© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/01 14. September 2001

 
„Der Krieg wird weitergehen“
Franz Uhle-Wettler über den Angriff auf New York und Washington, die Antwort der USA und Terror als den Krieg der Zukunft
Moritz Schwarz

Herr Dr. Uhle-Wettler, Sie haben gerade Ihr neuestes Buch über den Krieg der Zukunft abgeschlossen. Haben die Ereignisse in den USA Ihre Thesen nun bereits vor Erscheinen des Buches bestätigt?

Uhle-Wettler: Angesichts der mörderischen Zerstörungskraft moderner Waffen muß der Friede noch mehr als früher das Ziel jeder Sicherheitspolitik sein. Ich habe - neben anderem - als Lehre der Geschichte hervorgehoben: Erstens, Friede setzt Gerechtigkeit voraus. Zweitens, ohne Gerechtigkeit ist Krieg unvermeidlich. Drittens, im 21. Jahrhundert wird der Krieg meist ein Krieg der Partisanen sein. Viertens, ein solcher Krieg ist, um Churchill zu zitieren, „noch furchtbarer als der Krieg der Könige“.

Die europäischen Nachrichtenagenturen berichteten von „Terroranschlägen in New York“, CNN von „America under attack“ und einem „zweiten Pearl Harbor“. Handelt es sich um ein Attentat oder um eine Kriegserklärung?

Uhle-Wettler: Aus dem einen Blickwinkel war es ein menschenverachtender Terroranschlag, aus der anderen Sicht war es die Fortsetzung eines „gerechten Krieges“ mit den einzigen zur Verfügung stehenden Mitteln.

Zu dem Angriff bekannte sich unmittelbar nach den Anschlägen die PFLP („Volksfront für die Befreiung Palästinas“). Sind die Palästinenser überhaupt zu solch einer umfassenden, konzentrierten und abgestimmten Aktion in der Lage?

Uhle-Wettler: Für die Organisation eines derartig umfassenden Unternehmens sind große menschliche, finanzielle und nicht zu vergessen geheimdienstliche Fähigkeiten und Mittel erforderlich. Man kann zweifeln, ob „die Palästinenser“ - falls es sie überhaupt gibt - diese Mittel aufbringen konnten. Es ist eher zu erwarten, daß reiche, aber fanatisch gestimmte islamische Fundamentalisten über diese Mittel und solchen Einfluß verfügen.

Kritiker halten den Vereinigten Staaten vor, nun habe sie lediglich der Krieg erreicht, den sie seit Jahrzehnten ins Ausland getragen haben.

Uhle-Wettler: Die Amerikaner sind von Anfang an, seit den Expansionskriegen gegen die Indianer, gegen Spanien und Mexiko eines der kriegerischten Völker gewesen, das die Erde je gesehen hat. Aber sie haben noch nie die Folgen eines Krieges gegen auswärtige Mächte im eigenen Land erfahren müssen. Dieses ist das erste Mal. Entsprechend wird das Entsetzen und die Reaktion sein.

Welche Reaktion erwarten Sie nun von seiten der USA?

Uhle-Wettler: Zum Selbstverständnis der USA gehört die unerschütterliche Überzeugung, god’s own country („Gottes eigenes Land“) zu sein. Wer ihnen entgegentritt, verficht also nicht Interessen, die mit amerikanischen Interessen kollidieren, sondern er ist a priori böse. Deshalb brauchen seine Argumente nicht geprüft zu werden. Das läßt Böses für die amerikanische Reaktion erwarten. Vermutlich werden wir eine Fortsetzung eines Kreuzzuges gegen das „absolut Böse“ erleben. Damit wird allerdings ein ausgleichender und gerchter Friede unmöglich. Es steht zu befürchten, daß die Amerikaner nun weltweit Rechnungen begleichen, die ihrer Ansicht nach noch offenstehen. Dabei ist weiterhin zu erwarten, daß sie die Uno, der sie 1945 das Recht zum Krieg übertragen haben, total mißachten.

Werden die Radikalen und die Fanatiker auf den beiden Seiten nun Zulauf in großem Maße bekommen?

