© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/01 24. August 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Eine Belgrader Inszenierung
Carl Gustaf Ströhm

Westliche Politiker, die sich auf dem schlüpfrigen Bal-kan-Parkett bewegen, gleichen Goethes Zauberlehrling: Kaum gelingt es ihnen, das eine Loch zu stopfen, platzt der Damm an einer anderen Stelle. Sie waren gerade in ihre Clubsessel zurückgesunken, um den endlich (wiederum scheinbar) gelungenen Waffenstillstand zwischen Mazedonien und Albanern zu feiern - da krachte es weiter nördlich: zwischen dem serbischen Premier Zoran Djindjic und dem jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica. Die Minister von Kostunicas Demokratischer Partei Serbiens (DSS) traten aus der Koalition aus und provozierten damit eine schwere Regierungskrise. Djindjic könnte bei Neuwahlen mit seiner Demokratischen Partei (ohne den ethnischen Zusatz „Serbien“) durchaus in der Minderheit bleiben.

Das mag westliche Gemüter überraschen, die den in Deutschland (Frankfurter Schule) ausgebildeten Djindjic zu ihrem Liebling erkoren. Möglicherweise könnte aber gerade diese Beliebtheit im Okzident Djindjic jetzt daheim zum Verhängnis werden. Ähnlich hat sich seinerzeit der Westen (inklusive Helmut Kohl) in Michael Gorbatschow verspekuliert: Man wollte einfach nicht zur Kenntnis nehmen, daß ein Politiker, der im Westen als Medienstar glänzend ankam, bei seinen eigenen Leuten unpopulär sein kann.

Djindjic ist nicht nur deshalb im Westen so beliebt, weil er äußerlich gar nicht „balkanisch“ aussieht, sondern eher wie ein waschechter Westeuropäer. Er gilt auch als „handzahm“ (siehe die Auslieferung von Milosevic an das Haager Tribunal). Daß die Serben von ihm gerade wegen dieser pro-westlichen Eigenschaften alles andere als begeistert sind, wird in der Euphorie gern übersehen. Sogar die FAZ - einst für differenziertere Balkan-Analysen bekannt - bringt jetzt den Belgrader Machtkampf auf die vereinfachende Formel: Hier der „westlich orientierte Pragmatiker“ Djindjic - dort die „nationalistischen Kräfte“ um Kostunica. Der eine führe Serbien in eine leuchtende „westliche“ Zukunft - der andere zurück in den „nationalistischen Schmollwinkel“.

Interessant ist, wie sich das Bild Kostunicas in den westlichen Medien - fast wie auf Bestellung - verfinstert hat: Noch unlängst als Ritter ohne Tadel im Kampf gegen das „Ungeheuer“ Milosevic gefeiert, ist Kostunica in diesen Medien nun selber zu einer Art neuem Milosevic befördert worden. Wenn alles nur so einfach wäre! Vergessen wird, daß Serbien und die Serben vieles sein können - aber sie sind nicht „westlich“. Sie teilen die Traditionen des Westens nicht -oder nur sehr bedingt. Für sie gelten die Wertvorstellungen der byzantinischen Orthodoxie und die Erfahrung jahrhundertelanger osmanischer Herrschaft. Sowenig Rußland je „westlich“ werden kann, wird Serbien jemals geistig und im Lebensgefühl Teil des Westens sein. Wer das nicht begreifen will, hat das Spiel bereits verloren, bevor es begonnen hat.

Byzantinisch ist auch die neueste Belgrader Inszenierung: Aus der Umgebung des Staatspräsidenten wird der pro-westliche Ministerpräsident beschuldigt, mit dem organisierten Verbrechen - der „Surcin-Mafia“ - im Bunde zu stehen. Sogar ein politischer Mord wird ihm angelastet: So soll er etwas mit dem gewaltsamen Tod des serbischen Geheimdienstlers Momir Gavrilovic zu tun haben, der für Kostunica angeblich eine von Djindjic unabhängige Geheimpolizei aufbauen sollte (was wütend dementiert wurde). In diesem Balkan-Szenario bewegen sich die West-Politiker wie einst Parsifal. Man kann ihnen nur Glück und kugelsichere Westen wünschen.


 
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