© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/01 27. Juli / 03. August 2001


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Modernisierung
Karl Heinzen

Obwohl Bernard Bertossa sein Amt als Genfer Generalstaatsanwalt dem Votum der Bürger verdankt, scheint er weniger dem Wohl seiner Stadt als einer fixen Rechtsidee verpflichtet zu sein. Unlängst sorgte er mit einem internationalen Haftbefehl dafür, daß der ehemalige Verwaltungschef des Kreml zeitweise einsitzen mußte, und bewirkte damit nicht bloß internationale Verwicklungen, sondern auch eine massive Imageeinbuße Genfs im Schweizer Standortwettbewerb um die russische Mafia. Nun meint er sogar suggerieren zu dürfen, daß es in der Bundesrepublik Deutschland politische Entscheidungen gebe, die auf eine für manche Bürger unter Umständen enttäuschende Art und Weise zustande kämen. Seine Unterstellung stützt sich auf "Hunderte von Dokumenten", die von ihm zusammengetragen wurden, um den Weg jener 80 Millionen Mark nachzuzeichnen, die dem französischen Konzern Elf-Aquitaine seine flankierenden Bemühungen um den Erwerb der Leuna-Raffinerie wert waren.

An diesen Akten scheinen jedoch deutsche Ermittlungsbehörden bislang kein Interesse zu haben. Und das ist gut so: Es mag ja sein, daß im politischen Geschäft unterdessen auch bei uns Methoden üblich sind, die man bislang nur in alten bürgerlichen Demokratien wie Frankreich oder Belgien kannte. In Deutschland ist diese Tradition aber noch zu jung, um von der Öffentlichkeit erwarten zu dürfen, daß sie die Obrigkeit als bestechlich voraussetzt. Sind Medien, da sie im Wettbewerb stehen, oft nur schwer zu disziplinieren, so ist doch immerhin die Justiz bislang noch konstruktiv genug, um abzuwägen, wann eine Rechtsdurchsetzung ihr Ziel, den Erhalt unserer tatsächlichen Ordnung, verfehlen würde.

Es gibt jedoch auch ermutigende Anzeichen dafür, daß die Menschen in unserem Land realistischere Maßstäbe dafür entwickeln, was sie anderen Menschen, und wären diese auch in Amt und Würden, zutrauen dürfen. Die Privatwirtschaft hat hier unterdessen Maßstäbe gesetzt, denen die öffentliche Verwaltung kaum noch nachzukommen vermag. Be-stechungsgelder und vergleichbare Annehmlichkeiten sind Einflußgrößen, die in der Entscheidungsfindung mehr und mehr Beachtung erfahren. Mögen sie auch immer noch die Ausnahme sein, so sind sie doch durchaus systemkonform: Wer als Arbeitnehmer unternehmerisch denkt, sollte stets genau so loyal sein, daß der eigene Profit über einen bestimmten Zeitraum maximiert ist. Im Normalfall hat er also die Interessen seines Arbeitgebers voranzustellen. Angebote, die er nicht ausschlagen kann, ohne sich der Selbstvergessenheit bezichtigen zu müssen, sollte er jedoch annehmen, weil er damit zwar seinem Unternehmen materiellen Schaden zufügt, zugleich aber die gemeinsame Arbeitsgrundlage individueller Nutzen-orientierung stärkt. Es mag sein, daß diese Selbstverständlichkeiten im immer noch öffentlichen Sektor schwieriger zu vermitteln sind. Die Modernisierung unseres Staates wird aber helfen, auch dieses Defizit abzustellen.


 
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