© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/01 10. August 2001

 
Fernsehen: Das ZDF hat sich an einer dokumentarischen Filmerzählung versucht
Auf der Spur von Mördern
Dirk Jungnickel

Drei spektakuläre authentische Mordfälle stehen im Mittelpunkt von sechs Folgen der in den letzten Wochen gesendeten ZDF-Reihe "Im Netz der Mordkommission". Die Opfer wurden von dem Täter oder den Tätern auf grauenvolle Weise zerstückelt und die Leichenteile an verschiedenen Orten in Niedersachsen vergraben oder versenkt.

Die Dokumentarfilmer Michael Heuer und Heiner Gatzemeier bezeichnen ihren Versuch einer Langzeitbeobachtung als "dokumentarische Filmerzählung über die Arbeit der zuständigen Mordkommissionen". Die andernorts gebrauchte neudeutsche Genrebezeichnung "Doku-Soap" sollte man besser aus dem Sprachgebrauch verbannen.

Um es vorwegzunehmen: Die bisher ausgestrahlten Folgen hinterlassen einen zwiespältigen Eindruck. Die Idee, den Alltag der Ermittlungen und der Ermittler jahrelang zu begleiten, hat ihren Reiz, aber auch ihre Schwierigkeiten. Das Anliegen, die Qualen der Hinterbliebenen, deren Hoffnungen und Hoffnungslosigkeiten einzubeziehen, ist lobenswert, aber nicht einfach umzusetzen.

Der geübte Krimi-Zuschauer verzichtet sehr gern auf die üblichen "Tatort"-Schlenker. Alberne Frotzeleien der Kommissar-Duos untereinander oder private Probleme mit Beziehungskisten fallen hier zum Glück natürlich nicht an. Daß die Kleinarbeit der Kriminalisten, die Akribie, mit der auch kaum erfolgversprechende Spuren verfolgt werden müssen, und der sich über Jahre kumulierende Frust über stagnierende Ermittlungen das Krimi-Klischee konterkarieren, hat wiederum Neuigkeitswert.

Worum geht es im Einzelnen? Im Oktober 1996 entdeckt man an der Bahnstrecke Braunschweig-Hannover bei Vechelde den vergrabenen Torso der vermißten 18jährigen Yasmin Stieler. Der Kopf und die Gliedmaßen werden wesentlich später gefunden.

Im März 1998 wird der Rumpf des 13jährigen Markus Wachtel aus einer Kiesgrube bei Peine geborgen. Die Obduktionen ergeben vorerst keine Anhaltspunkte für eine Sexualstraftat.

Einige Wochen später fischt man aus dem Elbe-Seiten-Kanal bei Gifhorn die Leichenteile von Ruth Buchelt, 59. Der vorbestrafte Sexualtäter Olaf Weinert kann nach wenigen Tagen dingfest gemacht werden. Er gesteht die Tat, es führt aber keine Spur zu den beiden anderen Fällen. Wenn die Filmemacher versuchen, die Ermittlungsarbeit zu dokumentieren, geraten sie in etwa in das gleiche, sicher unvermeidliche, Dilemma wie Spielfilmregisseure, die in einem Film über einen Komponisten die Entstehung einer Symphonie auf die Leinwand zu bringen versuchen. Kopfarbeit widersetzt sich der optischen Umsetzung. Die Autoren behelfen sich mit Dialogen oder Stellungnahmen über den Stand der Ermittlungen. Hörenswert wird es immer dann, wenn der Psychologe, auch Profiler genannt, einbezogen wird. Hier wird deutlich, welche immense Rolle das erarbeitete Täterprofil spielt. Auf manche Dialoge zwischen den Kommissaren hätte man verzichten können, zumal der Zuschauer spürt, daß sie für die Kamera stattfinden. Auch die Hinweise auf deren seelische Belastung und auf ihre Angst vor Folgetaten müßten nicht ständig wiederholt werden.

Was es kriminalistisch bringen soll, wenn man mit Doubles den vermeintlichen Weg der Opfer vor der Tat nachgestaltet und filmt, bleibt im Dunkeln. Diese Sequenzen werden – verfremdet – immer wieder eingeschnitten, und der Verdacht liegt nahe, daß man sie nur erstellt hat, um sie als optisches Futter für die Dokumentation zu verwenden, was durchaus legitim wäre.

