© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/01 27. Juli / 03. August 2001

 
"Es war kein Bürgerkrieg"
Interview: Der Soziologe und Politiker Miroslav Tudjman über Kroatien, die EU und das Haager Tribunal
Carl Gustaf Ströhm

Miroslav Tudjman ist Träger eines bekannten Namens: Sein Vater war Franjo Tudjman, der Ende 1999 verstorbene erste Präsident und Staatsgründer des souveränen Kroatien. Aber der Soziologieprofessor ist keineswegs nur der Sohn eines prominenten Vaters, sondern als Wissenschaftler wie als Politiker eine eigenständige Persönlichkeit. Ab Juli 1999 war er für einige Monate Chef des kroatischen Geheimdienstes HIS. Er ist nicht Mitglied der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft ("Tudjman-Partei" HDZ), sondern gemeinsam mit Gesinnungsfreunden gründete er die "Vereinigung für Kroatische Identität und Prosperität", von der es heißt, sie werde sich an den kommenden Parlamentswahlen beteiligen. Bei den jüngsten Lokalwahlen erzielte Miroslav Tudjmans Namensliste in der Hauptstadt Zagreb aus dem Stand sieben Prozent der Stimmen. In der kroatischen Opposition spielt Tudjman junior eine nicht zu unterschätzende Rolle. Carl Gustaf Ströhm sprach mit ihm anläßlich der Krise um die geplante Auslieferung kroatischer Generale an des Haager Kriegsverbrechertribunal.

Herr Tudjman, was stört Sie an der Anklage des Haager Kriegsverbrechertribunals gegen zwei – demnächst wohl 20 – Generale und Offiziere der kroatischen Armee?

Tudjman: Aus den Einzelheiten, die über die Anklage bekannt wurden, entnehmen wir, daß es in Kroatien einen Bürgerkrieg gegeben haben soll, daß ferner ein Genozid an der serbischen Bevölkerung begangen wurde und daß die "Serbische Krajina" angegriffen worden sei – so als handle es sich dabei um eine staatliche Entität. Das aber ist unannehmbar.

Ministerpräsident Ivica Racan hat aber empfohlen, die Haager Bedingungen zu akzeptieren.

Tudjman: Das spricht nur für seine Untertanen-Mentalität. Er zwingt der ganzen kroatischen Nation eine falsche Alternative auf – entweder "Europa", das sich in der Haager Anklägerin Carla del Ponte verkörpert, oder der Balkan. Die Tatsachen aber sprechen eine ganz andere Sprache: Es ist gerade die Politik der gegenwärtig regierenden Zagreber Linkskoalition, welche Kroatien auf den Balkan drängt, zu dem unser Volk nicht gehören will. Ich fordere Herrn Racan auf, den Entwurf des Assozierungsabkommens mit der EU zu veröffentlichen. Aus diesem Text ergibt sich, daß nicht ein individueller Beitritt Kroatiens zur EU vorgesehen ist, sondern daß das kollektiv vonstatten gehen soll – über den "West-Balkan". Die Frage lautet also: Sind wir Unterworfene – oder sind wir gleichberechtigt? Und es fragt sich auch, ob wir als freies Volk nach Europa gehen werden – oder belastet mit der Hypothek eines "Genozid-Volkes", das ethnische Säuberungen durchgeführt hat.

Es wird in Kroatien viel über die "planmäßige Kriminalisierung" des Vaterländischen Krieges 1991 bis 1995 gesprochen.

Tudjman: Es geht längst nicht mehr allein um die Kriminalisierung, sondern um etwas viel schwerwiegenderes: Es geht um die Veränderung des Charakters dieses Krieges und um ein Umschreiben der Geschichte. Die heutige kroatische Regierung hat zustandegebracht, daß über die Aggression, die gegen Kroatien verübt wurde, überhaupt nicht mehr gesprochen wird. Niemand spricht mehr von den Verbrechen, die von Vukovar über Skabrnje bis Dubrovnik an kroatischen Bürgern begangen wurden. Niemand spricht über die Verbrechen an den Kroaten in Bosnien-Herzegowina. Eine der Vorbedingungen dafür, daß Kroatien einer Zusammenarbeit mit dem internationalen Haager Tribunal zustimmte, war die Garantie der internationalen Gemeinschaft, daß wegen der während der Aggression an Kroaten begangenen Verbrechen Anklagen erhoben werden. Den Haag hat diesen Teil seiner internationalen Verpflichtungen nicht erfüllt. Den Haag ist heute partikularen Interessen in die Hände gefallen. Die internationale Gemeinschaft ist in ihren Standpunkten keineswegs kompakt. Sie manipuliert mit der Auswahl der Fälle, die sie jeweils bearbeitet. Ebenfalls wird vergessen, daß die Anklagebehörde nur eine Seite im Streit vor Gericht darstellt. Keinesfalls ist sie letzte Instanz.

Was hätten Sie anstelle der Zagreber Regierung anders gemacht?

Tudjman: Diese Regierung hat den Haager Untersuchungsbeamten unbegrenzte Vollmachten zugestanden, einzelne ehemalige und heutige kroatische Funktionäre ohne Anwesenheit von Anwälten zu verhören, welche die Interessen des kroatischen Staates schützen sollten. Auf ungesetzliche Weise wurden Den Haag Dokumente zugänglich gemacht. Dafür trägt diese Regierung die Verantwortung.

