© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/01 14. September 2001

 
Die Nation ist kein leerer Wahn
Nationale Identität II: Politiker und Publizisten nehmen Stellung


Umerziehung

Es ist ein beunruhigendes Zeichen des geistigen Zustandes Deutschlands, daß so achtbare Personen wie Ministerpräsident Koch und Friedrich Merz eine Diskussion zu dem Thema „nationale Identität“ ansprechen müssen. In Ländern wie Ungarn, Kroatien, Polen, Luxemburg oder der Schweiz wäre eine solche Debatte undenkbar, um nur von unserer direkten Nachbarschaft zu sprechen. Die eigenartige Einstellung von gewissen Teilen unseres Volkes ist die Folge der ideologischen Umerziehung mit ihrer Fixierung auf die zwölf verbrecherischen Jahre Hitlers, als ob das die gesamte deutsche Geschichte gewesen wäre, und die Ausklammerung großer Zeiten wie des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation oder die gewaltigen Leistungen der Bundesrepublik, wie des Lastenausgleiches für die Vertriebenen, einer der bedeutendsten Taten christlicher Nächstenliebe. Dieser Kriminalisierung Deutschlands muß man entgegenwirken, dann ist auch eine Diskussion über nationale Identität überflüssig.

Otto von Habsburg

Otto von Habsburg ist Präsident der Internationalen Paneuropa-Union.

 

 

Nährboden

Was die Frage der nationalen Identität und des Nationalbewußtseins angeht, halte ich es mit Frantz Fanon, dem Chefideologen aller anti-imperialistischen und nationalrevolutionären Kräfte der Welt.

Er hat erklärt, daß es ein folgenschwerer Fehler sei, die nationale Etappe auf dem Wege zu größeren Einheiten überspringen zu wollen. Prinzipiell stellte Fanon fest: „Erst innerhalb des Nationalbewußtseins entwickelt und belebt sich das internationale Bewußtsein. Und diese doppelte Entwicklung ist letztlich der Nährboden jeder Kultur.“ Das gilt auch für die Deutschen.

Wolfgang Venohr

Dr. Wolfgang Venohr ist Historiker und Publizist. Er lebt in Berlin.

 

 

Heimat

Was ist das, die nationale Identität der Deutschen? Für die einen (die heutigen Parteimachthaber der Grünen, die pseudolinke Polit-Schickeria und all jene, die ihren Stalinismus nicht vergessen und von der Demokratie nur die Lippenbekenntnisse gelernt haben) ist sie ein faschistoider Greuel oder allenfalls eine neurotisch-pathologische Wahnvorstellung der „Ewig-gestrigen“. Für andere ist sie eine adrette Formel, um Wählerstimmen einzufangen und den dünnen alten Wein in neue Schläuche zu füllen, die so hohl sind wie all die Versprechen, nun endlich, endlich eine unabhängige und selbstbewußte Politik zu beginnen und sich den Lebensinteressen des deutschen Volkes zu verpflichten statt dem Machtkalkül der USA und den Profiterwägungen einiger Lobbyisten.

Die Nation darf nicht nur auf Plakaten und in Schlagzeilen als Schlagwort auftauchen, sie muß lebendig werden, gelebt werden. Nationale Identität der Deutschen ist kein leerer Wahn, sondern das überlebenswichtige Zusammengehörigkeitsgefühl von Menschen, die sich in einer gleichen Lage befinden (in der Mitte Europas - konfrontiert mit gemeinsamen Problemen und gemeinsamen Gegnern), die sich orientieren an einer gemeinsamen Leitkultur, die sich verpflichtet fühlen dem Erbe einer gemeinsamen Geschichte und den Lehren, die aus dieser zu ziehen sind. Nationale Identität heißt aber auch, sich selbstbewußt gemeinschaftlich der Zukunft zuzuwenden, Deutschland nicht verlorenzugeben und es nicht denen zu überlassen, die es ausradieren wollen zugunsten eines Militär- und Wirtschaftsblocks Europa, dessen Zentralismus und dessen weltpolitischer Größenwahn die Monstrositäten des zwanzigsten Jahrhunderts noch zu übertreffen droht.

