© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/01 17. August 2001

 
Mit Volkes Stimme gegen Temelín
Atomkraft: Umstrittenes südböhmisches Kraftwerk nimmt Probebetrieb wieder auf / FPÖ plant Volksbegehren
Frank Philip

Nach einer dreimonatigen Pause hat das südböhmische Atomkraftwerk Temelín - nur 50 Kilometer von der österreichischen und 60 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt - den Probelauf wieder aufgenommen. Wie ein Sprecher der Betreiberfirma CEZ bestätigte, wurde die Kettenreaktion am vergangenen Sonntag gestartet, und nach verschiedenen physikalischen Tests solle die Leistung des Reaktors stufenweise auf 55 Prozent gesteigert werden. Die Leiterin der Staatlichen Behörde für atomare Sicherheit (SUJB), Dana Drabova, erklärte im tschechischen Rundfunk, im Laufe der nächsten Tage solle die Turbine ans Netz angeschlossen werden. „Aber das ist sicher wieder so eine Schätzung: ’wenn alles gut laufen wird‘.“

In der Vergangenheit lief nicht immer alles so gut, tatsächlich stand das ganze Projekt Temelín unter keinem guten Stern. Der Bau wurde ab 1986 - dem Jahr der Katastrophe von Tschernobyl - vorangetrieben. Zunächst waren vier Reaktoren sowjetischer Bauart mit einer Leistung von jeweils 1.000 Megawatt geplant, nach 1989 reduzierte die tschechische Regierung auf Druck des Westens den Entwurf um zwei Blöcke. Am 9. Oktober 2000 startete der Probebetrieb im Beisein des sozialdemokratischen tschechischen Ministerpräsidenten Milos Zeman zunächst mit geringer Leistung. Die tschechische Öffentlichkeit feierte den Start Temelíns als nationalen Triumph. Präsident Václav Havel gestand aber im Rundfunk ein, die Entscheidung zum Bau von Temelín sei der größte Fehler seiner Amtszeit gewesen.

Schon im Februar gab es nach einer Reihe von Pannen die erste größere Störung: In einer Rohrleitung wurde ein Riß infolge starker Vibrationen entdeckt. Ende März zerbrachen mehrere Stahlbänder, die ein stark schwingendes Turbinenrohr stabilisieren sollten. Das Material hatte dem starken Druck und den Schwingungen nur zwei Tage standgehalten. Nach einer schweren Beschädigung der Hauptturbine Ende April wurde das Kraftwerk für eine größere Reparatur ganz abgeschaltet, zuvor war es wegen Defekten schon fünfzehnmal heruntergefahren worden. Daraufhin forderte die deutsche Bundesregierung die Tschechei auf, auf das Kraftwerk zu verzichten. Der grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin erklärte, das Kraftwerk sei ein „sowjetisches Fossil“ und trotz diverser Nachrüstungen nicht genehmigungsfähig. Die Prager Regierung verwehrte sich in scharfer Form gegen die „Einmischung des Auslands“ und vertrat damit „Volkes Meinung“: Mehr als zwei Drittel der Tschechen unterstützen laut einer repräsentativen Umfrage nach wie vor die Inbetriebnahme des AKW Temelin. Die Zahl sei aber seit Oktober 2000 leicht von 71 auf 67 Prozent gesunken. Das teilte die Agentur CVVM am letzten Montag in Prag mit. Die Zahl der Temelín-Gegner sei im selben Zeitraum immerhin von 16 auf 22 Prozent gestiegen.

In Österreich ist der Widerstand gegen das Atomkraftwerk Temelín besonders stark. Der Landeshauptmann von Oberösterreich Josef Pühringer bezeichnete die aktuelle Wiederaufnahme des Probebetriebs als „eine Provokation ersten Ranges“. Er bedaure, daß auf tschechischer Seite insbesondere der Strommonopolist CEZ scheinbar nichts dazugelernt habe. Zumindest das Ergebnis der Umweltverträglichkeits- und Sicherheitsprüfung hätte man abwarten sollen, so der ÖVP-Politiker Auch die SPÖ-Umweltsprecherin Ulli Sima nannte die Wiederaufnahme des Probebetriebs einen „Affront“ und unverantwortlich. Die Umweltlandesrätin Ursula Hauber (FPÖ), eine Schwester Jörg Haiders, hatte schon vor Wochen erklärt: „Für mich bedeutet ein Festhalten am Betrieb des Schrottreaktors ein ’Aus‘ der EU-Beitrittsbemühungen Tschechiens.“

Vier Landesverbände der Freiheitlichen in Öberösterreich, Niederösterreich, Wien und Salzburg haben jetzt eine Unterschriftensammlung für ein Volksbegehren eingeleitet. Damit soll die Wiener Bundesregierung zu einem Veto gegen den EU-Beitritts Tschechiens gezwungen werde, falls der grenznahe Reaktor nicht endgültig stillgelegt wird. Österreichs Außenministerin Benita Ferrero-Waldner bemühte sich um Schlichtung. Temelín sei eine souveräne Entscheidung Tschechiens, sagte sie in einem Interview. Sie erwarte vom Koalitionspartner FPÖ, daß er sich an das Regierungsabkommen halte, durch „die Erweiterung der EU um neue Mitgliedstaaten den Friedens- und Stabilitätsraum auf dem europäischen Kontinent“ auszuweiten. Es wird deutlich, daß die ÖVP-Politikerin keinesfalls das gerade wieder verbesserte Ansehen der schwarz-blauen Koalition gefährden möchte.

Derweil laufen die Vorbereitungen der FPÖ-Landesverbände für ein Volksbegehren „Veto gegen Temelín“ an: Mit der reißerischen Parole „Wien darf nicht Tschernobyl werden“ sammelt Wiens FPÖ-Chef Hilmar Kabas erste Unterschriften - rund 8.000 müssen es sein, damit der Nationalrat das Volksbegehren einleitet. ÖVP, SPÖ und Grüne lehnen das Junktim zwischen Temelín und dem tschechischen EU-Betritt ab. Dennoch sei die Unterstützung quer durch alle politischen Lager sehr stark, wie eine Sprecherin des oberösterreichischen FPÖ-Chef Hans Achatz gegenüber der JUNGEN FREIHEIT betonte. Im Herbst könne das Volksbegehren starten. „Wir sehen eine realistische Chance, Temelín noch zu stoppen. Der Druck auf die Regierung nimmt ständig zu“, heißt es bei der FPÖ in Linz. Mit einer Nachbesserung werde man sich nicht zufriedengeben, da alle unabhängigen Experten bestätigten hätten, daß eine Nachrüstung auf westliche Sicherheitsstandards unmöglich sei.

Zudem hätten „sämtliche Gutachten ergeben, daß das Kraftwerk sowieso unwirtschaftlich ist“. Daher sei die starre Haltung der Tschechei nicht verständlich, so die Sprecherin von Achatz. Nach Aussage des tschechischen Außenamtes würde eine Stillegung Temelíns erhebliche Verluste bringen. In einem Schreiben an die Wiener Regierung werden die Kosten einer Stillegung mit 6,5 Milliarden Mark beziffert. So hoch dürfte die Rechnung an die EU ausfallen, sollte Prag zu einem Verzicht gedrängt werden.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen