© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   36/01 31. August 2001


Operation ohne Ende
Der Bundeswehr-Einsatz in Mazedonien birgt unabsehbare Risiken
Paul Rosen

Als vor Jahren deutsche Nachschub- und Versorgungskompanien in das ostafrikanische Land Somalia einrückten, um dort an einem Friedenseinsatz teilzunehmen, dachte kaum jemand, daß dies der Anfang eines großen internationalen Engagements der Bundesrepublik Deutschland sein würde. Es folgte die Teilnahme an Einsätzen in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo, dessen von der Bundeswehr kontrollierter Teil praktisch zu einem deutschen Mandatsgebiet geworden ist. Nachdem Kanzler Schröder die Mittel für den Einsatz von 120 Millionen Mark auf 148 Millionen Mark aufgestockt sowie eine vorgezogene Nachrüstung von Marder-Panzern gegen Minen zugesagt hatte, empfahl auch die Unionsführung - „guten Gewissens, aber schweren Herzens“ - ihren Abgeordneten die Zustimmung. Am Mittwoch beschloß daher der Bundestag Einsatz Nummer drei: Bis zu 500 Bundeswehrsoldaten können in Mazedonien einrücken, um im Rahmen der Nato-Operation mitzuhelfen, Waffen der albanischen UÇK-Rebellen einzusammeln. Der Einsatz wird zur Zäsur der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Vorsichtig war noch die alte Regierung von Helmut Kohl vorgegangen. Der Historiker Kohl wußte um die Gefahren militärischer Engagements. Nicht nur, daß erstmals seit 1945 gefallene Soldaten (bis heute ist der Fall gottlob nicht eingetreten) das Land in seinen Grundfesten erschüttert hätten. Auch war dem Altkanzler völlig klar, daß es, wie das heute heißt, in jedem Konflikt einer „Exit-Strategie“ bedarf. Das heißt: Wer mit Truppen reingeht, muß auch wissen, wie er da wieder rauskommen kann, ohne daß es wie eine Flucht oder Niederlage wirkt. So war Kohl äußerst behutsam. Im Golfkrieg gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein zahlte er lieber Milliarden, als daß er Truppen entsandte. In Kambodscha waren ausschließlich deutsche Sanitäter tätig, und in Somalia sollten die Deutschen die Feldküche für Soldaten anderer Staaten stellen, die jedoch nie kamen. Die Einsätze waren im Prinzip harmlos.

Seit Amtsantritt der Regierung von Gerhard Schröder hat sich alles geändert. Von der eigentlich pazifistischen Tradition der deutschen Sozialdemokratie ist nichts mehr spürbar. Der Koalitionspartner, die Grünen, in deren Parteigeschichte die versuchte Verhinderung der Nato-Nachrüstung mit atomaren Raketen Anfang der achtziger Jahre eine große Rolle spielt, gebärden sich inzwischen willfähriger als die SPD. Die grüne Verteidigungsexpertin Angelika Beer, die der Türkei keine deutschen Panzer zum Schutz vor immerhin denkbaren Angriffen aus dem Irak oder Iran liefern will, wird nicht müde, die Notwendigkeit des Mazedonien-Einsatzes der Bundeswehr zu formulieren. Die wenigen Gegner des Mazedonien-Einsatzes in der SPD wurden in einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Kanzleramt und Fraktionsführung weichgekocht.

Für Schröder ist jetzt alles klar: Die Bundesrepublik bleibt in der Bündnissolidarität und hat ihre Treue gegenüber dem Westen bewiesen. Die zaudernde Opposition ist von den linken Kräften und Medien in den Ruf gebracht worden, den Zusammenhalt der atlantischen Allianz in Gefahr zu bringen. Verkehrte Welt. Man erinnere sich: Die Grünen waren es, die zu westdeutschen Zeiten den Austritt aus der Nato forderten und die Auflösung der Bundeswehr wollten. Auch in der SPD führte der Streit um die Nato-Nachrüstung letztlich zum Ende der Regierung Schmidt/Genscher. Die SPD wandte sich damals von ihrem Kanzler Helmut Schmidt ab, der die Stationierung der Pershing-II-Raketen wollte, damit die Allianz der Bedrohung durch sowjetische SS-20-Raketen entgegentreten konnte.

