© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/01 07. September 2001

 
Mission mit Hintergedanken
Mazedonien I: Wer den Konflikt verstehen will, muß die politischen und ökonomischen Interessen des Westens durchschauen
Carl Gustaf Ströhm

Die unter Balkan-Kennern verbreitete These, wonach es im Südosten Europas nicht eine, sondern mindestens zwei (wenn nicht mehr) „Wahrheiten“ und „Wirklichkeiten“ gibt, bestätigt sich dieser Tage erneut am Beispiel Mazedoniens. Zwei Ereignisse verdienen in diesem Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit: Erstens - bei der „Übergabe“ der Waffen durch die albanischen UÇK-Kämpfer an die Nato bestätigte sich, was längst vermutet wurde: Daß nämlich die Albaner nicht daran denken, alle oder auch nur die meisten ihrer Waffen zu übergeben.

Als das Fernsehen stolz die „Ausbeute“ der an die Nato ausgehändigten albanischen Waffen zeigte, wollten gestandene Militär- und Waffenexperten ihren Augen nicht trauen, denn man sah dort zahlreiche Museumsstücke, für die es in vielen Fällen gar keine passende Munition mehr gibt. So übergaben die Albaner unter anderem der Nato russische Gewehre vom Typ „Moisin-Nagan“ vom Baujahr 1891, ferner italienische Karabiner „Mannlicher-Carcano“, wie sie zwischen den Weltkriegen in der Armee Mussolinis im Gebrauch waren, weiter sowjetische Maschinengewehre „Degtjarew“, Baujahr 1926, sowie „Schwarzlose“-MG’s österreichischer Provenienz aus dem Jahre 1914. Auch hatten die Albaner irgendwoher deutsche Karabiner 98k aufgetrieben, die in der Reichswehr und Wehrmacht zur Standardausrüstung gehörten. Schließlich sah man Granatwerfer mit viereckigen Bodenplatten - was bedeutet, daß diese Modelle fünfzig Jahre alt sein müssen, weil seither runde Platten üblich sind.

Zweitens - als die geplagte Außenministerin Mazedoniens, Ilinka Mitreva, letzten Donnerstag anläßlich eines Wien-Aufenthaltes von einem naiven West-Journalisten gefragt wurde, wie es um den „mazedonischen Friedensprozeß“ stehe, wies die 51jährige Ministerin - die perfekt Italienisch, Französisch und Englisch spricht - den Frager mit den Worten zurecht: „In Mazedonien gibt es keinen Friedensprozeß.“ Klar: Denn wo es einen „Friedensprozeß“ gibt, muß es vorher einen Krieg gegeben haben - und das würde bedeuten, daß die Albaner nicht Terroristen sind (wie die mazedonische Regierung behauptet), sondern eine von zwei kriegführenden Parteien - mit allen Konsequenzen.

Als derselbe Zeitungsmann gegenüber der Ministerin die im Westen weitverbreitete Formel von einer „möglichen Zusammenarbeit slawischer und albanischer Mazedonier“ benutzte, geriet die „slawische“ Ministerin vollends aus der Fassung und antwortete barsch: „In der mazedonischen Regierung arbeiten nicht slawische und albanische Mazedonier zusammen, sondern Mazedonier und Albaner“. Einige von Mitrevas Kabinettskollegen sind tatsächlich Albaner - zwei von ihnen sprechen übrigens auch passabel Türkisch.

Das aber ist nicht nur Wortklauberei. Chefdiplomatin Mitreva wollte damit sagen, daß nur ein Slawe - niemals aber ein Albaner - Mazedonier sein kann. Das ist eine Absage an das westliche „Multi-Kulti-Konzept“, und hier zeigt sich auch die Grenze westlicher Möglichkeiten: Selbst wenn die „slawischen“ Mazedonier unter westlichem Druck und unter Androhung der Einstellung jeglicher Finanzhilfe einem Verfassungskompromiß zugunsten der Albaner zustimmen, werden sie innerlich eine „Gleichberechtigung“ der teils gefürchteten, teils verachteten „Skipetaren“ niemals akzeptieren. Die EU und die Nato täuschen sich, wenn sie glauben, par ordre du mufti - also auf höheren Befehl - ein „Zusammenleben“ von Slawen und Albanern erzwingen zu können. Jeder Versuch dieser Art birgt die Gefahr eines neuerlichen Scheiterns und eines Blutbades in sich. Zu weit sind beide Nationen in Sprache, Tradition und Mentalität voneinander entfernt.

