© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/01 07. September 2001

 
Klaus Zwickel
Freundliche Neutralität
von Christian Vollradt

Der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Volkswagen AG wetterte während der Tarifverhandlungen über das Arbeitszeitmodell „Fünftausend mal Fünftausend“ gegen die Konzernführung, sie könne „den Hals nicht voll genug kriegen“. Der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der von Vodaphone übernommenen Mannesmann AG genehmigte dagegen - sozusagen in einem Akt „freundlicher Neutralität“ - den Vorstandsmitgliedern eine Prämie in Höhe von 60 Millionen Mark und noch einmal 28 Millionen Mark an den Vorstandsvorsitzenden. Wenn es sich nun bei beiden stellvertretenden Vorsitzenden um ein und dieselbe Person handelt, scheint der Vorwurf, sie sei „ein Heuchler und Pharisäer“, nicht weit hergeholt. Klaus Zwickel, Chef der IG Metall, mußte ihn sich auf der Mannesmann-Hauptversammlung von einem aufgebrachten Kleinaktionär gefallen lassen.

Dieser Vergleich mit einem Angehörigen der jüdischen Religionspartei, die seit frühchristlicher Zeit für Scheinheiligkeit schlechthin steht, trifft auf den 1939 in Heilbronn geborenen Gewerkschafter in der Tat zu. „Pharisäer“ heißt wörtlich übersetzt „der Abgesonderte“, bezeichnet also jemanden, für den die Werte und Normen der Allgemeinheit nicht gelten. Wer wie Zwickel, der nach Volksschulabschluß Werkzeugmacher lernte, seit 1965 nicht mehr in seinem eigentlichen Beruf gearbeitet hat, sondern hauptamtlich bei der Gewerkschaft war und mittlerweile eine Organisation mit 2,8 Millionen Mitgliedern führt, der ist fast zwangsläufig abgehoben, dem ist das Management näher als die Maschine. Längst ist aus der Lobby der Schwachen, aus dem Deutschen Metallarbeiter Verband von 1891, der sich zur größten Gewerkschaft in Kaiserreich und Weimarer Republik entwickelte, ein Imperium geworden, an dessen Macht sich politische Entscheidungsträger die Zähne ausbeißen.

Vom kapitalistischen Widerpart hat die Gewerkschaftsbewegung viel gelernt, so die Effizienzsteigerung durch Fusionen: Unter Zwickels Regie schluckte die IG Metall zwischen 1998 und 2000 die Gewerkschaft Textil und Bekleidung sowie die Gewerkschaft Holz und Kunststoff. Bereits als Aufsichtsrat der Expo-Gesellschaft zeigte Zwickel, wie man Millionenbeträge zum Fenster hinauswerfen kann, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. Seinen heutigen Posten verdankt er übrigens einem kapitalistischen Seitensprung seines Vorgängers: Weil Franz Steinkühler 1993 als Aufsichtsratsmitglied von Daimler-Benz mit sogenannten „Insider-Geschäften“ an der Börse spekulierte, mußte er seinen Stuhl räumen. „Ein wahres Glück, daß die ... Gewerkschaftsbewegung ihren jetzt reaktionären Charakter so eklatant an die Sonne stellt.“ Angesichts der Zustände an der Spitze der IG Metall müßte man wohl heute diese Erkenntnis formulieren, hätte sie Friedrich Engels nicht bereits vor über hundert Jahren niedergeschrieben.


 
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