Nun führt eine sozialdemokratisch geführte Regierung die Bundeswehr in ihren dritten Auslandseinsatz in Europa. Weder sind die Truppen vernünftig ausgerüstet (die gepanzerten Fahrzeuge werden aus dem Kosovo geholt und fehlen dort) noch ist eine Exit-Strategie erkennbar. Auch wenn der Einsatz nach sfor in Bosnien und kfor im Kosovo zahlenmäßig der kleinste ist, so handelt es sich doch um den riskantesten Einsatz, an dem Bundeswehr-Soldaten je beteiligt waren. Das Mandat der Nato ist unzureichend formuliert. So sollen die Soldaten nun Waffen der UÇK einsammeln - zwischen 3.000 und 4.000 Waffen sollen es nach Angaben aus Brüssel sein. Tatsache ist, daß die UÇK ein viel größeres Waffenarsenal besitzt, so daß die Entwaffnung keinen Sinn hat. Wenn die Nato-Truppen nach dreißig Tagen oder vielleicht einer längeren Frist gehen sollten, hat sich die Lage in Mazedonien nicht geändert.

Außerdem gehen die Interessen der Konfliktparteien in Mazedonien weit auseinander. Die albanische Minderheit ist daran interessiert, die Nato im Land zu haben, weil man sich davon Schutz gegen Übergriffe der mazedonischen Mehrheitsbevölkerung verspricht. Die mazedonische Regierung wiederum freut sich über die wenigstens teilweise Entwaffnung der UÇK, weil sie damit wieder Handlungsfreiheit im eigenen Land gewinnt.

Albaner wie Mazedonier haben es in der Hand, durch gezielte Provokationen und Eskalationen die Nato in den Konflikt noch tiefer hineinzuziehen, die Truppen des Bündnisses in Kämpfe zu verwickeln und ihren Abzug zu verhindern. Vielleicht sammeln die Nato-Truppen Waffen ein, Herr des Verfahrens in Mazedonien sind sie nicht. Dazu ist ihre Präsenz zu schwach, ihre Bewaffnung unvollkommen und ihr Auftrag unklar definiert. Schon längst hat sich auch in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages die Erkenntnis verbreitet, daß die Mazedonien-Krise ihre Ursache im Kosovo und dort besonders in dem Bereich hat, wo amerikanische Truppen stationiert sind.

Die UÇK-Rebellen sickern aus diesem Bereich nach Mazedonien ein und ziehen sich auch dorthin wieder zurück, wenn sie von mazedonischen Regierungstruppen zu stark bedrängt werden. Das alles findet unter Augen und Ohren der US-Truppen statt. Während die Deutschen aus Kostengründen nicht einmal eine eigenständige Statelliten-Aufklärung haben, mit der sie sich ein Bild über die Lage verschaffen können, haben die US-Einheiten die Möglichkeit, den gesamten Funk- und Telefonverkehr der UÇK abzuhören.

Ein effektives Nato-Mandat hätte darin bestehen können, die Grenze vom Kosovo nach Mazedonien dicht zu machen und damit dem Land Frieden zu geben. Daß dies nicht geschehen ist und die Tatsache, daß die USA sich an dem Mazedonien-Einsatz nicht beteiligen, wirft die Frage auf, welche Rolle die letzte verbliebene Weltmacht auf dem Balkan spielt und in Zukunft spielen will. Die Frage kann noch nicht vollständig beantwortet werden, aber eines ist klar: Ein ehrliches Spiel treibt Washington mit seinen europäischen Verbündeten nicht.


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