© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/01 27. Juli / 03. August 2001

 
Die Union braucht Unterstützung
von Hans Merkel

Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört. Mit die sen Worten Willy Brandts für die zu Ende gehende Teilung Deutschlands ist man heute nicht ohne Bitternis versucht, die immer intensiver sich gestaltende Zusammenarbeit von SPD und PDS zu kommentieren. Der erste aufsehenerregende Schritt in diese Richtung erfolgte 1994 in Sachsen-Anhalt, wo sich die SPD-Minderheitsregierung seither von der umbenannten SED stützen läßt. 1998 kam es dann in Mecklenburg-Vorpommern bereits zu einer Koalitionsregierung beider Parteien. Und in peinlicher kalendarischer Nähe zum 40. Jahrestag der Errichtung der Berliner Schandmauer stürzten schließlich SPD und Grüne im Verein mit der früheren Staatspartei der DDR den langjährigen CDU-Bürgermeister der deutschen Hauptstadt. Kann unter diesen Umständen wirklich noch jemand glauben, die SPD würde, wie sie in vergangener Zeit so häufig versicherte, vor einem Regierungsbündnis mit der PDS im Bund zurückschrecken? Sie wird es mindestens dann nicht, wenn sie allein dadurch an der Macht bleiben kann.

Niemand bilde sich ein, dieses Hoffähigmachen der PDS für den demokratischen Diskurs und damit auch für das Mitregieren in Deutschland entspringe ausschließlich taktischen Erwägungen der SPD. Hierfür spricht zwar die grundsatzlose Art des Schröderschen Politikmanagements, dessen Ziel es ist, die SPD als praktisch nach allen Seiten hin koalitionsfähig darzustellen. Doch liegt dieser SPD-PDS-Verbandelung durchaus mehr zugrunde. Es gibt in der deutschen Sozialdemokratie neben einer sozialpolitisch pragmatischen Richtung leider immer noch eine wesentlich marxistisch geprägte Traditionslinie, die die Partei immer wieder für den klassenkämpferisch fundierten und längst überholten Gedanken der "Einheit der Arbeiterklasse" anfällig sein läßt und damit gleichsam auf dumme Gedanken bringt. Nur so ist erklärlich, daß sich 1946 ein Teil der Sowjetzonen-SPD durchaus ungezwungen in die Fusion mit der Sowjetzonen-KPD begab und so die SED entstehen ließ. Nur so auch ist erklärlich, daß es 1987 ein gemeinsames Grundsatzpapier von SPD und SED geben konnte, das für den Wettbewerb der Systeme "das Prinzip der souveränen Gleichheit" festschrieb, wonach "keine Seite praktisch in Anspruch nehmen darf, was sie der anderen nicht zubilligt". Hier waren SPD und SED keine im Grundsätzlichen entzweiten Gegner mehr, sondern nur noch zwei in der Methode konkurrierende gleichwertige Brüder. Hierzu paßte auch der gängige Vorwurf der SPD, die Gegner ihrer Anerkennungspolitik gegenüber den Staaten des Ostblocks huldigten "primitivem Antikommunismus" – ein Vorwurf, der in seinem Solidarisierungscharakter zugunsten der geschworenen Feinde unserer freiheitlichen Lebensordnung nur allzu eindeutig war. Und hierzu paßte schließlich die auf Aufrechterhaltung der deutschen Teilung zielende Politik der SPD unter Lafontaine in den Jahren 1989/90.

Mit dieser von Schröderscher Taktik durchaus unabhängigen, weil ideologisch bedingten Verbundenheit von SPD und PDS läßt sich trefflich Koalitionspolitik machen. Die PDS, dieser Schlußstein im Gebäude sozialdemokratischer Bündnismöglichkeiten, steht für die SPD bereit, ob diese sie für parlamentarische Mehrheiten braucht oder nicht. Dies gebieten ihr die Dankbarkeit dem roten Bruder gegenüber, der ihr die Tür zum Kreis der demokratisch Etablierten geöffnet hat, aber auch nüchternes Kalkül, das sie, um das Publikum nicht zur Unzeit zu verschrecken, vor gierigem Greifen nach Machtbeteiligung warnt. Die SPD hingegen kann und wird, um möglichst lange ihre Attraktivität für Wähler der bürgerlichen Mitte zu behalten, mit der Dauerandrohung von weiteren Regierungsbündnissen mit der PDS bemüht bleiben, sich mit den Grünen, der FDP oder beiden willfährige Koalitionspartner zu sichern und nur im Notfall auf die PDS zurückzugreifen. Alles spricht dafür, daß sie mit diesem Konzept erfolgreich sein wird. Immerhin hat sie unterm Strich ausschließlich positive Koalitionserfahrungen gemacht: mit den Grünen ebenso wie mit der FDP, ja sogar mit der Union, und zwar auch dort, wo sie, wie unter Kanzler Kiesinger oder bis vor kurzem in der Hauptstadt, nur Juniorpartner war, jedoch jeweils stärker als die Union aus diesen Bündnissen hervorging. Unter diesen Umständen wird sie mit ihren dunkelroten Geistesverwandten ebenfalls zurechtkommen.

