© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/01 07. September 2001

 
Programm auf Hamburg zugeschnitten
Bürgerschaftswahl: Urteil gegen Richter Ronald Schill wegen Rechtsbeugung wird vom Bundesgerichtshof aufgehoben
Matthias Bäkermann

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am Dienstag das Urteil des Landgerichts Hamburg gegen Ronald Barnabas Schill wegen Rechtsbeugung aufgehoben. „Die Beweiswürdigung des Landgerichtes hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand“, erklärte die Vorsitzende Richterin des 5. Strafsenats des BGH, Monika Harms. Mit diesem Urteil wurde den Anträgen von Bundesanwaltschaft und Verteidigung stattgegeben, die den Straftatbestand der Rechtsbeugung wegen einer zu langsamen Weiterleitung von Urteilsbeschwerden nicht erfüllt sahen. Damit kann sich der Vorsitzende der Partei Rechtsstaatlicher Offensive wieder uneingeschränkt auf den Wahlkampf konzentrieren.

Mit dem Programm „Recht und Ordnung“ wird jedoch nicht nur Schill beschrieben, es gilt gleichfalls als grundlegende programmatische Ausrichtung der Partei. Die immer stärker steigenden Umfrageergebnissen vor der Hamburger Bürgerschaftswahl am 23. September (letzter Stand von Anfang September: ca. 15 Prozent) rechtfertigen, anhand der Programmatik auch Chancen für eine bundespolitische Ausdehnung dieser hanseatischen Gruppierung auszuloten.

Der Schwerpunkt des Parteiprogramms ist die Innen- und Sicherheitspolitik. Nach den vorangestellten Parteigrundsätzen, elf Artikeln mit allgemeinen Bekenntnissen zu Demokratie und Rechtsstaat, nimmt dieses Thema die Hälfte des Parteiprogramms ein. Überschrieben ist es mit „Maßnahmen zur Wiederherstellung der Inneren Sicherheit“. Es folgen Forderungen zur Kriminalitätsbekämpfung und -verfolgung sowie eine Beschreibung angestrebter Korrekturen und Reformen in der Rechtsprechung. Bemängelt werden die Hamburger Rechtspraktiken speziell im Jugendstrafrecht. Sanktionsfreie Behandlung durch „Verständnispädagogen“ - gemeint sind die Mehrzahl der Hamburger Jugendrichter - lasse die Kriminalität immer weiter ansteigen. Besonders die in der Hansestadt Verstimmung verursachenden „erlebnispädagogischen Reisen“ für straffällig gewordene Jugendliche sollen abgeschafft werden.

Zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung fordert die Schill-Partei die Abschaffung rechtsfreier Räume, womit vor allem die Räumung der „Roten Flora“ gemeint ist, ein seit vielen Jahren von Autonomen besetztes ehemaliges Fabrikgelände im Hamburger Karolinenviertel, welches in den vergangenen Jahren durch Pachtverträge mit der Stadt „entkriminalisiert“ werden sollte. Doch gerade nach dem staatlichen Entgegenkommen wurde das Gelände, zu dem der Polizei der Zutritt verwehrt blieb, immer wieder Ausgangspunkt von Drogenkriminalität und Eigentumsdelikten.

Weiterhin gilt für die Schill-Partei das aus New York stammende Prinzip der „Null Toleranz“ gegenüber der Kleinkriminalität wie beispielsweise Graffiti-Schmierereien und Sachbeschädigungen.

Mit dem Themen Ausländerkriminalität und Ausländerrecht betritt die Schill-Partei ein parteipolitisch heikles Terrain. Gerade deshalb wird im Parteiprogramm auch aus der Sicht von Ausländern argumentiert, die Opfer von Kriminalität sind. Zum einen seien viele der hier lebenden Ausländer, die „alle als Bereicherung für unsere Gesellschaft empfunden werden“, den allgemeinen Repressionen genauso wie die Einheimischenunterworfen und hätten dazu „selbst am meisten unter der Kriminalität ihrer Landsleute zu leiden“. Zum anderen würden viele Ausländer angesichts der hohen Ausländerkriminalität (in Hamburg 39,4 Prozent der Straftäter) der dadurch entstehenden indifferenzierten Betrachtung der deutschen Bevölkerung ausgesetzt und verursachen ein Pauschalbild aller Ausländer.