Rätselhaft bleibt auch die Plakataktion an der Bahnstrecke im Fall Yasmin. Ein Foto des Mädchens mit der Frage "Können Sie damit leben?" soll angeblich den Täter herausfordern. Hier hätte man sich gezielte Fragen an den Kriminalpsychologen gewünscht, zum Beispiel warum man daraufhin spekuliert, daß ein Kapitalverbrecher diesen Kalibers dadurch verunsichert würde oder sich gar der Polizei stellen sollte. Ähnliche Fragen stellen sich dem Zuschauer, was den Aufruf der Mutter im Fernsehen betrifft. Sie bittet den Mörder ihrer Tochter, anonym mitzuteilen, wo die anderen Körperteile ihrer Tochter zu finden sind.

Eine wichtige Botschaft kommt dennoch von dem Profiler. Er beklagt, daß die Boulevardpresse einen finsteren Täter hochstilisiert, der mit der Kettensäge unter der Jacke in Diskos nach Opfern Ausschau hält. Die so aufgrund einer sensationslüsternen Journaille voreingenommene und festgelegte Öffentlichkeit hält sich demzufolge mit personen- bezogenen Hinweisen zurück. Das sollte zu denken geben. Strafverfolgung wird so indirekt boykottiert.

Erschütternd sind die Sequenzen, in denen Yasmins Mutter und Markus’ Eltern ihren seelischen Zustand preisgeben. Anrührend auch die eher hilflosen Versuche der Kriminalpolizisten, zu trösten und beizustehen. Aber auch hier hätte eine exemplarische Sequenz zweifellos genügt; Wiederholungen sind nicht immer von filmischen Reiz. Das gilt auch für die allzu häufig verwendeten Privatvideos.

Sicher muß der Zuschauer bei einem einwöchigem Sendeabstand immer wieder "reanimiert" werden. Eine insgesamt kürzere zweiteilige Fassung à 60 Minuten wäre dem Unterfangen gerechter geworden. So bringt Teil vier kaum Neues. Nachdem man anfangs mit fast sechsminütigen Wiederholungen eine Geduldsprobe absolvieren muß, thematisieren die Autoren immerhin die Problematik des Lügendetektors. Sein Einsatz bei Olaf Weinert untermauert die Serientätertheorie, gerichtsverwertbare Beweise dafür gibt es aber nicht. Ob der Zuschauer bei der Stange bleibt, wenn zum Schluß serientypisch auf die große Wende im Fall Markus Wachtel im nächsten Teil verwiesen wird, ist fraglich – die toten Aquariumfische des Opfers, eine lang übersehene Spur, führen 18 Monate nach der Tat letztlich zur Verhaftung und Anklage eines deutsch-russischen Berufsschülers wegen Mordes an Markus Wachtel. Hier gewinnt die Dokumentation aufgrund kriminalistischer Substanz an Dichte und vermag zu fesseln.

Höhepunkte im Krimi sind die Verhöre von Tatverdächtigen. Hier bleiben sie jedoch außen vor. Weder der windige Flohmarktbetreiber noch die Jugendlichen der sogenannten Russenspur oder der Mörder von Ruth Buchelt kommen dabei ins Bild. Schade, aber verständlich, daß sich die Kriminalisten dabei nicht in die Karten schauen lassen wollten.

Ein weiteres Manko ist die oft schwülstige Musik, die vor allem in den ersten Folgen von mangelndem Vertrauen in die Bilder und das Sujet zeugt. Stellenweise ist sie schier unerträglich und banalisiert das Geschehen. Filmmusik soll bekanntlich unter-, nicht überstreichen.

Nichtsdestotrotz: Unsere Richter, Staatsanwälte und vor allem die psychiatrischen Gutachter sollten sich diese ZDF-Dokumentation ins Regal stellen und bei Bedarf hineinschauen. Vor allem letztere, die therapiefixiert allzu oft psychisch kranken Tätern mit falschen Prognosen Straferleichterung verschaffen oder sogar ihre Entlassung leichtfertig betreiben, hätten die Gelegenheit, den Hinterbliebenen der Opfer in die Augen zu sehen und daraus ihre Konsequenzen zu ziehen.

Wenn auch der Kanzler mit seiner Wegsperrparole zu weit vorgeprescht ist, wie es seine Art ist, so darf die Diskussion über die Schwerpunktverlagerung von weniger Täter- zu mehr Opferschutz nicht abbrechen. Bei allen Einwänden kann "Im Netz der Mordkommission" dabei hilfreich sein.

 

Dirk Jungnickel ist Regisseur und Filmemacher. Er lebt in Berlin.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen