© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/01 10. August 2001

 
Mit dem geistigen Auge zuerst sehen
Ausstellung: "Zeichnungen der Romantik" mit Bildern von Caspar David Friedrich und Johan Christian Dahl
Thorsten Thaler

Die Maler Caspar David Friedrich (1774–1840) und Johan Christian Clausen Dahl (1788–1857) lernten sich im Herbst 1818 in Dresden kennen, fünf Jahre später bildeten sie im Haus An der Elbe Nr. 33 eine Hausgemeinschaft, die bis zu Friedrichs Tod am 7. Mai 1840 Bestand hatte. Während der 14 Jahre jüngere, in der kleinen Handelsstadt Bergen an der Westküste Norwegens geborene Dahl schon zu Lebzeiten Anerkennung fand, war Friedrich bereits von der Welt vergessen, als er starb. Erst die Jahrhundertausstellung 1906 in Berlin, die sich der Kunst zwischen 1775 und 1875 widmete und 40 Bilder von ihm zeigte, ließ Friedrich jenen Rang einnehmen, den er seither als Erneuerer der deutschen Landschaftsmalerei und Wegbereiter der Romantik zu Recht besitzt.

Johan Christian Dahl und Caspar David Friedrich einte das tiefe Empfinden für die Natur, weshalb beide von der Rezeptionsgeschichte häufig in einem Atemzug genannt und miteinander verglichen werden. Um so bemerkenswerter ist, daß ausgewählte Werke beider Maler jetzt erstmals zusammen in einer Ausstellung zu sehen sind. Das Staatliche Museum Schwerin zeigt rund 100 Bleistiftzeichnungen, Sepien und Aquarelle – überwiegend aus dem Besitz der Nationalgalerie Oslo sowie verschiedenen Sammlungen in Deutschland –, die sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen den Künstlern deutlich werden lassen.

In der Kunstliteratur gelten Friedrich und Dahl als Antipoden, die für unterschiedliche Stile und Bildauffassungen stehen. Friedrich entwickelte ein Naturverständnis, das Landschaft als Projektionsraum auffaßte, in dem er das Gesehene und das Empfundene zu einem Bild zusammenfügte. Das Äquivalent einer konkreten Naturerscheinung – Wolken, Bäume, Felsen, Ruinen, Seen und Flüsse – lag für Friedrich stets in der spirituellen Bedeutung, dem "Göttlichen", das er dem Beobachteten zumaß. So konstruierte er seine Bilder gleichsam als Ausdruck eines verinnerlichten Sehens. In einer Äußerung Friedrichs heißt es: "Schliesse dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, daß es zurückwirke auf andere von außen nach innen."

Der Direktorin des Staatlichen Museum Schwerin, Kornelia von Berswordt-Wallrabe, weist in ihrem lesenswerten Essay, der den Ausstellungskatalog einleitet, anhand der Arbeitstechnik Friedrichs nach, daß dessen Landschaftsdarstellungen von "strengster Gebautheit" sind. Die in der Schweriner Exposition gezeigten Zeichnungen und Aquarelle von Caspar David Friedrich belegen, daß er eine Auffassung von Welt hatte, "die sich aus der Summe vieler Teile zusammensetzt. Jedes Teil besteht aus vielen Facetten (,) und jede Facette ist ein Gebilde aus vielen Elementen".

Johan Christian Dahl hingegen vermittelte in seinen wirklichkeitsgetreuen Naturdarstellungen, die dem Realismus in der Landschaftsmalerei zum Durchbruch verhalfen, ein subjektiv geprägtes Bild von der Natur und ihren Erscheinungen. Während Friedrichs gefühlsbetonte Bild-Konstruktionen eine Raum- und Zeitlosigkeit evozieren, sind Dahls Werke durch Ort und Zeit determiniert; das "Göttliche" bei Friedrich blieb ihm fremd, seine Anschauung von Natur korrespondiert mit einer Erkenntnis, die allein der Sinneswahrnehmung entspringt.

So markiert die Ausstellung neben der motivischen Gemeinsamkeit beider Künstler vor allem auch die ideellen Polaritäten in der Landschaftsmalerei im Zeitalter der Romantik. 

 

Die Ausstellung wird noch bis zum 9. September im Staatlichen Museum Schwerin, Alter Gar- ten 3, gezeigt. Der Katalog kostet 35 Mark..


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen