© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/01 27. Juli / 03. August 2001

 
Medien: Stuckrad-Barre ist beleidigt und verklagt erfolgreich das Satire-Magazin "Titanic"
Mörder des guten Geschmacks
Ellen Kositza

Vergangenen Herbst, zur Zeit der Frankfurter Buchmesse sollte Kiepenheuer & Witsch-Autor Benjamin von Stuckrad-Barre eine Lesung in der Eschersheimer "Batschkapp" halten; ich hatte dort Pressekarten geordert, die dann aber, wie sich herausstellte, an der Abendkasse nicht auslagen. Das wußte ich noch nicht, als ich mit einem sehr kurzhaarigen Bekannten den KiWi-Stand in der Messehalle aufsuchte, um die Uhrzeit der abendlichen Veranstaltung zu erfragen. Anstelle einer adäquaten Antwort musterte die Dame vom Verlag meinen Begleiter, sagte spöttisch etwas wie "Na, Sie Schelm" und grinste frech. Drum fanden wir uns eine Stunde zu früh bei der Batschkapp ein, hundert hübschgemachte Mädchen belagerten den Eingang, wichen unter "oh" und "ah"-Rufen jedoch bereitwillig zur Seite, als wir unseren erfolglosen Gang zur Kasse antraten. Karten für uns gab es also keine, wir bestellten uns dann nebenan eine Pizza, das Warten überbrückte mein Begleiter mit einer zunächst beschämt abgewehrten Autogrammstunde.

"Dein Benny" trug er in die mitgebrachten Bücher teils blutjunger, teils schon heftig gealterter Damen ein. Mit dem Hinweis, "ich besorg euch einen Backstage-Stempel" und einem Augenzwinkern kam mein Stuckrad-Barre-Double sehr schnell dann doch noch zu zwei Freikarten für uns.

Diese Geschichte könnte als Satire durchgehen, sie ist aber wahr. So überraschend ist sie letztlich nicht: Sind wir nicht alle ein bißchen Stuckrad-Barre? Der gewitzte Jungspund, 26jähriger Wahl-Berliner, fungiert in seinen skizzenartigen Tagebüchern und Romanen als Zeuge, Darsteller und Produkt der "Generation Ich", führt autobiographisch sein Leben zwischen Liebe, Musik, Eßstörungen und Koks vor, schnodderig-entblößende Fremdbeobachtungen eingeschlossen: der Prototyp des Pop-Schriftstellers. Die literarische eins-zu-eins-Bespiegelung eines jungfrechen Jedermannlebens, durch schnörkellose Intimität und ein sezierendes Auge nur vage ironisch gebrochen. Sex, Drugs & Rock´n Roll, so eben lebt sich es heute wie gestern, auch wenn Herr Jedermann die Reichen-Droge sich nicht leisten kann und für Sex mit schönen Frauen Bares aufbieten muß.

Stuckrad-Barres Bücher wie "Soloalbum" und "Blackbox" standen auf den Bestsellerlisten, die Literaturkritik mag ihn nicht; da schreibe einer nur über sich, dies ohne Distanz, arrogant noch dazu. Die üblichen Beanstandungen – allein das online-Archiv der Welt weist 54 Einträge in den drei Jahren von Stuckrad-Barres Popularität auf – entbehren jedoch selten eines gewissen Ressentiments. Wer von den gnadenlosen Kritikastern wäre nicht gern auch attraktiv, schlagfertig und wahnsinnig erfolgreich?

