© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/01 31. August 2001

 
Pankraz,
M. Rothko und der Blick zum gestirnten Himmel

Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein winziger Schritt“, hat Napoleon selbstkritisch gemurmelt, als er im brennenden Moskau seine Koffer packte und zum Rückzug blies. Die Sentenz drängt sich einem jetzt im Berliner Guggenheimmuseum auf, wo eine Ausstellung mit Mark Rothko, Ives Klein, James Turell „Über das Erhabene“ heißt. Ausgerechnet Klein und Rothko! Was an denen erhaben sein soll, wissen nicht einmal die Götter.

Sicher, schiere Größe, das, was Kant „das mathematisch Erhabene“ genannt hat, gehört tatsächlich zur Erhabenheit dazu. Aber nicht jeder Riesenschinken ist deshalb auch erhaben, vor allem nicht, wenn er, wie bei Klein, aus weiter nichts als aus einer monochromen Farbfläche besteht. Rothkos Schinken, nicht weniger riesig, eher noch riesiger, verfügen wenigstens noch über dunstige Ränder, die ins Andersfarbige changieren, aber auch vor ihnen stellt sich kein Gefühl der Erhabenheit ein.

Was macht das Gefühl der Erhabenheit aus? Edmund Burke, der englische Politiker und Indianerfreund des achtzehnten Jahrhunderts, als eingefleischter Liberaler dennoch scharfer Kritiker der französischen Revolution von 1789, hat gründlich darüber nachgedacht, und was er herauskriegte, hätten die Ausstellungsmacher von Guggenheim ruhig einmal etwas genauer nachlesen können. Sie hätten ihre Ausstellung dann vielleicht nicht „Über das Erhabene“, sondern - treffender - „Über die Langeweile“ genannt.

Burke ging es, ganz im Stil der ästhetischen Diskussion seiner Zeit, um die Abgrenzung des Erhabenen vom Schönen. Das Schöne, meinte er, sei letzten Endes ein „selbstischer“ Affekt; wir empfänden nur das als schön, was uns mit „Liebe“ erfülle, entweder mit geschlechtlicher oder mit ganz allgemein „menschlicher“ Liebe. Erhabenheit hingegen, sublimity, entstehe, wenn uns eine Erscheinung Schauder und Schrecken einjage, allerdings Schauder und Schrecken, denen Distanz beigemischt sei, persönliche Unbetroffenheit, Anschauung aus der Ferne.

Der mächtige Löwe, der uns anfalle, um uns aufzufressen, sei nicht erhaben, auch nicht ein Taifun, der uns um und um wirbele und uns den Regenschirm aus den Händen reiße. Erhaben sei aber die hochgebirgige Alpenlandschaft mit ihren Schründen und Abgründen, die auf der Reise vor unseren Augen vorüberziehen, erhaben sei das Meer, das wir von sicherer Felsenklippe aus in seinem mächtigen Rollen und Wüten beobachten können, erhaben sei der gestirnte Himmel über uns oder der gewaltige, siegreiche Imperator, der im Triumphzug an uns vorbeidefiliere.

Doch nicht die quantitative Größe an sich sei das auslösende Moment, sondern das angesichts ihrer intensiv erlebte Gefühl der eigenen Kleinheit und Unwichtigkeit. Und deshalb habe die Erhabenheit, mehr als die Schönheit, einen konstruktiven, hochmoralischen Effekt. Sie mache uns die Großartigkeit der Schöpfung bewußt, von der wir lediglich ein winziger Augenblick sind, sie lehre uns Bescheidenheit, Ehrfurcht, bewahre uns vor Anmaßung und Größenwahn.

Kant hat den Burkeschen Gedanken aufgenommen und planvoll in seine ästhetische „Kritik der Urteilskraft“ eingebaut, wobei er unversehens weit über den Engländer hinausgeriet. Auch für ihn barg die Erhabenheit Gefühle der unendlichen Kleinheit, des Niedergeworfen- und Ausgeliefertseins. Erhabenheit ist nach Kant das Eingeständnis unserer sinnlichen Ohnmacht angesichts des Schöpfungsganzen, das wir nie und nimmer in seiner transzendenten Wirklichkeit erfahren können. Aber seiner Meinung nach ist das Phänomen damit nicht ausgeschöpft.

Zum „mathematisch Erhabenen“, der Einsicht in die unfaßbare, nie voll erfahrbare Größe der Schöpfung, tritt das „dynamisch Erhabene“, die Entdeckung, daß unsere denkende Vernunft dieser Größe standhalten kann, daß sie von ihr nicht erschlagen, sondern im Gegenteil als gewissermaßen gleichberechtigter Partner anerkannt wird. Indem wir uns als vernünftig Denkende dem Sittengesetz unterstellen - und zwar durchaus freiwillig -, eröffnen wir eine Welt, die an Würde, an Erhabenheit der externen Größe der Alpengipfel oder des wogenden Meeres ebenbürtig ist.

Ein Mensch, der auch unter allerschwierigsten Umständen, in Todesnot oder unter Folterqualen, die Gebote der Sittlichkeit und der Würde erfüllt, bietet einen ebenso erhabenen Anblick wie der gestirnte Himmel über uns. Das ist es, was Kant dachte und was als Zitat von ihm in seinen Grabstein am Königsberger Dom eingemeißelt steht: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“

Wer behaupten wollte, daß auch der Anblick der Farbflächen von Klein und Rothko bei anhaltender Betrachtung unser Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung erfüllte, würde sich wohl ziemlich lächerlich machen. Es ist ein Himmel ohne Sterne, der einem dort geboten wird, und vom Sittengesetz ist schon gar nichts zu spüren. Was man statt dessen zunehmend empfindet, ist eben Langeweile, ein Gähnen vor Abgründen, in die man nicht hineinfallen kann und die einem weder Schauder noch Schrecken verursachen und also auch kein Gefühl der Erhabenheit.

Mit den Alpen und dem Meer steht es besser, auch der Blick in den Grand Canyon oder auf die in der Abendsonne funkelnde Nilfläche kann manches in unserem Inneren auslösen. Am besten ist es, man bleibt während des Urlaubs zu Hause, setzt sich nächtlicherweile auf seinen Balkon und betrachtet den Sternenhimmel. Das wird, so die Erfahrung von Pankraz, eigentlich nie langweilig, lenkt einen am wenigsten ab und schafft Raum für gute Gedanken. Niemand verlangt, daß man dazu Burkes „Philosophical Inquiry into the Origin of Our Ideas of the Sublime and Beautiful“ oder Kants „Kritik der Urteilskraft“ liest.


 
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