© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/01 17. August 2001

 
Um die Ähre kämpfen
Das Nerother Mausefallen-Museum lädt zur Zeitreise ein
Jutta Winckler

Den Namen kennt, wer sich für die bündische Jugendbewegung zu Beginn des vorigen Jahrhunderts interessiert: Neroth, ein idyllischer Flecken, liegt in der Vulkaneifel, tief im Westen, und nach ihm benannte sich einst der „Nerother Wandervogel“. Gewandert wird in der Eifel nach wie vor - eine Gegebenheit, von der hier kein Aufhebens zu machen wäre, stünde nicht im Ortskern ein ehemaliges Schulgebäude. Von dessen neuem Verwendungszweck haben bis dato nur Eingeweihte Wind bekommen, wiewohl dessen Besuch noch „Kult“ zu werden verspricht: Neroth ist eine Bildungsreise wert!

Ein gotisierender Schriftzug, gemalt auf das Holzschild über der Eingangstür, läßt Besucher wissen, was sie drinnen erwartet; sie stehen vor einem historiographischen Juwel - dem weltweit einzigartigen Panoptikum der Mausefallen-Branche. Auf engstem Raum, dem Klassenzimmer der ehemaligen Dorfschule, breitet sich die technologische, ökonomische und kulturgeschichtliche Geschichte eines skurrilen Gewerbezweiges aus. Die Drahtflechtkunst der Nerother war seit alters her berühmt: Imposante „Massenfänger“ mit ausreichend Platz für größere Nagerfamilien stehen neben zierlichen Fällchen für die einzelne Feldmaus - aus kaum mehr bestehend als einer Holzröhre nebst Fangschlinge. Noch sind sie nicht prähistorisch fern, die Zeiten knapper Ernährungsressourcen, ständig bedroht von Mißernte, Witterungsunbill oder französischer Kontributionslast - da hieß es, um jede Roggenähre zu kämpfen und die Zahl unnützer Fresser möglichst klein zu halten.

Dem dienten simple Fangapparate für die mus domestica, die gemeine Hausmaus, ebenso wie diejenigen für Spatzen; daneben fallen komplexe Geräte ins Auge wie zum Beispiel die halbkugeligen Korbfallen, deren elastische Einschlupftrichter sich beim Eindringen des Schädlings dehnen, um sich plötzlich tückisch zu verengen, so daß der Rückweg versperrt wird und es kein Entrinnen mehr gibt.

Als Ahnherr der Fallenmanufaktur wird ein gewisser Theodor Kläs überliefert, Jahrgang 1802. Das schroffe Klima, die kargen Böden, die französische Zwingherrschaft machten den Bewohnern der Eifel das Leben sauer. Die Bevölkerungszahl war enorm angestiegen, ganze Sippen wanderten nach Übersee aus, der Heimatboden verhieß wenig Zukunft. Theodor Kläs wanderte zwar nicht aus, sondern nur in andere Regionen des Reiches, nach Baden, Bayern, Württemberg, gar bis nach Böhmen und Mähren. Auf seinen Märschen gelangte er eines Tages ins slowakische Zilina, wo er sich Fertigkeiten im Drahtflechten erwarb. Bald kehrte er nach Neroth zurück und das neue Gewerbe faßte in der Eifel Fuß.

Für den Ort brach im Jahr 1832 eine neue Epoche an; Kläs schenkte ihm eine lukrative Zukunftsperspektive, mit sofortigem Erfolg spezialisierte man sich auf die Herstellung besagter Fanggeräte in sämtlichen Varianten. Was als Nebenerwerb für arme Landleute begann, wurde binnen kurzem zur Haupterwerbsquelle aller Bürger. Die Familien haben alle Hände voll zu tun, es entstehen neuzeitliche Betriebe.

Einer davon überdauerte im heutigen Museum: Die Werkstätte des Josef Pfeil, gegründet 1885, sieht aus, als sei sie soeben von Meister, Gesellen und Lehrlingen verlassen worden. Und in der Tat wird zu Demonstrationszwecken gelegentlich noch gearbeitet. An den Wänden hängen neben den Drahtrollen die Maßbretter zum Schneiden des Flechtmaterials; eiserne Werkzeuge liegen in Reih und Glied, viele davon eigens für die Mausefallenfabrikation entwickelt. Auch die Maschinen wurden von den Benutzern nach eigenen Ideen für den speziellen Bedarf umgerüstet. Die Bandsägevorrichtung stammt aus dem Jahr 1895 und kann vier Dinge: Klötze sägen, Löcher fräsen, Querschlitze sägen und Kanten schmirgeln.

Der Vertrieb der Nerother Erzeugnisse war Sache der Familienoberhäupter, die mit vollgepackten Rucksäcken und Kiepen auszogen, um als Wanderhändler ihre Waren feilzubieten. Das ganze deutsche Reich lernt auf diese Weise die Fallen aus der Eifel schätzen; in der Regel sind die „Musfallskrämer“ mindestens sechs Monate im Jahr unterwegs. Die Firma Pfeil aber nutzte bereits den postalischen Weg zum Vertrieb ihrer Produkte; die Zwischenhändler saßen in Köln, Hannover, Essen, Frankfurt, Bremen und Stuttgart, auch das Ausland wurde in großem Stil beliefert. Das Museum zeigt Schablonen für Übersee-Versandkisten: „Omdurman“ ist da eingestanzt, „via Port Sudan, Afrique“.

Zum Verkaufsschlager wurde die von Josef Pfeil erfundene „Irische Lochfalle“, die, ganz aus Fichtenholz gefertigt, auf der Grünen Insel reißenden Absatz fand, wo restriktiver Giftköderbestimmungen wegen die Mäuse auf den Tischen zu tanzen begonnen hatten. Freilich blieb diese Holzfalle die Ausnahme, denn das Nerother Markenzeichen blieben Erzeugnisse aus ungelötetem, bloß aufgebundenem Drahtgeflecht. Heute wird zwischen Maaren und Vulkankegeln nicht mehr „am Draht geschafft“; wer Nager im Haus hat, kauft im Supermarkt eine genormte Bügelfalle aus China oder der Türkei. Wie viele andere ist nun auch der Beruf des Mausefallenbauers ausgestorben, ist die Zeit der „Musfallskrämer“ abgelaufen. Am längsten hielt die Pfeilsche Werkstätte durch, die erst 1979 ihre Fabrikation einstellte. 1990 ist sie in ein Museum eingegangen, das weltweit seinesgleichen nicht hat.

 

Mausefallen-Museum, Hauptstraße 38 a, 54570 Neroth, Tel.: 0 65 91 / 58 22 Öffnungszeiten vom 1. April bis 31. Oktober mittwochs 14 bis 16 Uhr, freitags 15 bis 17 Uhr; vom 1. November bis 31. März freitags von 15 bis 17 Uhr. Der Eintritt kostet 2 Mark, Kinder und Jugendliche zahlen eine Mark.


 
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