© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/01 27. Juli / 03. August 2001

 
"Experiment mit offenem Ausgang"
Der Klimaforscher Mojib Latif über das ausgedünnte Kyoto-Protokoll und die Bedrohung für das Weltklima im 21. Jahrhundert
Moritz Schwarz

Herr Latif, die Weltklimakonferenz in Bonn konnte zwar – mit Ausnahme der USA – noch zu einem gemeinsamen Abschluß gebracht werden, doch die Übereinkunft bleibt weit hinter den sowieso schon bescheidenen, in Kyoto angestrebten Zielen zurück. Droht uns jetzt der Klima-GAU?

Latif: Natürlich schmerzt sowohl der Ausstieg der USA, die immerhin für 25 Prozent des weltweiten Emmissionsvolumens am Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) verantwortlich sind, als auch das magere Ergebnis, das die übrigen Staaten jetzt in Bonn erzielt haben. Wichtig ist aber vor allem, daß wir den Prozeß damit überhaupt angefangen haben. Denn das bedeutet, ein Signal zu geben: Wir wollen Klimaschutz betreiben!

Das Protokoll bietet zahreiche Schlupflöcher, etwa die Verrechnung von Waldflächen (sogenannte "Senken") mit der Emission von CO2, oder den Handel mit Emmissionsrechten: Staaten können ihre Emissionsanteile verkaufen oder die Anteile anderer aufkaufen. Weil Kanada mehr Wald als Industrie hat, springen für den Ahorn-Staat zusätzliche fünf Prozent des kanadischen CO2-Emissionsvolumens heraus, die Ottawa entweder selbst zusätzlich in die Luft blasen oder aber frei verkaufen kann.

Latif: Hinsichtlich des Klimas ist es egal, mit welch verschlungenen Mitteln die Reduktion des weltweiten Gesamtausstoßes an CO2 erreicht wird. Politisch gesehen sind solche Regelungen aber sicherlich nicht "im Sinne des Erfinders". Hauptsache aber ist und bleibt, daß wir nun ein Abkommen haben. Denn wenn man es hat, dann kann man es auch Schritt für Schritt verschärfen.

Reichen nominell fünf Prozent (de facto nur noch 1,8 Prozent) weltweite Reduktion überhaupt, um das Weltklima zu stabilisieren?

Latif: Nein, das reicht natürlich nicht. Aber auch hier gilt: Es ist ein Anfang. Der Kyoto-Prozeß ist sicherlich noch kein Durchbruch, aber es kann der Wendepunkt sein.

Wenn fünf Prozent nicht reichen, wieviel müssen wir reduzieren, um das Weltklima zu retten?

Latif: In den nächsten fünfzig Jahren um fünfzig Prozent und binnen hundert Jahren müssen wir auf Null kommen. Das heißt, wir müssen uns bis 2100 vollständig von den fossilen Brennstoffen verabschieden und auf regenerative Energien umstellen.

Sie unterscheiden zwischen natürlichem und anthropogenem Treibhauseffekt?

Latif: Die Erde verdankt den Treibhausgasen die für das Leben nötige Temperatur. Sonnenlicht fällt durch die Atmosphäre ein und wird an der Erdoberfläche reflektiert. Das bringt zwar Erwärmung, doch nicht genug. Auf diese Weise hätten wir hier eine Durchschnittstemperatur von gerade mal minus 15 Grad Celsius. Die Treibhausgase hindern nun einen Teil der Wärme daran, in den Weltraum zu entweichen, die Atmosphäre heizt sich auf und es entstehen die für das Leben notwendigen Temperaturen von durchschnittlich plus 15 Grad. Das ist der natürliche Treibhauseffekt, den unsere Spezies zum Überleben braucht. Unter anthropogenem Treibhauseffekt versteht man die vom Menschen zusätlich erzeugte Erwärmung der Atmosphäre in Folge des industriellen Ausstoßes von vor allem CO2. Also jenen Teil des Treibhauseffektes, der unsere Spezies langfristrig bedroht.

