© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/01 07. September 2001

 
Leben im trügerischen Glauben
Globalisierung und Widerstand: Kritik der politischen Ökonomie diesmal von rechts
Werner Olles

Die Art und Weise, in der hierzulande die Globalisierungsdebatte geführt wird, läßt nicht nur gewisse Rückschlüsse auf die politische Verfaßtheit jener zu, die sich mehr oder minder halbherzig daran beteiligen, sondern erklärt sich auch aus der ungeheuren Fähigkeit der von eklatanten Widersprüchen geprägten kapitalistischen Warengesellschaft, sich selbst als einzig denkbare, quasi gottgewollte Ordnung darzustellen. In dieser Diskussion wimmelt es von Schlagworten und Leerformeln, die die bürgerlichen Prinzipienbegriffe bis zur Unkenntlichkeit verwandelt und dem allgegenwärtigen marktwirtschaftlichen Diktat unterworfen haben.

Wer heute die Globalisierung nicht glückstrahlend als großen Fortschritt begrüßt und feiert, decouvriert sich damit bereits als schlechtgelaunter Spielverderber oder gar als politisch extremer Ewiggestriger. Die Globalisierung als Projekt einer zweiten Moderne wird inzwischen selbst von den „Querdenkern“ aus dem gewerkschaftlichen und rot-grünen Spektrum nicht mehr als negative Totalität angesehen, sondern positivistisch verkürzt als Eigenbewegung eines Real-Universalismus, der sich jedem Beurteilungskriterium und jeder polit-ökonomischen Krisentheorie schnöde entzieht.

Die Linke - von der demokratischen bis zur extremen - ist von den der Globalisierung immanenten Internationalisierungstendenzen, die mit dem Abbau nationaler Souveränitäten und kultureller Identitäten einhergehen, in gewisser Weise fasziniert. Daraus resultiert ihre relative Unfähigkeit und Unwilligkeit, effektiven Widerstand zu leisten. Die bürgerliche Rechte ist hingegen durchaus angetan von dem machtvollen Dezisionismus, mit dem auf breiter Front jahrzehntelang gewachsene und zum Teil hart erkämpfte soziale Strukturen kurzerhand geschleift werden.

Aber auch die radikale Rechte hat die „Ablösung des ehemaligen Lohnkapitalismus durch den Vermögenkapitalismus“ (Alain de Benoist) sowenig verstanden, wie sie die menschenverachtende Natur des kapitalistischen Systems noch nie durchschaute. Mit schwärmerischen Texten über die Erdmutter Gaia und ähnlichen Reinszenierungen der germano-keltischen Mythologie läßt sich die Frage, welchen Nutzen der Mensch für die global players außer seiner Funktion als Warenproduzent, Dienstleister oder Konsument noch hat, nicht schlüssig beantworten. Das hat auch etwas mit subjektivem Unverständnis und Unwillen zu tun sowie mit der Unlust, sich aus den liebgewonnenen Bahnen des eigenen Denkens drängen zu lassen.

Ganz peinlich wird es jedoch, wenn die alte und „neue Mitte“ den verunsicherten Bürgern als Allheilmittel gegen die Globalisierung die „Wir-Gesellschaft“ (Angela Merkel) empfiehlt oder die Sozialdemokratie den Kapitalismus an die „Einhaltung der Spielregeln“ erinnert und dabei ganz vergißt, daß es gerade sein Wesen ausmacht, keine Spielregeln zu kennen.

Zwar schlug in Zeiten des Übergangs und der Unsicherheit schon immer die Stunde der pseudokritischen Blender, die sich nicht genierten, das Erbe des klassischen bürgerlich-aufklärerischen Subjektbewußtseins antreten zu wollen, aber jene Verfallsgestalt, die sich heute ohne Umschweife selbst zur großen Zukunft erklärt und dabei der Entwirklichung der Wirklichkeit vorarbeitet, ist als Persönlichkeitsattrappe doch leicht zu durchschauen.

In diesen zunehmend inhaltslosen Debatten, die sich dem Problem der Globalisierung und einem neuen Wert-Kriterium verweigern, blitzt der Epochenbegriff des Postmodernismus hin und wieder auf, um dann als Prototyp eines postmodernen Sozialcharakters die Frage der nationalen und sozialen Emanzipation zugunsten des Krisen- und Simulationskapitalismus gänzlich preiszugeben.

Im (neuen) Marktwirtschaftsreich verschwinden scheinbar die warengesellschaftlichen Kategorien der Moderne in dem gleichen Maße, in dem die Linke und die „neue Mitte“ als Avantgarde der Warengesellschaft stromlinienförmig den in galoppierender Auflösung begriffenen Arbeiterbewegungs-Marxismus hinter sich lassen und derart theoretisch abgerüstet als Lifestyle-Linke den Schulterschluß mit dem kapitalistischen Elend proben. Ein bißchen Ästhetisierung darf zwar noch sein, um die Modernisierungsgeschichte endlich auch als Gesamtkunstwerk ohne schlechtes Gewissen präsentieren zu können. Die Ideologie des Neoliberalismus, von Margaret Thatcher mit dem klassischen Satz „Es gibt keine Gesellschaft, sondern nur Individuen“ einst exakt definiert, ist den linkspostmodernistischen Waren- und Lebensästheten als sozialökonomischer Grundsachverhalt schon lange zur zweiten Haut geworden.

Weil die Rechte die Kraft der inneren Vision verloren und sich damit auch selbst aufgegeben hat, kann die Symbiose von Religion und Nationalbewußtsein als Rettungsanker angesichts des um sich greifenden Nihilismus der westlichen Krisenkultur und der andrängenden Globalisierung heute nicht mehr funktionieren. Als romantisches Ideal haben die traditionellen Visionen ausgedient, weil ihre Kräfte offensichtlich verbraucht sind.

Wenn die Rechte diese nationalromantischen Traumbilder immer noch als Kulturkritik, die auf den ursprünglichen Impuls der abendländischen Philosophie zurückgeht, mißversteht, lebt sie in dem trügerischen Glauben, Gewißheit in Institutionen zu finden, die selbst längst vom Zerfall bedroht sind. Wenn sie sich dagegen ernsthaft auf das Krisenproblem der Globalisierung einzulassen gedenkt, müßte sie sich zuallererst von den seichten prokapitalistischen Ideologen des Marktsystems und deren linkspostmodernistischen nützlichen Idioten emanzipieren.

Mit rechtskulturalistischem, neofundamentalistischem Antimodernismus samt antisemitischen Untertönen, kulturimperialismuskritischem Moralisieren und einem gleichsam naturalisierten Reflexionsniveau mag man zwar die die Nöte der neoliberalen Linksextremisten ein wenig vergrößern und gleichzeitig im Windschatten der kapitalistischen Globalisierung surfen, aber für derartige Selbstinszenierungen düsterer Propheten ist die Zeit eigentlich zu knapp und auch zu schade.

Angesichts einer beruhigend dekadenten jungen Generation, die lieber im Techno-Rhythmus in Gestalt organisierter Willenlosigkeit die Karikatur einer Massendemonstration abgibt und im Zustand der ewigen Infantilität ihr Lebensglück und ihre Erfüllung gefunden zu haben scheint, erscheint die komplexe Unerlöstheit der Welt auf dem Höhepunkt des Postmodernismus in der Globalisierung ihren Normalzustand entdeckt zu haben. An die Stelle von Gewißheiten sind waren- und lebensästhetische Überzeugungen getreten, die die Selbstbewegungen der Werte nicht aufheben, sondern geradezu voraussetzen.

Die innere Dynamik der Warengesellschaften und die globale Entfesselung der Marktkräfte sind jedoch unauflöslich mit dem Schicksal der Politik und damit auch mit dem Schicksal der Völker verbunden. Dies ist an der politischen Instruktion des Universalismus und Multikulturalismus sehr gut erkennbar.

Der Rückzug des Staates aus den großen Sektoren der Produktion und der Reproduktion als Ergebnis der Krise und des stufenweisen Erlöschens der Politik hat nicht nur in Form der Globalisierung dem Kapitalismus die Grenzen geöffnet, sondern als Theorem auch eine nachträgliche Bestätigung der Leninschen Imperialismustheorie geliefert und die marxistische Ökonomiekritik auf den neuesten Stand der gesellschaftlichen Entwicklung - und damit auf den Punkt - gebracht. Dies zu akzeptieren könnte die Globalisierungsdiskussion auf eine neue Stufe heben, auch wenn es vielleicht manchen „Rechten“ nicht behagt.

Als Ausgangspunkt erscheint ein derartiger „Marxismus von rechts“ zunächst zweifellos extra-theoretisch, aber als erste nicht mehr klassenspezifische Revolte gegen die globale Warengesellschaft und ihren unerträglichen Alltag würde er keineswegs nur eine theoretische Bedeutung haben, sondern Entscheidendes zur Bestimmung der positiven Anknüpfungspunkte einer Gegenbewegung zur Globalisierung beisteuern.


 
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