Serbien hat Milosevic an Den Haag ausgeliefert…

Tudjman: Das hat Ministerpräsident Zoran Djindjic getan – und die Serben wissen genau, was sie tun. Aber gerade die Auslieferung von Milosevic sollte Anlaß sein, daß die Regierung die Haager Bedingungen nicht annimmt. Denn das bedeutet doch, daß automatisch Parallelen zwischen Milosevic und dem Vaterländischen Krieg der Kroaten hergestellt werden. Das ist für ganz Kroatien unakzeptabel, nicht nur für einzelne Kriegsteilnehmer. Racan hat eine nationale Krise ausgelöst. Er hat die Sozialliberale Partei (HSLS) faktisch als Partei zerstört. Und wenn die Regierung sich aus einer Fünfer- in eine Viererkoalition verwandelt, dann heißt es, daß die verbraucht ist und sich ihrem Ende nähert.

Was schlagen Sie der kroatischen Öffentlichkeit vor?

Tudjman: Es geht um drei Forderungen. Erstens, das kroatische Parlament muß die Behauptung zurückweisen, daß es in Kroatien einen "Bürgerkrieg" gegeben hat, daß dieser Krieg gegen die "Krajina" geführt und dabei Genozid sowie ethnische Säuberung praktiziert wurden. Das Parlament wäre die richtige Instanz, diesem Wahnsinn ein Ende zubereiten. Ein zweiter Schritt wäre ein Referendum, in dem sich das Volk zu dieser Frage äußern könnte. Der dritte Schritt wäre, Freiheit für die Medien zu fordern. Wir haben heute in Kroatien so gut wie keine oppositionellen Medien. Wir haben überhaupt keine freien Medien, in denen man öffentlich und offen etwas sagen könnte. Verschiedene Manipulationen ermöglichen die Abschaffung einer demokratischen Institutionen nach der anderen.

Warum hat die frühere kroatische Regierung unter der HDZ – wie es heißt – begangene Kriegsverbrechen der Kroaten nicht selber verfolgt?

Tudjman: Das ist eine der großen Fälschungen des Ministerpräsidenten Racan, wenn er behauptet, der Rechtsstaat habe nichts getan um Straftaten zu verfolgen, welche während und nach der Befreiungsaktionen begangen wurden. Weder der Regierungschef noch irgendeines seiner Regierungsmitglieder hielt es für notwendig, auf die Tatsache hinzuweisen, daß es bis 1999 in dieser Sache 3.978 Strafanzeigen gegeben hat, daß von diesen bis 1999 2.900 Fälle abgeschlossen und 26 Personen rechtskräftig wegen Mordes verurteilt wurden, genau nach dem Prinzip der individuellen Schuld. Das heißt: das Rechtssystem Kroatiens hat damals einwandfrei funktioniert. Allerdings – die frühere Regierung Kroatiens war nicht mit der Forderung der internationalen Gemeinschaft einverstanden, wonach Kroatien und seine Justiz darauf verzichten solle, all jenen Personen den Prozeß zu machen, welche für Verbrechen an der kroatischen Bevölkerung verantwortlich waren. Es hieß, solch ein Vorgehen würde die Rückkehr der Serben behindern. Stattdessen wurde aber kroatischen Beschuldigten der Prozeß gemacht.

Der Westen, die EU und die Amerikaner drohen Kroatien mit Sanktionen, wenn es die Vorgaben nicht erfüllen sollte. Haben Sie keine Angst vor Sanktionen?

Tudjman: Die Drohungen und Einschüchterungen, wonach wir, wenn wir den Erpressungen nicht nachgeben, mit Sanktionen belegt werden, und daß unsere wirtschaftliche Situation dadurch noch schwieriger würde, als sie ohnedies schon ist, sind pure Erfindungen und Lügen. Erstens haben wir von der internationalen Gemeinschaft niemals irgendwelche Kredite erhalten, wir haben nur einen gewissen Geldbetrag erhalten, um die Rückkehr der geflohenen Serben zu ermöglichen. Das heißt: Wir bekommen von der internationalen Staatengemeinschaft keinerlei Benefizien, deren Entzug man uns androhen könnte. Zweitens ist das Kräfteverhältnis im UN-Sicherheitsrat so gelagert, daß es zu Sanktionen gar nicht kommen kann. Deshalb würde sich auch die wirtschaftliche Lage des Landes nicht verändern. Racan versteckt sich nur hinter solchen Floskeln, weil die Wirtschaftspolitik seiner Regierung katastrophal ist.

Wohin führt diese Politik?

Tudjman: Das alles führt uns in eine neue Balkan-Assoziation. Einesteils deshalb, weil die Regierung unfähig ist- und andererseits weil die EU keine Vision hat.

Gibt es überhaupt eine erkennbare EU-Politik gegenüber Kroatien?

Tudjman: Nur Leute, welche sich in der internationalen Szene nicht auskennen, können behaupten, daß die EU kompakt und einheitlich sei und daß es dort keine Unterschiede gäbe. Im Gegenteil, es gibt wesentliche Unterschiede – und es gibt maßgebliche EU-Politiker, die selber erklären, die EU habe keine Visionen für die Zukunft dieses Zusammenschlusses. Kroatien, ebenso wie andere Länder, die der EU beitreten wollen, könnte deshalb außerhalb dieser Integration bleiben – und zwar nicht deshalb, weil es die Bedingungen, welche die EU stellt, nicht erfüllen kann, sondern weil die EU eines Tages sagen könnte, sie wolle sich nicht mehr erweitern. Im übrigen, in der Politik gibt es weder ständige Freunde noch ständige Feinde. Es gibt nur eines: das, was wir als nationale Interessen bezeichnen.


 
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