Ist der Mensch wirklich verantwortlich für die Erwärmung des Erdklimas? Immer wieder führen Fachleute ins Feld, tatsächlich sei dies natürlichen Schwankungen des Erdklimas geschuldet.

Latif: Für solche Theorien gibt es von wissenschaftlicher Seite keinerlei Bestätigung. Das sind Außenseitermeinungen, die immer wieder in den Medien zu Wort kommen, in der wissenschaftlichen Diskussion aber keine Rolle spielen.

Vernachlässigt, so heißt es, würde etwa die Rolle der Sonne für die Klimaentwicklung.

Latif: Der Einfluß der Sonne auf das Klima beträgt etwa zwanzig Prozent. Natürlich berechnen wir diesen Faktor mit ein, doch er allein kann die enorme Veränderung nicht begründen, mit der wir es zu tun haben.

Exakte Klimaaufzeichnung gibt es erst seit gut hundert Jahren, und auch die Zeit in der der Menschen überhaupt Aufzeichnungen macht, ist aus "klimatischer" Sicht unbedeutend kurz. Woher wissen wir die Kenntnisse über das erdgeschichtliche Klima?

Latif: Indirekte Beobachtungen lassen uns das Klima auch vor Erscheinen des Menschen rekonstruieren, etwa Bohrproben aus dem ewigen Eis, Baumringe oder die Informationen stecken in den Sedimentschichten des Erdbodens. Wenn wir die Schwankungen des CO2-Gehaltes der Atmosphäre in den letzten 500.000 Jahren betrachten, so pendelte diese stets zwischen zweihundert und dreihundert ppm ("parts per million" = millionstel Volumenanteile). Jetzt messen wir plötzlich 370 ppm, und der Wert steigt weiter. Wir sind also bereits jenseits jener Werte, die die Natur als Schwankungsrahmen bisher vorgab. Wir haben es nicht mehr mit einer Schwankung, sondern mit einem Spitzenwert zu tun. Und wir werden ohne weiteres bei tausend ppm landen, wenn wir so weitermachen. Eine Erwärmung von drei bis vier Grad in den nächsten hundert Jahren wäre eine Temperaturerhöhung, wie es sie in den letzten Hunderttausenden von Jahren nicht gegeben hat!

Sogar das Magnetfeld der Erde ist im Laufe der Erdgeschichte mehrmals "umgestürzt", warum soll sich nicht auch das Klima "unbotmäßig" verhalten?

Latif: In den letzten zehntausend Jahren war das Klima extrem stabil – Voraussetzung für die Zivilisation. Ausgerechnet jetzt kommt eine solche Veränderung?

Worauf sind denn diese gegenteiligen Meinungen zurückzuführen. Vertreter dieser Thesen legen es doch nicht darauf an, sich lächerlich zu machen?

Latif: Über die Motive kann ich auch nur rätseln, in der Wissenschaft jedenfalls spielen diese Leute keine Rolle. Keine Fachzeitschrift würde ihre Thesen veröffentlichen, da sie unhaltbar sind, um nicht zu sagen abstrus. Diese Thesen halten keiner physikalischen Überprüfung stand. Doch anders als in den Wissenschaftszeitschriften, finden solche Leute in den Medien leider viel Aufmerksamkeit, weil ihre Thesen natürlich spektakulär
klingen.

Das heißt, es gibt in der Klimafrage gar keine Auseinandersetzung in der Wissenschaft?

Latif: Nein. Die gibt es nur in den Medien, die das aber gern so darstellen, als tobe die Auseinandersetzung in der Wissenschaft. Da steht etwas im Spiegel, das klingt für den Laien natürlich "wissenschaftlich" plausibel, da er es nicht wirklich beurteilen kann.

Was droht der Menschheit, wenn sie die Klimaveränderung noch weiter ignoriert?

