© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/01 10. August 2001

 
Pankraz,
R. McNamara und die Wege der Globalisierung

Manchmal sollte man auch auf die großen Hansen hören, wenigstens wenn sie in Pension sind. Robert McNamara, der ehemalige Weltbankchef, stellte jetzt (in einem Interview mit Focus) fest, daß die wirklichen Verlierer der "Globalisierung" die gut ausgebildeten Facharbeiter der sogenannten Ersten Welt, also des "Westens" seien. Diese würden nicht mehr vom Kapital gebraucht, da die einst von ihnen besorgten Arbeitsgänge dank Mechanisierung und Elektronisierung und günstiger Verkehrslagen inzwischen genauso gut von ungelernten Kräften der Dritten Welt erledigt werden könnten, und zwar sehr viel billiger.

Alles Reden über die Ausbeutung der Dritten Welt im Zeichen der "Globalisierung" sei Augenwischerei, führte McNamara aus. Kapital und Dritte Welt stünden in einer Reihe gegen die überbezahlten Kräfte des Westens. Überschuldung der armen Länder? Reines Geschwätz! Bereits heute seien diese Länder weitgehend aus dem üblichen Schuldendienst entlassen, ohne daß sich das positiv auf die Lebensverhältnisse bei ihnen auswirkte. Die eingesparten Gelder würden nicht in Bildung und Gesundheitswesen investiert, sondern versickerten üblicherweise in ungeklärten Kanälen.

Was in dieser Perspektive an von der "Globalisierung" angerichteten Schäden in der Dritten Welt übrig bleibt, ist einzig der Preisverfall von dort traditionell hergestellten Gütern, besonders in der Landwirtschaft. So wie die überbezahlten Kräfte im Westen sind auch die traditionellen Güter der Dritten Welt nicht mehr konkurrenzfähig, werden von den maschinell hergestellten Massengütern an die Wand gedrückt, was zu dramatischen Verhebungen in der sozialen Struktur führt: rasante Landflucht, Anschwellen der Städte, in denen das internationale Kapital investiert, zu ungeheuerlichen Bevölkerungs-Agglomerationen, Häßlichkeit, Eintönigkeit, Gleichmacherei.

Globalisierung" bewirkt nicht materielle, sondern kulturelle Verelendung. Jeder Reisende merkt das, sobald er in eines jener Länder kommt, die nach Auskunft der "Globalisierungsgegner" am Hungertuch nagen. Was man statt dessen sieht, sobald man sich ein bißchen über die üblichen Touristenpfade hinauswagt, sind grelle Szenen der Überbevölkerung und des aus allen Nähten platzenden, völlig ungezügelten Lebens. Das frißt und heckt und trickst und sucht seinen Augenblicksvorteil wie in einem wildwuchernden Pflanzengeschlinge in irgendeinem Versuchslaboratorium. Alles wirkt künstlich, aber keineswegs absterbend, vielmehr unnatürlich aufgedunsen und überdüngt.

Hunger, erbarmungswürdige lebende Skelette, aufgeblähte Kinderbäuche gibt es nur in Dürre- oder (häufiger) in Bürgerkriegsgebieten, die keineswegs vom Kapital und nicht einmal vom Westen insgesamt gemacht, sondern eindeutig auf autochthonem Mist gewachsen sind. Und das gilt selbstverständlich auch für die von Aids geschlagenen Gegenden. Der Westen tritt dort nicht als Verursacher in Erscheinung, sondern als Helfer, der kostenlos Medikamente abgibt und sich verzweifelt um den Aufbau wirksamer Logistiken und effektiver Verteilungs-Organisation bemüht.

Unabweisbar erhebt sich die Frage nach dem Sinn und der Berechtigung westlichen Eingreifens. Selbst noch die pure, eindeutig selbstlose Hilfe, so bemerkt man bald, schlägt nur allzu oft in Unheil um, bringt die gewachsenen und vielfach beglaubigten örtlichen Hierarchien in Unordnung, blamiert die heimatlichen Götter und Autoritäten, kitzelt Eigennutz und Vordrängelei hoch, begünstigt kriminelle Banden und üble Machenschaften.

Und was beim Helfen und Belehren passiert, passiert natürlich in noch viel verheerenderem Ausmaß beim Kapital-Investieren und "Arbeitsplätzeschaffen". Die westliche Chip-Fabrik wird zum Konkurrenztempel, zum Gegentempel; wer in ihn hineingeht, hat Vorteil, zumindest kurzfristigen, die Botschaft, die ihm beigebracht wird, lautet einfach: Geld ist der höchste Gott, Gewinnmachen die einzig religiöse Handlung, der Mensch ist nichts weiter als ein Konsumtier, und wer daran zweifelt, der ist "unmodern", der "paßt nicht mehr in die Zeit".

Vielleicht ist dies die größte Kalamität der "Globalisierung": die Vermischung der von Kultur zu Kultur differierenden Zeitebenen, der Zeit-Kolonialismus. Was an dem einen Ende in Jahrhunderten gewachsen ist und sich gelassen in vielfältigster Weise amalgamieren konnte, das wird am anderen als zeitloses "Modell" rechten Lebens hingestellt und vorexekutiert. Ist es da ein Wunder, wenn sich nur die gröbsten, banalsten und urtümlichsten Triebe anpassen und entfalten können, das Mitnehmen und Übervorteilen, der "Wille zur Macht" in Reinkultur?

Wenn Robert McNamara den "Globalisierungsgegnern" treuherzig versichert, daß die "Globalisierung" doch nicht der Dritten Welt, sondern der Ersten Welt schade, so könnte er damit in für ihn wohl unerwarteter Weise recht behalten. Die Völker der Dritten Welt, von dem die Zeit ignorierenden Kapital hart gemacht, schicken sich an, den gleichzeitig vom Kapital (und von den "Globalisierungsgegnern") weich gemachten, durch Gleichheits-Rhetorik irritierten Westen zu erobern und zu unterwerfen.

Aggression mit technischen Waffen wäre dazu gar nicht nötig, es genügte (wenn nur der Wille zur Macht vorhanden ist) das Kinderkriegen und schweigsame Sichausbreiten und Sich-auf-Rechte-Berufen, befördert durch ein bißchen Bombenschmeißen und sonstigen Terror hier und da und das ständige, dem Westen seine Schuld vorhaltende Plärren der "Globalisierungsgegner".

Besser würde die Welt dadurch nicht, eher im Gegenteil. Aber es könnte sein, daß à la longue jener Antrieb ausgeräumt würde, der die ganze Bewegung erst in Schwung gebracht hat: das Kapital, eine westliche, calvinistisch-jüdische Errungenschaft, über die außerhalb des Westens höchstens noch die Chinesen verfügen.


 
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