Während die SPD den Luxus genießt, alle Koalitionsoptionen zu haben, steht die Union praktisch mit leeren Händen da. Sich im Bund nochmals mit der SPD zu vermählen, käme dem politischen Selbstmord als Volkspartei gleich. Der Anspruch der Union, alle Schichten des Volkes zu vertreten und für deren Probleme die umfassende Lösungskompetenz zu haben, würde nach ihrem politischen Pfusch in der Endphase der Kohl-Ära und in Ansehung ihrer augenblicklich wenig überzeugenden Oppositionsarbeit keinen Glauben mehr finden. Am nächsten stünde der Union noch die FDP, doch diese ist nicht nur sachpolitisch unzuverlässig, wie ihr libertinistischer Flügel zeigt, sondern auch im Hinblick auf ihre zweifelhaften Aussichten, das parlamentarische Existenzminimum von fünf Prozent der Wählerstimmen zu erreichen. Da ein Paktieren mit der PDS, der ehemaligen Spalterpartei, für CDU und CSU, den Parteien der deutschen Einheit, sich von selbst verbietet, bliebe als Letztes nur noch ein schwarzgrünes Bündnis. Doch dieses würde der Union mit Sicherheit erhebliche Teile ihrer Stammwähler kosten. Zwar sehen manche Unionspolitiker wie Angela Merkel oder Wolfgang Schäuble in der grünen Partei wertkonservative Elemente und damit Positives im Sinn einer Partnerschaft, verkennen dabei aber offenbar, daß diese in einem Regierungsbündnis weit weniger zum Tragen kämen als die den Grünen eigene Technik-, Wirtschafts- und Wehrfeindlichkeit, durch die die Möglichkeiten der Union, gerade ihre wichtigsten politischen Vorstellungen durchzusetzen, schwer beeinträchtigt würden. Andere Divergenzen wie die Ausländerpolitik und die Einstellung zur Nation kämen hinzu. Man denke nur an einen Mann wie Umweltminister Trittin, der den von CDU-Generalsekretär Meyer in Anspruch genommenen Nationalstolz der Ideologie "rassistischer Schläger" zurechnete.

Unter den gegebenen Umständen erscheint eine Union, die im Bund greifbaren politischen Charakter wiedergewinnen will, koalitionspolitisch isoliert und damit für die nächsten Bundestagswahlen auf den Kampf um die absolute Mehrheit verwiesen. Die Chance, in diesem Kampf erfolgreich zu sein, ist indes gering. Nur ein einziges Mal in ihrer über 50jährigen Geschichte hat die Union die absolute Mehrheit erreicht. Das war 1957, als das Gespann Adenauer/Erhard 50,2 Prozent der Wählerstimmen einfuhr. Und nur zweimal noch war die Union jeweils unter Kohl wenigstens nahe dran: nämlich 1976 mit 48,6 Prozent und 1983, nachdem die SPD/FDP-Koalition nach 13 jähriger Regierungszeit an ihr totales Ende gekommen war, mit 48,8 Prozent. Doch nahe dran zu sein hilft gar nichts, wenn der Koalitionspartner fehlt. Das zeigte sich 1976, als die SPD von 45,8 auf 42,6 Prozent und die FDP von 8,2 auf 7,9 Prozent abgesunken war und beide Parteien dann gegen die CDU/CSU, die von 44,9 auf besagte 48,6 Prozent zugelegt hatte, eine formal zwar korrekte, jedoch materiell wählerwillenverfälschende "Koalition der Verlierer" eingingen.

Da die Union – so leid es manchen ihrer Streiter auch tun mag – gegen Deutschlands vereinigte Linke anzutreten hat, bräuchte sie einen potenten Partner von rechts – so wie ihn die ÖVP in der FPÖ gefunden hat. Ein solcher ist im Augenblick allerdings nicht in Sicht.

