichefin hat sich auch eineinhalb Jahre nach ihrer Wahl immer noch nicht das notwendige Maß an Autorität erarbeitet. Anders Koch. Wenn der hessische Ministerpräsident im Präsidium spreche, könne man eine Stecknadel fallen hören, heißt es. Längst haben die CDU-Fraktionäre begriffen, auf wen sie sich in Zukunft einstellen müssen.

Als Koch nach einer USA-Reise den Vorschlag präsentierte, man solle mit deutschen Sozialhilfe-Empfängern ähnlich verfahren wie im US-Bundesstaat Wisconsin, widmeten alle großen Medien dem Vorstoß des Ministerpräsidenten ganze Seiten. Welch Wunder: Ähnliche Vorschläge hatten CDU-Wirtschafts- und Sozialpolitiker wie der niedersächsische Landesvorsitzende Christian Wulff schon seit längerem gemacht und darüber auch dicke Papiere erarbeitet, die allerdings außer den Beteiligten niemand gelesen haben dürfte. Anders bei Koch: Dessen Forderung, arbeitsunwillige Sozialhilfeempfänger müßten sich künftig auf ein „sehr bescheidenes Leben“ einstellen, reizte einerseits zum Widerspruch auf der linken Seite und andererseits zu Beifallsstürmen bei der eigenen Klientel. So müssen erfolgreiche Politiker beschaffen sein: Den eigenen Verein hinter sich bringen und den Gegner aufstöhnen lassen. Merkel verfolgt einen anderen, eher moderierenden Stil, der sie in Wahlkampfzeiten leicht unter die Räder kommen läßt.

Und jetzt die „nationale Identität“. Was Koch damit konkret meint, ist eigentlich ebenso unklar geblieben wie bei anderen semantischen Schwertern, etwa Gerhard Schröders „Neue Mitte“. Nach Ansicht Kochs müsse die Union ihren Wahlkampf mit zwei Themenkörben bestreiten, einerseits mit der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik und andererseits eben mit jener nationalen Identität. Dazu zählt er Fragen der Zuwanderung, der inneren Sicherheit, der Verteidigung und Vertretung deutscher Interessen gegenüber der EU. Koch: „Wenn wir in Deutschland nicht mehr in der Lage wären zu sagen, daß die nationale Identität unseres Landes ein wichtiges Gut ist und daß Menschen sich in unserem Land wohl fühlen und auf unser Land stolz sein können, dann werden wir ein Problem haben im gemeinsamen Europa, in dem wir von selbstbewußten Nachbarn umgeben sind.“

Die Wähler werden Westerwelle nicht glauben

Koch machte mit seiner Botschaft bereits klar, daß er nicht - wie der Merkel-Flügel der CDU - gewillt ist, den Streit um Zuwanderungs- oder Asylpolitik durch einen Kompromiß mit der rot-grünen Koalition aus dem Wahlkampf des nächsten Jahres herauszuhalten. Der Hesse will das Reizthema, weil er aus der Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft den Schluß zog, daß eine große Mehrheit der Deutschen gegen jede Erhöhung des Ausländeranteils in der Bundesrepublik ist, während rot-grüne Protagonisten die Steigerung der Zuwanderung als Lösung aller Probleme verstehen: Erst bei einem noch höheren Anteil dürfte aus linker Sicht die „multikulturelle Gesellschaft“ Wirklichkeit werden, und auch die Lösung des demographischen Problems wird von der Zuwanderung erwartet. Stoiber hält ganz im Sinne Kochs dagegen: Die deutsche Bevölkerung integriere bereits pro Jahr 500.000 Menschen. Damit sei die Grenze erreicht.

Wie tief Koch sich mit seinem Vorstoß ins Bewußtsein der Menschen eingegraben hat, machen die Reaktionen der politischen Konkurrenz klar: Der geschmeidige FDP-Chef Guido Westerwelle konnte sich sofort vorstellen, daß auch die Liberalen mit dem Thema nationaler Identität in den Wahlkampf ziehen. Westerwelle stieß auf sofortigen und erwarteten Widerspruch: Er finde es bedenklich, wenn die FDP mit einem Thema in den Wahlkampf ziehe, das „die Reste der rechten Dumpfbacken in Deutschland ermutigen könnte“, so der Alt-Liberale Burkhard Hirsch, dessen Einfluß in der FDP gegen Null tendiert. Mit ihm dürfte Westerwelle fertig werden. Aber der Liberalen-Chef hat ein Problem, das die CDU-Chefin auch hat: Die Wähler werden beiden nicht glauben, daß sie für den Begriff der nationalen Identität stehen. Genausogut könnten die Grünen die Abschaffung des Asylgrundrechtes fordern.

Zurück ins niedersächsische Bramsche, ins Bierzelt zu Stoiber. Der hält dort eine flammende Rede gegen den Zuwanderungsgesetzentwurf von Innenminister Otto Schily, den er im Unterschied zu Merkel in Bausch und Bogen ablehnt. Stoiber spricht von einem Zuwanderungserweiterungsgesetz, das der rote Innenminister allerdings mit dem gegenteiligen Titel vorgelegt habe. Stoiber: „Ist es denn falsch, daß man sagt, man müsse diese Fragen auch nach den deutschen, nach den nationalen Interessen beurteilen?“ Und der Bayer fragt weiter: „Ist es verpönt, verfemt, zu sagen, wir haben eine nationale Identität?“ In Wirklichkeit fragt Stoiber nach Koch und danach, wann der Hesse endlich das Ruder der CDU übernimmt.


 
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