Deutschland als kulturbewußte und ökologisch verantwortliche Friedensmacht - das entspricht den besten Traditionen unseres Landes. Das ist im Einklang mit dem, was einst Kurt Schumacher wollte und auch Willy Brandt nie ganz aufgegeben hatte, was die Grünen, als sie noch eine Alternative und eine basisdemokratische Partei waren, 1980 in ihrem „Saarbrücker Programm” mit dem dort verankerten Ziel der Überwindung der deutschen Teilung verbanden, was auch die CDU/CSU in ihren ersten Jahren noch - wie zaghaft auch immer - vertrat und was die FDP einst, als sie noch die Partei Thomas Dehlers und nicht die Politagentur der Besserverdiener, Wendehälse und Big-Brother-Anbiederer war, verfochten hat.

Eine solche nationale Identität zu entwickeln und verteidigen, verlangt aber auch, auf all die zuzugehen, die hierher gekommen sind, um als Deutsche unter Deutschen zu leben oder die als Kinder ausländischer Eltern sich aufgemacht haben, um nicht nur auf dem Papier Deutsche zu werden. Wer es vorzieht, als Ausländer in Deutschland zu leben, dem soll dies möglich sein - als geschützter und respektierter Gast. Er ist willkommen, wenn er das Gastrecht nicht mißbraucht. Noch willkommener aber sollten uns alle die sein, die vom Gast zum Einheimischen, vom Mitmenschen zum Mitbürger werden wollen: Die neuen Deutschen, die die Geschichte und Gegenwart dieses Landes mit all ihren Höhen und Tiefen, Sternstunden und Katastrophen, Glanzleistungen und Verbrechen in freier Entscheidung und bewußter Verantwortung auf sich nehmen - so wie einst Hugenotten und assimilierte Juden, denen dieses Land eine Heimat gab und denen es so unendlich viel verdankt. 

Rolf Stolz

Rolf Stolz ist Publizist. Er lebt in Köln.

 

 

Wichtige Fragen

Warum haben viele Leute Angst vor einer Debatte um die „nationale Identität“? Wer sind wir? Wo stehen wir? Was wollen wir? Das sind immer wichtige Fragen.

Identität meint allerdings mehr als „Deutschlandlied“ und „Fahneneid“. Eine zeitgemäße Identitäts-Debatte in einem einheitlichen Europa sollte in Deutschland Antworten suchen auf diese Fragen!

Warum gibt es 2001/2002 hierzulande weit mehr Arbeitslose als in Japan, USA, England, Dänemark und den Niederlanden? Warum war Deutschland vor zehn Jahren umweltpolitischer Vorreiter und ist es heute nicht mehr? Wo ist unser Beitrag zu einem wirklichen Frieden auf dem Balkan? Wann endlich leisten wir jene 0,7 Prozent Entwicklungshilfe, gemessen am Bruttosozialprodukt, welche Schmidt, Kohl und Schröder versprochen haben? (Zur Zeit sind es 0,28 Prozent). Was müssen wir künftig tun, damit nie mehr ein Land auf dieser Welt Angst vor Deutschland haben muß?

Wann endlich gelingt es, das im großen und ganzen erfolgreiche Modell der sozialen Marktwirtschaft zu einer modernen ökosozialen Marktwirtschaft auszubauen, damit es endlich eine Alternative zum Turbokapitalismus á la George W. Bush gibt?

Gewinnen soll 2002, wer uns die überzeugenderen und zukunftsfähigeren Antworten auf diese Fragen gibt.

Franz Alt

Dr. Franz Alt ist Fernsehjournalist. Er lebt in Baden-Baden


 
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