Uhle-Wettler: Als sicher ist zu erwarten, daß auf beiden Seiten Ideologen und Fanatiker die Oberhand gewinnen. Die einen werden sich über diesen fürcherlichen „Erfolg“ freuen, die anderen werden schließen, gegen solche Gegner sei jedes - und wirklich jedes - Mittel gerechtfertigt. Vernunft, Maß und Mäßigung werden auf der Strcke bleiben. Nochmal: Friede ist fructus iustitiae, die „Frucht der Gerechtigkeit“. Das wird natürlich in einem solchen Klima künftig noch schwerer zu erreichen sein. Also wird dieser mörderische Krieg weitergehen.

Welche langfristige Wirkung wird der 11. September auf die USA haben?

Uhle-Wettler: Die USA werden sich noch mehr auf ihre eigene Kraft und Stärke und auf ihre Stellung, „Gottes eigenes Land“ zu sein, besinnen. Sie werden noch mehr als bisher unbeschadet des Völkerrechts und internationaler Übereinkünfte ihre Interessen durchsetzen. Als sicher darf angenommen werden, daß die „National Missile Defense“ (NMD), zur Verteidigung der USA gegen strategische Raketenangriffe und die „Theater Missile Defense“ (TMD) zur Verteidigung amerikanischer Truppen im Ausland vor taktischen Raketenangriffen sehr viel weniger Widerstand begegnen werden.

Aber gerade dieser Anschlag ist doch eher ein Argument gegen eine Nationale Raketenabwehr, denn die Verwendung gekaperter Linienmaschinen hätte ein solches System schließlich unterlaufen.

Uhle-Wettler: Die Amerikaner sehen sich mit Gegnern konfrontiert, die keine Grenze kennen. Wenn die Leute, die nun das World Trade Center und das Pentagon angegriffen haben, Langstreckenrakten mit Atomsprengköpfen gehabt hätten, hätten sie wohl diese eingesetzt. Und dieses Argument ist nicht von der Hand zu weisen.

Welche Wirkung wird dieser Schlag auf die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland haben?

Uhle-Wettler: Eine Auswirkung auf die deutsche Außenpolitik ist nicht zu erwarten. Die beinahe bedingungslose Unterstützung der USA durch die Bundesrepublik ist nahezu „Grundgesetz“.

Auch in Deutschland nimmt die Zahl und der Organisationsgrad islamischer Fundamentalisten immer weiter zu. Die Bundesrepublik gilt nach interner Einschätzung des BND diesbezüglich bereits als internationale Drehscheibe . Aus Angst vor den Extremisten trauen sich die bundesdeutschen Sicheheitsorgane allerdings nicht wirklich gegen das Problem vorzugehen. Ist das Klugheit oder Feigheit?

Uhle-Wettler: Deutschland ist innerlich und politisch zu schwach, in diesem weltweiten Chaos eine eigenständige Außenpolitik zu betreiben. Hieraus wird eine Lehre deutlich, Europa muß über die gegenwärtige wirtschaftliche Einigung hinaus sich politisch einigen, um überhaupt wieder zu einer eigenständigen Politik imstande zu sein. Bis dahin ist es aber noch sehr, sehr weit.

Wenn sich die Bundesrepublik Deutschland weiter an der Seite der USA international militärisch engagiert, wird sie dann nicht in einigen Jahrzehnten ebenso im Fadenkreuz stehen wie heute die USA?

Uhle-Wettler: Gegen Fanatiker gibt es kein Mittel.

 

Generalleutnant a. D. Dr. Franz Uhle-Wettler, geboren 1927 in Eisleben. 1943 Eintritt in die Wehrmacht, 1956 in die Bundeswehr. Nach verschiedenen Verwendungen im Truppendienst (Panzertruppe) war er von 1984 bis 1987 Kommandeur der Nato-Verteidigungssakademie in Rom. Heute ist er freier Publizist und beschäftigt sich mit militärgeschichtlichen und sicherheitspolitischen Fragen.

Veröffentlichungen: „Höhe- und Wendepunkte der deutschen Militärgeschichte“ (Verlag von Hase und Koehler, 1984), „Erich Ludendorff und seine Zeit“ (Vowinkel Verlag, 1996), „Alfred von Tirpitz und seine Zeit“ (Mittler & Sohn, 1998), „Der Krieg - in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ (Mittler & Sohn, erscheint im Oktober 2001)

 

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