NPD und Republikaner kommen für eine solche Rolle nach durchaus positiven Ansätzen in ihrer jeweiligen Anfangsphase nicht mehr in Frage, weil sie längst in die braune Ecke entweder hineingedrängte oder auch nur hineingeredete Splitterparteien geworden sind. Jetzt rächt sich eben die jahrzehntelange Politik der Union, rechts von sich keinerlei parteipolitischen Aufwuchs, der Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, zugelassen zu haben. Für die CSU war dieses Verhalten nicht unverständlich, denn sie erzielte bei allen Bundestagswahlen seit 1957 jeweils zwischen 51 und 60 Prozent der Wählerstimmen. Sie schöpfte damit das rechte Wählerpotential weitgehend aus und trug damit ganz entscheidend zum jeweiligen Ergebnis der Gesamtunion bei. Insofern war der Spruch von Strauß, rechts neben der CSU dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben, mindestens insoweit richtig, als es zu seiner Zeit in Bayern keiner solchen Partei bedurfte.

Für die CDU allerdings hätte angesichts ihrer stets wesentlich geringeren Erfolge immer anderes gelten müssen. Strauß hatte das erkannt. Als es in den siebziger Jahren im Deutschen Bundestag außer der Union nur die gleichsam zum Block verschweißten Regierungsparteien SPD und FDP gab, wies der CSU-Vorsitzende gar nicht oft genug auf die Notwendigkeit einer "vierten Partei" hin. Ihm war klar, daß diese Partei eine Rechtspartei hätte sein müssen: entweder die CSU selbst und dann eben bundesweit oder eine eigenständige Neugründung außerhalb Bayerns nach Art der früheren Deutschen Partei. Doch nach der Liquidierung von Kreuth 1976 unternahm Strauß nichts mehr, um das deutsche Parteienkartell für eine zusätzliche Rechtspartei aufzubrechen.

Eine bislang letzte Chance, eine neue Partei des rechten Spektrums dauerhaft zu etablieren, hatte sich in der Zeit der Wiedervereinigung von West- und Mitteldeutschland dadurch ergeben, daß es ursprünglich zweifelhaft war, ob in den "neuen" Ländern die CDU – weil dort belastet durch ihre Vergangenheit als Blockpartei – reüssieren könnte. So kam es unter der Schirmherrschaft der CSU zur Gründung der DSU, ohne daß die West-CDU hiergegen Einwendungen erhob. Wie sich die DSU hätte entwickeln können, kann dahingestellt bleiben, denn sie ist heute praktisch nicht mehr existent. Wahrscheinlich hat ihr bereits ihr Eintritt in die "Allianz für Deutschland", in der sie sich 1990 zusammen mit der Ost-CDU und dem Demokratischen Aufbruch den Wahlen zu den Landtagen und zum Bundestag stellte, den Hals gebrochen. Mangelnde Bemutterung durch die CSU mag ihr dann den Rest gegeben haben. Hätte Strauß zur Zeit der Wiedervereinigung noch gelebt, wäre der Weg der DSU möglicherweise ein anderer gewesen.

Was ist nun die Lehre aus der mißlichen Lage der Union? Sie heißt: Aufkeimende Pflänzchen rechts von der Union nicht gleich mit aller Macht zertreten, sondern sprießen lassen, und vor allem in der politischen Auseinandersetzung mit neuen Gewächsen, die natürlich zulässig ist, fair bleiben und nicht sofort mit der Kanone des Verfassungsschutzes schießen, wie es die Republikaner erleiden mußten, die lediglich die "Wadlbeißer" der Union hatten sein wollen. Für Verfassungsfeindlichkeit und daraus gefolgertem Rechtsextremismus muß mehr vorliegen als ein anderes Zeitgeschichtsbild oder eine kritische Einstellung zu den Ergebnissen der von der Union durchaus mitzuverantwortenden Ausländerpolitik der letzten Jahre. Doch nur allzuoft sind es befremdlicherweise nur diese beiden Komplexe, mit denen die Verfassungsfeindlichkeit bestimmter Personen und Gruppen begründet wird – etwa nach dem verqueren Motto: Wer sich um die europäische Identität unseres Volkes sorgt, wünscht sich auch das Grundgesetz in den Orkus.