Latif: Ein Problem ist natürlich auch die andere Seite: Sie kennen die dramatischen Szenarien, etwa New York versinke im Meer. So ist es nun – zumindest was die nächsten hundert Jahre angeht – auch nicht. Allerdings sind die Konsequenzen durchaus bedrohlich. So wird der Meeresspiegel bei zu erwartender Erwärmung um fünfzig bis achtzig Zentimeter steigen. Das reicht zwar nicht, um New York zu versenken, bedeutet aber dennoch eine gewisse Bedrohung für den ein oder anderen Küstenstrich, etwa Bangladesch. Das Innere der Kontinente dagegen trocknet weiter aus, da sich die Temperatur im Mittel erhöht. Milde Winter werden es Schädlingen ermöglichen, sich in höherem Maße zu vermehren. Die höhere Luftfeuchtigkeit wird sowohl die Sturmhäufigkeit wie auch die Intensität der Stürme erhöhen.

Welche Gefahren drohen uns konkret in Deutschland?

Latif: Die wärmere Luft kann mehr Wasser speichern, und damit sind die Energieumsätze stärker. Folge: Heftigere Stürme mit immer schwereren Verwüstungen, wie wir das bereits in Ansätzen erlebt haben, etwa der verheerende Sturm "Lothar" in Süddeutschland. Gleichzeitig drohen stärkere Niederschläge, das heißt mehr Hochwasser, das immer entsteht, wenn plötzlich mehr Regen fällt, als Wasser abfließen kann. Allerdings machen wir ein Experiment mit offenem Ausgang, denn niemand kann wirklich sagen, was da alles auf uns zu kommt.

Deutschland hat sich in Kyoto verpflichtet, seinen CO2-Ausstoß um 21 Prozent zu verringern, als freiwilliges nationales Ziel hat man sich sogar 25 Prozent gesteckt. Wer sind die Hauptverursacher, wo muß man einsparen?

Latif: Auf die Energieversorgung fallen etwa vierzig Prozent, auf den Verkehr weitere zwanzig. Daran erkennt man, wie wichtig es ist, weg von der zentralen Energieversorgung zu kommen. Wichtig sind kleine dezentrale Einheiten, die dem Standort angepaßt sind. Zum Beispiel Windmühlen in Schleswig-Holstein.

Welchen Anteil haben wir Verbraucher an der CO2-Emission?

Latif: Laut einer Studie kann allein durch das Ausschalten des Bereitschaftsbetriebs elektrischer Gräte im Haushalt – das sogenannte stand-by – und durch Abschalten nachts nicht benötigter Beleuchtung das Energieaufkommen zweier Atomkraftwerke gespart werden.

Der Düsseldorfer Umweltsoziologe Volker Kempf rechnete in einem Beitrag für diese Zeitung in der vergangenen Woche vor, daß massive Einsparungen bei jedem persönlich notwendig wären, um Deutschlands Soll zu erfüllen. Doch selbst solch freiwillig erbrachte Einsparungen würden kaum ausreichen, denn die Einsparungen bedeuten eingespartes Geld, das dann anderweitig, etwa für Konsumgüter, ausgegeben wird, deren Produktion auch klimabelastend ist. Gibt es einen Weg aus diesem Teufelskreis?

Latif: Natürlich ist entscheidend, wofür man durch Energiesparen eingespartes Geld wieder ausgibt. Deshalb ist es wichtig, daß wir zu echten Umweltpreisen kommen. Der Preis eines jeden Produktes muß also dessen Kosten für die Umwelt beinhalten.

Das heißt fünf Mark für den Liter Benzin?

Latif: Nicht kategorisch, aber insofern der Spritverbrauch Luxus darstellt, etwa weil ich ein großes Auto mit erhöhtem Verbrauch fahre, ja. Solch ein System ließe sich mit einer Tank-Chipkarte für jeden Autofahrer ohne weiteres einführen.

Bis 1999 hat die Bundesrepublik Deutschland laut Umweltbundesamt die CO2-Emission um 15,4 Prozent verringert. Seitdem allerdings hat es keinen Fortschritt mehr gegeben. Das Vertrags-Ziel von 21 Prozent bis 2005 scheint kaum noch erreichbar. Wenn man genau hinsieht, dann ist die bisherige Einsparung etwa der Stillegung ehemaliger DDR-Betriebe oder dem Umsteigen von Benzin-Autos auf zwar nicht klima- aber umweltbelastende Diesel-Fahrzeuge zu verdanken.

Latif: Im Moment bewegt sich in det Tat wenig in Deutschland. Nachdem es bis 1999 gut vorangegangen war, ist es derzeit vor allem die Entwicklung im Verkehr, die den Stillstand bewirkt. Der erhebliche Zuwachs des Verkehrs frißt alle Einsparungen wieder auf. Sowohl was den Güterverkehr, als auch was den Individualverkehr angeht, setzen wir derzeit die falschen Signale.

Demnach ist die Bundesregierung schuld, wenn wir unser Einsparvolumen nicht erreichen?

Latif: Es ist natürlich einfach, immer auf die Politiker einzuhauen. Tatsächlich können die Politiker nur das machen, was auch umsetzbar ist.

Sie sprachen eben selbst von "falschen Signalen". Wer, wenn nicht die Politiker, soll denn die richtigen setzen? Moralischer Maßstab für Politik ist doch, verantwortungsbewußte vor populären Entscheidungen zu treffen.

Latif: Erinnern Sie sich an das Geschrei um den Benzinpreis: Jeder ist zwar für Umweltschutz, aber wenn es an den eigenen Geldbeutel geht, ist das Geschrei groß. Das Problem ist, daß der Wandel im Bewußtsein der Bürger noch nicht vollzogen ist.

Aber wer soll diesen Prozeß einleiten? Die Grünen sind einst mit hehren Versprechungen an den Start gegangen, doch wann immer der Umweltschutz in Konflikt mit ihrer Beteiligung an der Macht geriet, entschieden sie sich für die Macht.

Latif: Ich hätte mir auch gewünscht, daß die Grünen mutiger gewesen wären, und ich glaube, daß es im Volk besser angekommen wäre, hätte man gesehen, wohin etwa die Einnahmen der Ökosteuer gehen – nämlich in den Umweltschutz. Dann wäre die Akzeptanz solcher Maßnahmen viel höher, als das jetzt der Fall ist.

Der Anteil der EU an den fünf Prozent, die weltweit eingespart werden sollen, beträgt acht Prozent. Diese acht Prozent sind allerdings nicht gerecht unter den EU-Mitgliedsstaaten veteilt. Statt dessen trägt Deutschland drei Viertel des EU-Gesamtvolumens!

Latif: Das wirkt in der Tat zunächst ungerecht, ist aber letztlich nur eine Fortführung der Strategie der Kohl-Regierung, Deutschland solle eine Vorreiterrolle übernehmen. Schließlich ist es notwendig, daß sich jemand zum Vorreiter macht, damit der Prozeß in Gang kommt. Langfristig allerdings werden wir von diesem scheinbaren Nachteil profitieren, weil wir so entschlossener als andere Staaten alternative Technologien entwickeln, die später einmal zu Exportschlagern werden. In der Windkraft sind uns solche Erfolge schon gelungen, und mit der Sonnenenergie wird es genauso kommen. Über den Kyoto-Prozeß werden wir die Klimafrage letztlich nicht lösen. Gelöst wird das Problem eines Tages, weil Länder – und ich hoffe, Deutschland wird dazugehören – sich einen technologischen Fortschritt verschaffen, der ihnen einen beneidenswerten Vorsprung bringt, der andere Länder veranlaßt zu versuchen aufzuholen. Wahrscheinlich wird allein dieser öko-technologische Wettbewerb die Probleme der Zukunft lösen, und Kyoto war dafür der Startschuß.

 

Dr. Mojib Latif

Klimaforscher am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg.1954 in der Hansestadt geboren, studierte er dort Meteorologie und promovierte in Ozeanographie. Seit 1983 forscht er am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie. 1993 bis 1998 gab er die US-Wissenschaftszeitschrift Monthly Weather Review heraus, seit 1999 das Journal of Climate. 1989 war er Vertreter der Bundesrepublik Deutschland beim internationalen TOGA-Projekt, das sich der Erforschung der Meere widmet. Latif ist der Sprecher seines Instituts sowie des Klima-Rechenzentrums in Hamburg.

 

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