© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/01 10. August 2001

 
Eine einsame Stimme gegen die Kollektivschuld
Der amerikanische Intellektuelle David Horowitz im ideologischen Sperrfeuer seiner ehemaligen Genossen
Matthew Richer

Sigmund Freud hatte unrecht. Nicht der Geschlechtstrieb ist die stärkste Kraft, die den Menschen bewegt, sondern der Wille zur Zensur. Unlängst versuchte der Publizist David Horowitz, in den sechziger Jahren eine Galionsfigur der amerikanischen "Neuen Linken", bei Studentenzeitungen an 53 US-amerikanischen Universitäten eine Anzeige zu schalten. Die Überschrift der Anzeige lautete: "Zehn Gründe, warum Reparationen für die Sklaverei keine gute Idee und zudem rassistisch sind". Sie richtet sich gegen die Erwägungen von Bürgerrechtsbewegungen, Künstlern und Intellektuellen, im Fahrwasser der Sammelklagen auf Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern Verfahren auf Wiedergutmachungszahlungen an die Nachfahren amerikanischer Sklaven anzustrengen. Nur dreizehn der angeschriebenen Zeitungen wagten Horowitz’ Anzeige abzudrucken.

Die Reaktionen waren bezeichnend: An der Universität von Wisconsin demonstrierten über hundert radikale Studenten vor der Redaktion der Studentenzeitung, des Badger Herald. "Rassisten!" skandierten sie andauernd. Daß die meisten von ihnen die Anzeige noch gar nicht gelesen hatten, hinderte sie nicht daran, zu fordern, daß der Badger Herald sie nicht drucke. Dessen Redakteure blieben jedoch bei ihrem Entschluß und veröffentlichten die Anzeige. Daraufhin stohlen die Radikalen die gesamte Auflage von den Zeitungsständern und entsorgten sie.

Die Studentenzeitung der altehrwürdigen Brown University erklärte sich ebenfalls bereit, die Anzeige zu drucken. Auch hier vernichteten radikale Studenten die erste Auflage. Beim zweiten Versuch mußte der Sicherheitsdienst der Universität die Zeitungsständer bewachen.

Ende März lud die Universität von California in Berkeley bei San Francisco Horowitz ein, seine Anzeige zu verteidigen. Wie kaum anders zu erwarten war, fiel ein Mob feindselig gestimmter Studenten über ihn her und skandierte: "Meinungsfreiheit, keine Haßfreiheit!" Um die vierzig bewaffnete Leibwächter mußten Horowitz während seiner Ansprache schützen.

Die Vorwürfe der Radikalen stehen auf wackligem Boden, denn die meisten von Horowitz’ "zehn Gründen" leuchten der Mehrzahl der Amerikaner durchaus ein. Es gibt keine einzelne Gruppe, die eindeutig für das Verbrechen der Sklaverei verantwortlich zu machen wäre. Tatsächlich nahm die Sklaverei ihren Anfang, als die heutigen USA nur eine Kolonie des britischen Empire waren. Araber waren genauso in den Sklavenhandel verwickelt wie afrikanische Häuptlinge, die ihre Stammesbrüder an die Europäer verkauften.

Lediglich eine kleine Minderheit der weißen Amerikaner besaß jemals Sklaven, während andere ihr Leben opferten, um sie zu befreien. Um die 620.000 Amerikaner, die meisten von ihnen Weiße, starben im Laufe des Bürgerkriegs. Ein hoher Preis für die Emanzipation der Sklaven. Sollen diese Männer nun über ihre Nachfahren gezwungen werden, noch mehr zu bezahlen?

Andere Argumente, die Horowitz aufwirft, sind im amerikanischen Meinungsspektrum nicht zugelassen – und auf dem College-Campus schon gar nicht. Die Forderung nach Entschädigungszahlungen ist einmal mehr der Versuch, schwarze Amerikaner zu Opfern zu machen. Der Opferstatus ist in den USA sehr begehrt. Menschen, die sich zu Opfern erklären, mögen es gar nicht, wenn man ihnen widerspricht. Was ist mit den Schulden, die die Schwarzen bei Amerika haben? Diese Frage in der akademischen Welt zu stellen, ist reine Ketzerei. Horowitz, selber Jude, sieht die Abschaffung der Sklaverei als Verdienst weißer Christen in England und Amerika. Er hält es für heuchlerisch, den Weißen die Verantwortung für die Sklaverei anzulasten und dabei zu vergessen, daß sie an ihrer Abschaffung wesentlich beteiligt waren. Die Schwarzen befreiten sich schließlich nicht selber, und noch heute schulden sie denen Dankbarkeit, die für ihre Emanzipation kämpften. Wäre das schwarze Amerika ein unabhängiger Staat, so stünde es weltweit an 14. Stelle auf der Liste der reichsten Länder. Diese optimistische Sicht widerspricht jedoch dem Trend, die USA als rassistische kapitalistische Gesellschaft zu sehen, die Minderheiten schon immer ausgebeutet hat.

Daß dieser neueste Buhmann der political correctness ausgerechnet David Horowitz heißt, ist eine kleine Ironie der Geschichte. In den sechziger Jahren machte sich Horowitz einen Namen als radikaler Aktivist. Als Redakteur der marxistischen Zeitschrift Ramparts (Barrikaden) arbeitete er obendrein eng mit den militanten Separatisten der Black Panther-Bewegung zusammen, die offen zur Gewalt gegen Politiker wie Polizisten aufriefen.

Horowitz begann sich enttäuscht von der Linken abzuwenden, nachdem die Black Panthers in einer ihrer regelmäßigen Säuberungsaktionen einen seiner besten Freunde ermordeten. Als er in den achtziger Jahren Ronald Reagans Präsidentschaftskandidatur unterstützte, war seine Kehrtwende endgültig vollzogen. Heute schreibt Horowitz wie ein Spion, der die ideologischen Fronten gewechselt hat, um aus dem Feindeslager zu berichten. In mehreren Büchern hat er sich mit der politischen Psychologie der Linken befaßt. Sein Vermächtnis der Sechziger-Jahre-Generation, "Radical Son" (1997), gilt als zeitgenössischer Klassiker. Daß viele seiner früheren Genossen ihn heute als Verräter verleumden, darauf ist Horowitz stolz.

Umfragen zufolge sind über 80 Prozent der Amerikaner gegen Reparationszahlungen an die Nachkommen der Sklaven. Im Kongreß findet die Forderung sogar noch weniger Unterstützung. Daß es überhaupt zu dieser Kontroverse kommen konnte, liegt an der doppelten Moral, die der amerikanischen Bevölkerung seit dreißig Jahren bezüglich der Rassenproblematik aufgezwungen wird. Uns ist eingebleut worden, Schwarze seien eine geschützte Rasse, die man anders behandeln muß als Weiße. Genau dieser Devise folgten die Studentenzeitungen mit ihrer Weigerung, Horowitz’ Anzeige zu veröffentlichen. Daß sie dabei das Recht auf freie Meinungsäußerung mißachteten, nahmen sie in Kauf. Des Verstoßes gegen die Meinungsfreiheit bezichtigt zu werden, ist im derzeitigen amerikanischen Klima schlimm – als Rassist beschimpft zu werden, weit schlimmer.


 
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