Neben der Forderung nach sofortiger Abschiebung von Drogenhändlern und Schwerkriminellen kritisiert die Partei auch die Asylgesetzgebung. Die Praxis der Nichtvorlage von gültigen Papieren sei ebenso zu hinterfragen wie die Rechtsweggarantie und verfassungsrechtliche Absicherung des Asylrechtes.

Daß die Schill-Partei ihren Themenschwerpunkt auf die „Innere Sicherheit“ legt, wird in der Vorstellung der Wirtschafts- und Steuerpolitik im Parteiprogramm deutlich. Neben Forderungen nach Abschaffung der Schwarzarbeit und Förderung des Wirtschaftsraumes Hamburg sind wenig originelle Ansätze festzustellen. Allenfalls die Senkung des Eingangs- und Spitzensteuersatzes auf 15 bzw. 35 Prozent und die Anhebung der steuerfreien Grenze bei geringfügiger Beschäftigung auf 1.200 Mark lassen eine wirtschaftsliberale Grundeinstellung vermuten. Für die Belebung des Arbeitsmarktes wird nicht ein einziges Konzept angeboten.

Finanzpolitik ist für die Schill-Partei weitestgehend gleichbedeutend mit Haushaltskonsolidierung. Die acht kurzen Vorschläge und Forderungen, wie diese in der Freien und Hansestadt realisiert werden soll, sind wenig konkret: Zusätzliche Einstellung von Betriebsprüfern, Verbot des Verkaufes von Staatseigentum außer zum Schuldenabbau und Streichung von zwei Senatorenposten können diese Leistung kaum vollbringen.

Die Verkehrspolitik führt viele Verbesserungsvorschläge für den Hamburger Kraftfahrzeugverkehr und den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) an, die jedoch ein klares verkehrspolitisches Konzept vermissen lassen. Einerseits mahnt sie einen flüssigeren Verkehr für Autos an, andererseits fordert sie einen weiteren Ausbau des ÖPNV. Wichtige Punkte, wie der Ausbau des zu kleinen Flughafens Fuhlsbüttel, der dazu verkehrstechnisch abgelegen ist, oder großflächige Autobahnprojekte sind im Programm nicht einmal erwähnt.

In der Bildungspolitik kann man einen profilierteren Standpunkt entdecken, der sich an einer Umkehr verschiedener Schulkonzepte der Nach- 68er-Zeit interessiert zeigt. Die Forderung nach Einführung von Kopfnoten ist symptomatisch für eine konservative Schulpolitik, die dem Lehrer auch umfangreichere Maßnahmen zur Disziplinierung an die Hand geben will. Die Partei wendet sich „mit allem Nachdruck gegen die fortschreitende Sozialpädagogisierung von Schulen“.

Die Sozial- und Familienpolitik ist der eigentliche Schwachpunkt des Parteiprogramms. Ganze zwölf Forderungen auf einer halben DIN-A4-Seite ist Ronald Schill und seinen Getreuen dieses wichtige politische Themenfeld wert. Dabei wird die Ablehnung der Quotenregelung für Männer und Frauen bei der Vergabe von Arbeitsstellen in der Schwerpunktsetzung noch vor die Absicherung von Familien gestellt.

Das Hauptproblem des Hamburger Wahlkampfes ist die Innere Sicherheit, die den Wählern unter den Nägeln brennt und bei der besonders der SPD in den vergangenen Jahren Fehler und Versäumnisse vorzuwerfen sind. Die Existenz der Schill-Partei ist letztlich auf diesen Umstand zurückzuführen. Der stellvertretende Vorsitzende Mario Mettbach bezeichnete gegenüber der JUNGEN FREIHEIT das Parteiprogramm als gleichzeitiges Wahlkampfprogramm zur Hamburger Bürgerschaftswahl - „Als was Sie es auslegen, ist letzlich egal.“ Der Zuschnitt des Programms läßt auch keine anderen Schlüsse zu. Dabei stehen die Lösungsansätze von dieser jungen Partei in erfrischendem Kontrast zur Programmatik der Etablierten. Vielleicht ist es auch gerade die Stärke dieser Gruppierung, sich auf einen Themenbereich zu konzentrieren, ohne sich mit der Entwicklung von Allheilmethoden für andere Politikfelder zu verlieren.

Sollte die Partei Rechtsstaatlicher Offensive in Hamburg erfolgreich sein, müßte „Richter Gnadenlos“ für eine bundesweite Ausdehnung - sollte diese dann beabsichtigt sein - allerdings auch diese Felder besetzen können, denn nicht überall findet man eine „Hauptstadt des Verbrechens“ vor.


 
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