© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/01 27. Juli / 03. August 2001

 
Ein schwacher Trost
Rentenreform: Meinhard Miegel über die Alterssicherung
(JF)

Alles spricht für eine allgemeine gleiche steuerfinanzierte Grundsicherung, die allen im Alter zusteht, die einen Großteil ihres Lebens in Deutschland verbracht haben: abhängig Beschäftigten und Selbständigen, Beamten und Richtern Abgeordneten und Hochschullehrern, aber auch nicht Erwerbstätige wie beispielsweise Müttern.

Alles spricht gegen eine bedarfsorientierte Grundrente, wie sie jetzt von der parlamentarischen Mehrheit des Bundestages beschlossen worden ist. Während nämlich bei Einführung einer allgemeinen Grundsicherung für alle ein verlässliches Fundament geschaffen würde, auf dem der Einzelne seine private Altersvorsorge aufbauen kann, erzeugt die bedarfsorientierte Grundrente erhebliche Anreize, nichts für eine angemessene Alterssicherung zu unternehmen. Praktisch gewendet sieht das so aus: Durchschnittliche Einkommensbezieher müssen rund 27 Jahre lang Beiträge entrichten, um einen Rentenanspruch in Höhe der bedarfsorientierten Grundsicherung zu erwerben. Nur was darüber hinaus geht, führt zu einer leistungsdifferenzierten Altersrente. Das wird viele, insbesondere Teilzeit- und geringfügig Beschäftigte fragen lassen, warum sie überhaupt die Mühen der Beitragszahlungen auf sich nehmen sollen. Denn am Ende des Erwerbslebens geht es nach der derzeitigen Gesetzeslage ohnehin zu wie im biblischen Weinberg: Wer möglicherweise hunderttausende von Beitragsmark an die gesetzliche Rentenversicherung abgeführt hat, wird faktisch nicht anders behandelt als der Nachbar, der es ein Leben lang gemütlich hat angehen lassen. Da ist es nur ein schwacher Trost, wenn dieser Nachbar weitgehend mittellos sein muß, um die Grundrente zu erhalten. Diesen Test wird nämlich aufgrund der starken Zunahme von Teilzeit- und geringfügig Beschäftigten ein Großteil der Erwerbsbevölkerung bestehen. Will die Bundesregierung im Bereich der Alterssicherung voranschreiten, muß sie die Bedarfsorientierung der Grundrente ersatzlos streichen. Das aber bedeutet ein völlig neues Alterssicherungssystem.

 

Prof. Meinhard Miegel, Jahrgang 1939, studierte Philosophie, Soziologie und Rechtswissenschaften in Washington D.C, Frankfurt/Main und Freiburg. Seit 1977 leitet er das Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik in Bonn-Bad Godesberg.


 
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