Die Lehre, rechten Aufwuchs zu dulden, gilt heute auch für die CSU, denn sie hat in der Zeit, als sie unter Kanzler Kohl im Bund mitregierte, auch mitgesündigt, was ihr von einem Teil ihrer Stammwähler noch heute verübelt wird. Man denke an überzeugte Christen, die die Fristenlösung auf Beratungsschein nicht hinnehmen wollen. Oder an Heimatvertriebene, die sich wegen der die Geschichte auf den Kopf stellenden deutschtschechischen "Schlußstrich- Erklärung", ja ganz allgemein dadurch verraten fühlen, daß schon die Kohl-Regierung erklärte, Erweiterungsverhandlungen betreffend die EU nicht mit ihren fortbestehenden Rechten auf Heimat und Eigentum belasten zu wollen. Dann gibt es die in der Sowjetzone zwischen 1945 und 1949 entschädigungslos enteigneten Grundeigentümer, denen durch Machtspruch, an dem die CSU sogar in besonderer Weise beteiligt war, die Wiedereinsetzung in ihr Eigentum versagt wurde. Nicht zu vergessen sind ferner alte Wehrmachtsoldaten und Soldaten der Bundeswehr, die sich bereits durch die unter Unionsführung erfolgte Denaturierung des militärischen Traditionsverständnisses, aber auch dadurch schwer getroffen fühlen mußten, daß eine verleumderische Anti-Wehrmachtsausstellung jahrelang unbeanstandet durchs Land tingeln durfte.

Schließlich gibt es noch die betont patriotisch eingestellten Bürger, die ganz generell eine stärker an den deutschen Nationalinteressen ausgerichtete Politik anmahnen. Sie kritisieren ökonomische Fehlentscheidungen wie die verfrühte Abschaffung der Deutschen Mark aber auch schicksalhafte Unterlassungen wie den jahrelangen Verzicht auf eine auf mehr Kinderfreundlichkeit zielende Familienpolitik. Zu ihren Kritikpunkten zählt ferner eine Ausländerpolitik, die über viele Jahre hin Unterschichtenzuwanderung aus fremdesten Kulturgebieten in solcher Masse zugelassen hat, daß die heute erwogenen Integrationsprogramme kaum noch greifen dürften. Und sie kritisieren die Mutlosigkeit einer Politik, die sich nicht gegen den skandalösen Zustand zu erheben wagt, daß fast 60 Jahre nach dem Untergang des Nationalsozialismus wirkungsmächtige Meinungsführer immer noch so tun, als ob die Deutschen im Weltvergleich ein besonders verruchtes Volk seien, dem es gleichsehe, jederzeit wieder so schrecklich aus dem Ruder zu laufen wie in der Hitlerzeit. Dieser zutiefst rassistisch motivierte Antigermanismus, dem die deutsche Linke das Deckmäntelchen des Antifaschismus umgehängt hat, ist ungerecht, weil er das erfolgreiche Mühen der Nachkriegsdeutschen um Wiedergutmachung, um eine stabile rechtsstaatliche Demokratie und um die Friedlichkeit und die Wohlfahrt der Welt in den Wind schlägt; und er ist schädlich, weil er den Weg der Deutschen zurück zur Normalität und damit zu ihrer Wiedergesundung als Nation ganz erheblich behindert.

All die Menschen, die in diesem Sinne Kritik üben, sind gewiß keine Minderheit. Sie könnten, wenn ihre Anliegen aufgenommen würden, Wahlen entscheiden. Doch sie fühlen sich zum großen Teil in keiner der Unionsparteien noch zuverlässig vertreten. Heiner Geißler meinte zwar einmal, Menschen dieser Webart wählten sowieso Union. Dies ist jedoch nicht der Fall. Diese Menschen werden zwar nicht links wählen, aber in der Wahlenthaltung sehen sie allemal eine Alternative, wenn es keine rechte Ausweichpartei gibt. Deshalb nochmals die Lehre für beide Unionsparteien: Macht nicht rechts von euch ein weiteres Mal das, was entstehen will, kaputt. Neugründungen haben es in Anbetracht des bei uns herrschenden linksgeprägten Meinungsklimas schwer genug. Seid fair, auch wenn es für die nächste Wahl noch nichts bringt. Politik muß auch das Längerfristige im Auge haben.

 

Finanzminister Theo Waigel und DSU-Vorsitzender Hans-Wilhelm Ebeling am 24. Januar 1990 bei der Deutschlandkundgebung der CSU in Hof: "Hätte Strauß zur Zeit der Wiedervereinigung noch gelebt, wäre der Weg der DSU möglicherweise ein anderer gewesen."

 

Dr. jur. Hans Merkel, Ministerialdirigent a.D., arbeitete im Verteidigungsministerium und war zehn Jahre für die CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag tätig (u.a. als Referent für Außen-, Deutschland- und Verteidigungspolitik). Bis 1999 war er in der Bundestagsverwaltung beschäftigt, zuletzt als Leiter des Präsi-dialbüros. Nach der Wiedervereinigung war er erster Direktor des sächsischen Landtages.


 
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