© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/01 07. September 2001


Opportunismus
Pfarrer Lepsius und die Armenier
Dieter Stein

Den Recherchen des ARD-Nachrichtenmagazins „Report“ zufolge spielt sich im brandenburgischen Potsdam Unglaubliches ab. Vor rund einem Jahr hatten Politiker der Stadt einen vergessenen Sohn entdeckt: Pfarrer Johannes Lepsius, der bis zu seinem Tod 1926 in Potsdam gelebt hat. Die Stadt und das Land wollten sein Haus restaurieren lassen, Oberbürgermeister Matthias Platzeck (SPD) stellte Lepsius in eine Reihe mit Albert Schweitzer, Dietrich Bonhoeffer und Oskar Schindler.

Der Geistliche reiste erstmals 1896 nach Armenien. In mehreren Büchern versucht er die Deutschen auf die Tragödie hinzuweisen, die sich im Osmanischen Reich anbahnt. Im Zuge des Ersten Weltkrieges jedoch „löst“ die Türkei die „armenische Frage“ in einem Völkermord - 1,5 Millionen Armenier sollen hierbei ums Leben gekommen sein.

Die verzweifelten Bemühungen des Pfarrers können die Taten nicht stoppen. Der Mantel des Vergessens, der sich über den armenischen Genozid breitete, scheint Hitler später ermuntert zu haben: „Wer spricht heute noch von den Armeniern?“ äußerte er bei seinen „Tischgesprächen“ im Zuge des anlaufenden Genozids an den Juden.

Kaum war der Plan der brandenburgischen Landesregierung und der Stadt Potsdam an die Öffentlichkeit geraten, die Sanierung des Lepsius-Hauses zu fördern, setzte offenbar massiver Druck seitens türkischer Organisationen und der Türkei ein. Der Historiker Hermann Goltz von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, der den Nachlaß von Lepsius verwaltet, berichtete gegenüber „Report“ von einem Gespräch mit dem türkischen Botschafter, der ihm mitteilte, „daß eine solche Erinnerung an den Völkermord an den Armeniern auch eine Gefährdung der Türkei“ sei. Der Botschafter der Türkei, Osman Korutürk, bestreitet gegenüber „Report“ die Existenz eines Völkermordes an den Armeniern und spricht von „Propaganda“.

Das Unfaßbare geschieht: Platzeck weicht dem Druck, das Land streicht die Fördergelder für das Haus. Goltz spricht von „erheblichem Druck“ auf die Stadtregierung, „man hat sogar von Zahlen gesprochen, 200.000 Türken werden Potsdam belagern“. Statt Potsdam nun gegen erpresserischen Druck zu schützen, unterstützte das Auswärtige Amt die türkischen Forderungen. Hans-Ulrich Schultz, evangelischer Generalsuperintendent von Berlin-Brandenburg, schildert laut „Report“, das Ministerium Joschka Fischers habe unmißverständlich deutlich gemacht, daß es kein Interesse an der Verwirklichung der Pläne für das Lepsius-Haus gebe.

Die französische Nationalversammlung hat kürzlich gegen alle Proteste die Existenz des Genozids an den Armeniern festgestellt. Der Deutsche Bundestag hat dies aus Angst vor türkischem Druck abgelehnt. Historiker Goltz sah sich gezwungen, die wissenschaftlich wertvollen Dokumente des mutigen Pfarrers Lepsius an einem geheimen Ort zu verstecken. Aus Angst vor Repressionen. Und der Staat sieht weg. Deutschland, im Jahr 2001.


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