© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/01 17. August 2001

 
Die Sorgen der Sorben
Sachsen: Die Schulpolitik des sächsischen Kultusministeriums stößt bei der sorbischen Minderheit auf Unverständnis
Matthias Bäkermann


Die Verfassung des Freistaates Sachsen erkennt im Artikel 5 das Recht auf Heimat an. Dieses gilt für die Bürger deutscher, sorbischer und anderer Volkszugehörigkeit und beeinhaltet den Schutz des Rechtes auf Bewahrung der Identität sowie auf Pflege ihrer Sprache, Religion, Kultur und Überlieferung. Besonders für die Sorben wird durch Schulen, vorschulische und kulturelle Einrichtungen die Gewährleistung und der Schutz dieses Rechtes hervorgehoben.

Nun hat das sächsische Kultusministerium in Dresden für das nächste Schuljahr beschlossen, in der sorbischen Mittelschule in Crostwitz/Oberlausitz die weiterführende 5. Schulklasse nicht einzurichten. Begründet wurde dieser Schritt mit der für Sachsen geltenden Klassenstärkezahl von mindestens 40 Schülern im zweizügigen Mittelschulsystem. Die Gemeinde Crostwitz hat als Schulträger im Frühjahr 2001 beim Verwaltungsgericht in Dresden die aufschiebende Wirkung beantragt, bis über ihre reguläre Klage gegen das Kultusministerium entschieden ist. Am 31. Juli hat das Verwaltungsgericht schließlich durch Beschluß die Entscheidung des Ministeriums bestätigt.

Dadurch ist der langfristige Erhalt der Mittelschule gefährdet, da absehbar auch in den nächsten Jahren durch die geburtenschwachen Jahrgänge der Nachwendezeit die nötige Schülerzahl von 40 nicht erreicht werden kann. Damit würde die über hundertjährige Geschichte der örtlichen sorbischen Schule beendet. Der Bürgermeister der Gemeinde Crostwitz, Matthias Brützke (CDU), bemängelte gegenüber der JUNGEN FREIHEIT, daß damit der sorbischen Bevölkerungsmehrheit in seiner Gemeinde eine wichtige identitätsstiftende Größe verlorenginge. Deshalb wurde auf das ergangene Urteil Revision beim Oberverwaltungsgericht in Dresden eingelegt.

Das identitätsstiftende Element wird auch von Bozena Pawlikec vom Bund Lausitzer Sorben Domowina hervorgehoben. Der JUNGEN FREIHEIT stellte sie die große Bedeutung der Crostwitzer Mittelschule dar. Neben fünf weiteren Schulen in den Kreisen Kamenz und Bautzen, in denen Sorbisch in den sprachlichen Mittelpunktfächern unterrichtet werde, sei besonders die Mittelschule Crostwitz auch ein kultureller Mittelpunkt für die Sorben der Oberlausitz.

Die etwa 60.000 überwiegend katholischen Sorben, die über die Länder Sachsen und Brandenburg beziehungsweise die Ober- und die Niederlausitz verteilt leben, sind die Nachfahren eines elbslawischen Volksstammes, der die deutsche Ostsiedlung überdauerte, und gelten neben den Südschleswigern als einzige hiesigstämmige Minderheit in Deutschland. Bozena Pawlikec ist besorgt, daß durch die arbeitsmarktorientierte Abwanderung aus dem strukturschwachen Gebiet die sorbische Kultur letztlich aussterben könnte. Deshalb seien die noch vorhandenen Institutionen um so wichtiger.

Das sächsische Ministerium ist diesbezüglich weniger sensibilisiert. Nach Aussage des Pressesprechers Steffen Große orientiere sich die Entscheidung, die fünfte Klasse nicht an der Crostwitzer Schule einzurichten, an den schulpolitischen Richtlinien. Diese bezögen sich hauptsächlich auf die qualitative Ausbildung der Schüler in Sachsen, und diese sei durch das zweizügige Klassensystem A und B mit mindestens 20 Schülern pro Klasse am ehesten sichergestellt. Da in ganz Sachsen die Schülerzahlen zurückgingen und dadurch eine strukturelle Änderung auch auf andere Schulen im Freistaat zukäme, gelte das nach dem Gleichheitsgrundsatz auch für die sorbische Minderheit. Man müsse die Fakten zur Kenntnis nehmen, betonte Große, außerdem sei den insgesamt nur 17 sorbischen Schülern zuzumuten, eine andere sorbische Schule, zum Beispiel im benachbarten Ralbitz oder in Räckelwitz, zu besuchen.

Der Vorsitzende der Domowina, Jan Nuck, sieht die verbrieften Rechte der Sorben auf Minderheitenschutz durch das Verwaltungsgerichtsurteil verletzt. „Bei rein rechnerischer Herangehensweise ist die Minderheit immer der Verlierer. Schutz und Förderung der sorbischen Sprache können nicht an Zahlen festgemacht werden, die für die Mehrheitsbevölkerung gelten“, gibt Nuck mit Blick auf die geforderten Quoten zu bedenken.

Zum letzten Tag der Sommerferien, am 8. August, rief Nuck zu einer Protestaktion der sorbischen Minderheit auf, zu der 1.200 Teilnehmer erschienen. Neben den Fraktionsvorsitzenden aller drei im Landtag vertretenen Parteien CDU, PDS und SPD trat auch der Staatsminister für Kultus, Matthias Rößler (CDU), auf. Viele Redner bezweifelten, ob es möglich sei, mit 17 Schülern eine Klasse einzurichten, ohne daß die schulische Qualität leide. Minister Rößler sprach davon, daß die minderheitsbezogene Schulpolitik wichtig sei, gleichzeitig mahnte er einen notwendigen Konsens an, der leider so aussehen müsse, „daß nicht alle Blütenträume der Sorben aufgehen können“. Elternvertreter kündigten für den ersten Schultag an, ihre Kinder trotz des Beschlusses an die Crostwitzer Mittelschule zu schicken.

Die Proteste der Sorben haben selbst über die regionalen Grenzen hinaus zu Diskussionen geführt. So hat der Abgeordnete Miloslav Ransdorf der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens im Prager Parlament die Minderheitenpolitik Deutschlands verurteilt. Außenminister Jan Kavan wurde aufgefordert, eine offizielle diplomatische Anfrage an Bundesaußenminister Joseph Fischer weiterzuleiten. Diesem wurde, entgegen verbreiteten Gerüchten, nicht entsprochen. Nach Auskunft des Ersten Botschaftssekretärs Zdenek Aulicky gegenüber der JF habe die tschechische Regierung in keiner Form der Bundesrepublik etwas vorzuwerfen und sehe davon ab, die inneren Angelegenheiten mit einer diplomatischen Note zu tangieren.

Dessenungeachtet wird zwischenzeitlich der Unterricht der Fünften Klasse an der Crostwitzer Schule mit Hilfe pensionierter Lehrer fortgeführt. Die Hoffnung der sorbischen Minderheit richtet sich auf die sächsische Landesregierung, die verhindern soll, daß die Aufgabe der Schule die Infrastruktur der Zweisprachigkeit auflockert und die Existenz einer tausend Jahre alten Sprach- und Kulturgemeinschaft gefährdet.


 
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