Bei den (slawischen) Mazedoniern hat das Vorgehen der Nato bereits heftige Haßgefühle gegen den Westen ausgelöst - obwohl die Mazedonier noch unlängst als pro-westlich und pro-amerikanisch galten. Jetzt ist in Skopje die Auffassung weitverbreitet, wonach die Nato nichts anderes sei als eine „Neue Albanische Terroristen-Organisation“. Die Amerikaner werden beschuldigt, der UÇK indirekt Beistand zu leisten und die Albaner sogar bewaffnet zu haben, und zwar mit modernen Waffen, welche die UÇK-Kämpfer nicht abgeliefert, sondern in den Schluchten und Höhlen des Balkan versteckt und vergraben haben - für eine mögliche nächste Runde. Auch Außenministerin Mitreva hat bei ihrem Wien-Besuch unverblümt gefordert, die Hilfe an die „albanischen Terroristen“ in Mazedonien - die von der im Westen lebenden albanischen Diaspora geleistet werde - zu unterbinden. Konkret nannte sie die USA, Deutschland, Belgien und die neutrale Schweiz, von wo finanzielle und logistische Unterstützung für die in Mazedonien kämpfenden Albaner geleistet worden sei.

Immer deutlicher stellt sich die Frage, was der Westen in Mazedonien überhaupt erreichen will - und ob es noch ein einheitliches Nato-Konzept gibt. An eine „humanitäre“ Mission der Nato-Truppen glaubt außer einigen deutschen Weltverbesserern niemand mehr. Es geht an dieser strategisch und geopolitisch entscheidenden mazedonischen „Drehscheibe“ um politische und ökonomische Interessen.

Bemerkenswert ist nicht nur, daß die Amerikaner - die in Mazedonien mit mehreren hundert Soldaten seit Jahren präsent sind - sich zurückhalten und die Europäer vorschicken. Es heißt, die USA hätten die Bedeutung Mazedoniens (und des Kosovo) als strategische Transit-Route erkannt. Die Amerikaner haben begriffen, daß Mazedonien mit dem Nahen Osten und mit dem Erdöl des Kaspischen Meeres zusammenhängt (JF 36/01). Die Albaner werden von amerikanischen Strategen als dynamischste und daher politisch „pfleglich“ zu behandelnde Kraft in der Region betrachtet. Während die Griechen trotz ihrer Nato- und EU-Mitgliedschaft als unsichere Kantonisten gelten, die bei nächster Gelegenheit ihre Solidarität mit den orthodoxen Brüdern in Moskau, Belgrad und - natürlich - Skopje hervorkehren, werden die Albaner sicherlich nicht mit Moskau liebäugeln. Folglich handeln die USA hier nach ihren Weltmachtinteressen.

Für die Amerikaner ist entscheidend (auch gegenüber der EU, die anläßlich der Vorgänge auf der Durbaner Anti-Rassismus-Konferenz ihre Nicht-Solidarität mit den USA demonstrierte), den Raum zwischen Zentralasien (Kaspische Region, Aserbaidschan usw.) und dem Mittelmeer sowie die Türkei als „freundliches“ Gelände zu haben. Die Brücke reicht also von der Küste des Kaspischen Meeres bis zur albanischen Adria-Küste. Mazedonien liegt genau auf dem Wege dazwischen. Während aber das Nato-Mitglied Griechenland mit den slawischen Orthodoxen liebäugelt, blicken die Albaner auf die Türkei als potentiellen Verbündeten.

Dieser Tage wurde ein interessantes Ereignis von den europäischen Medien seltsamerweise ignoriert: Der türkische Generalstabschef Huseyin Kivrikoglu besuchte den türkischen „Bruderstaat“ Aserbaidschan - und aus diesem Anlaß führten türkische F-5-Düsenmaschinen amerikanischer Provenienz Demonstrationsflüge über dem „brüderlichen“ Baku mit seinen Erdölfeldern durch. Eine deutlichere Demonstration geostrategischer Interessen wäre schwer vorstellbar. Wer das Wesen des Konflikts um Mazedonien verstehen will, muß über den Tellerrand auf die großen machtpolitischen Zusammenhänge blicken.


 
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