Zurück zum Leben als schönes Allerweltsgesicht: Daß der Nachwuchsliterat mit der Dreimillimeterfrisur leicht zu verwechseln ist, fanden auch die Spaßmacher von der Titanic. In der Mai- und der Juliausgabe des Frankfurter Satiremagazins waren vermeintliche Anzeigen als Werbung für Lesungen des Popstars geschaltet, die in der Jugendvollzugsanstalt Cottbus stattfinden sollten. Abgebildet jedoch waren beim ersten Mal "Ulrike-Mörder" Stefan Jahn, im Juli dann der Oklahoma-Attentäter Timothy McVeigh. Weil letzterer bekanntlich den Giftspritzentod erleiden mußte, prangte dann auch ein "Abgesagt"-Balken über dem unteren Teil der Anzeige. Diesen Spaß wollte Stuckrad-Barre, ehemaliger Witzeschreiber für Harald Schmidt, nicht verstehen, gerichtlich ließ er Vertrieb und Verkauf der aktuellen Titanic-Ausgabe bei Androhung einer 500.000 Mark -Strafe untersagen. Gleichzeitig wurden Strafanzeige und Schmerzensgeldforderung angekündigt. Der Star ist pikiert, und das ist wieder witzig. Nicht nur, daß der Anwalt des Künstlers auf den Namen "Scherz" hört, auch liest sich Stuckrad-Barres Presseerklärung beinahe als Gag: Ein Gespräch mit Titanic-Chef Martin Sonneborn, heißt es, scheiterte, weil dieser damit "drohte", den Fall, also die verschnupften Anstrengungen des Literaten, publik zu machen. Der adlige Jungkünstler dazu wörtlich.: "Von derartigen Erpressungsversuchen unbeirrt, war ich gehalten, beim Landgericht Berlin ein entsprechendes gerichtliches Verbot durchzusetzen". Und noch weiter geht die Neue Empfindsamkeit des lässigen Lästermauls: "Unabhängig vom Ausgang des Falles" wird er 10.000 Mark der Opfervereinigung Dunkelziffer e.V. spenden. Nicht nur das mutet ungewohnt artig an, der ganze Auftritt des habituell hämisch höhnenden Popstars – dessen Betrachtungen um die Antipoden Coolness/Peinlichkeit zu kreisen pflegen – als beleidigte Leberwurst irritiert. Wie die Titanic ihrerseits auf der Webseite verkündet, stellt sich der eingeschnappte Autor mit seiner Klage in die Reihe mit unter anderem der katholischen Kirche (sieben Anzeigen), Thomas Anders, Helmut Markwort und McDonalds. Die Zahl derer, die nicht klagten, ist dagegen freilich unermeßlich hoch, pinkeln Gsella, Schmitt, Sonneborn & Co. doch durch die Bank weg und tatsächlich ungeachtet von Stand, Hautfarbe und Religion jede Person des öffentlichen Lebens an, die es in ihren Augen verdient. Lieblingslachnummer derzeit ist der als "Fotzenfritz" verhöhnte Friedrich Merz. Satire kann und darf bekanntlich ja alles, muß vermutlich auch.

Das Sommertheater um die inkriminierte Anzeige spielten die Männer von der Titanic noch weiter, indem sie, nachdem der Eklat vergangene Woche bereits eskaliert war, auf der letzten taz-Seite großflächig dafür warben, ihre aktuelle Nummer nicht zu kaufen. Für Titanic-Rechtsberaterin Gabriele Rittig ist die Sachlage klar: Natürlich sollte mit der McVeigh-Annonce nicht der Eindruck erweckt werden, Stuckrad-Barre sei hingerichtet worden, vielmehr wollte man auf die allseitige Medienpräsenz des Popstars anspielen. Und die taz-Anzeige sei ja deutlich ein Aufruf gegen den Kauf der Titanic …

Eine Satire der Satire also, oder: so führt sich die Pop-Kultur ad absurdum.

Die öffentliche Erregung, für die die Frankfurter Scherzkekse regelmäßig sorgen, bewirkt natürlich keine ernsthafte Diskussion über Moral, im Vordergrund und in den Schlagzeilen steht ja der empörte Kläger selbst zum einen, das Satireblatt zum anderen. Beiden ist einträgliche Publicity sicher. Und, wie definierte doch das sich aktuell so verletzt gebärdende enfant terrible selbst den Begriff "Pop", als dessen Inkarnation er gelten darf: "Der Tatbestand ‘Pop‘ ist für mich erfüllt, wenn ich auf etwas reinfalle. Wenn ich etwas glaube, was nicht stimmt." Nietzsche wiederum behauptete über die Wahrheit, sie werde durch Lachen dekonstruiert, mithin sei Lachen Ausdruck der Überlegenheit. Und was sagt uns das im Umkehrschluß über den greinenden Benny? Genau. Aber wer weiß, vielleicht sitzt gerade Martin Sonneborn in einer ruhigen Dorfkneipe irgendwo zwischen Berlin und Frankfurt an einem Tisch mit Benjamin von Stuckrad-Barre, um gemeinsam einen lustigen Text zu formulieren: Wie wir einmal das Sommerloch waren …


 
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