© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/01 20. Juli 2001

 
Pankraz,
Ramón Llul und der Computer von Mallorca

Urlaubstip für an spruchsvolle Mallorca- Reisende, vor allem Computerfreaks, die nicht nur in der Sonne liegen und ihr Bier trinken wollen: Sich einmal auf die Spuren des größten Mallorquiners setzen, der je gelebt hat und der schon vor siebenhundertfünfzig Jahren so etwas wie einen Computer, die erste Rechenmaschine des Abendlands, konstruierte. Ramón Llul hieß der Mann (mit drei l, zwei vor, eines hinter dem u) und war ein Originalgenie allererster Klasse, dem auf die Schliche zu kommen eine Wonne wäre.

Man kann sich in Palma mit den Herausgebern seiner Werke unterhalten und in die "lullische Kunst" einweihen lassen, man kann aber auch in Puig de Randa die Ruinen der Klosterzellen besichtigen, in denen sich "Raimundus Lullus" (so die lateinische Fassung seines Namens) kasteite und geißelte. Llul war ein Gesellschaftslöwe und ein großer Einsamer in einem, ein unduldsamer religiöser Eiferer und ein superliberaler Toleranzprediger, ein ernster Mann der Wissenschaft und ein lyrischer Windbeutel, der alle zum Lachen oder zum Weinen brachte.

Geboren wurde er auf der Insel wohl zwischen 1230 und 1235, gestorben ist er daselbst um 1315, war also ein Zeitgenosse der großen Scholastiker, von denen ihn jedoch keiner für voll nahm. Sie hielten ihn für eine Art Narr, und er selbst hat dem weitgehend beigepflichtet. "Jo son Ramón lo foll", "Ich bin Raimund, der Narr", so stellte er sich vor, und wahrscheinlich ist er tatsächlich, zumindest eine Weile, Hofnarr des spanischen Königs Jakob I. gewesen, von diesem durchaus als Freund und Kampfgefährte behandelt.

Später wurde er "Seneschall", also Gouverneur, von Mallorca und widmete sich vor allem der friedlichen Bekehrung der damals noch weitgehend islamischen Bevölkerung des Archipels. Er lernte Arabisch, schrieb auch Arabisch, man erzählt, daß er bei seiner Bekehrungsarbeit einige Male von den Muslimen festgesetzt und am Ende auch von ihnen erschlagen worden sei.

V on ihm ist eine riesige Masse lateinischer, aber auch schon spanischer, genauer: katalanischer, Texte erhalten, während die angeblich ebenso umfangreichen arabischen Schriften alle verloren sind. Von den erhaltenen sind immer noch viele ungedruckt, verharren also in ihrem Urzustand als Mönchsschrift auf Gazellenhaut. Nicht nur in Palma, sondern auch in Mainz wird an einer lateinischen Gesamtausgabe gearbeitet; auf deutsch ist nichts von Llul zu haben, was Pankraz für eine Fatalität hält.

Ramón war nicht nur in seinem heimatlichen Katalanisch ein großer Wortschöpfer, sondern auch im Lateinischen, was solche scholastischen Meister wie Albertus Magnus furchtbar ärgerte. Die Scholastik definierte den Menschen ja als animal rationale, als "vernünftiges Tier". Lullus hingegen prägte das Wort animal homificans, also "das Menschen machende Tier". Das war vielleicht keine elegante, jedoch eine äußerst realistische Wendung.

Die Vernunft, wußte Lullus, ist nicht unbedingt naturgegeben, sie muß erarbeitet werden. Und weiter kalkulierte er: Durch "vernünftige Argumente" läßt sich kaum jemand überzeugen, wohl aber durch bildhafte Zeichenkombinationen. So konstruierte er einen Apparat, der aus einem System konzentrischer, gegeneinander bewegbarer Ringe bestand. Auf jedem Ring waren bestimmte Gruppen von Einzelbegriffen, kreisförmig in Segmenten, aufgezeichnet, und durch die Verschiebung der Ringe ergaben sich nun alle möglichen Kombinationen zwischen den Begriffen der diversen Gruppen, von denen Lullus hoffte, daß sie nicht nur die Heiden überzeugen, sondern sogar neuartige, bisher noch nicht entdeckte Wahrheiten und Erfindungen aufzeigen würden.

Die Hoffnung erfüllte sich nicht, doch immerhin brachte diese "lullische Kunst" zum ersten Mal einige wichtige Ideen höchst folgenreich miteinander in Verbindung. Vor allem war da die Idee, daß man die Logik vom menschlichen Geist vollkommen loslösen und als eine sinnliche Naturtatsache behandeln, kurz, daß man den menschlichen Geist durch eine Maschine ersetzen könne, die die logischen Schlüsse nicht nur schneller, sondern auch präziser als unser eigenes Denken herbeiführen könne, wenn man ihr nur ein kluges Programm aus Axiomen und Regeln eingebe.

Zweitens war da die Idee, daß eine Lösung durch aus nicht immer eine Gleichung, sondern manchmal auch eine Ungleichung sein könne, etwas, das sich nicht ins simpel Errechenbare einordnet, sondern dieses in Richtung auf Novität übersteigt. Ramóns Apparat war keine bloße Rechenmaschine, sondern ausdrücklich eine ars inveniendi, ein Erfindungs-Apparat. Insofern ging er über die späteren Maschinen der Pascal und Leibniz weit hinaus.

Diese haben die Begriffsgruppen Ramóns ersetzt durch das binäre Zahlensystem mit den Ziffern Eins und Null (die Null war zu Lullus’ Zeiten gerade erfunden worden), und sie haben damit erst wirklich den Grund für die moderne Computertechnik gelegt. Die Operationen wurden nun schnell und immer schneller. Aber die Hoffnung auf Erfindungen, auf qualitatives Ausgreifen in echtes Neuland mittels maschineller Mechanik, wurde verabschiedet. Und dabei ist es bis heute geblieben.

Daß Computer jemals qualitativ mehr werden herauskriegen können, als man vorher in sie hineingesteckt hat, ist auch heute noch eine Utopie – und wird es wohl bleiben. Alle kalifornischen Träume vom Computer-Roboter als einem maschinellen animal homificans sind umsonst geträumt, alle diesbezüglichen großmäuligen Ankündigungen verhallen im Nichts.

Allenfalls könnte es passieren, daß Mallorca-Urlauber beim Stöbern in den Lullus-Sanktuarien von Palma und Puig de Randa eines Tages ein altes Gazellenhaut-Manuskript finden, auf dem uns "Ramón lo foll", der alte Narr, doch noch erhellenden Zauberspruch überliefert. Wahrscheinlich ist das freilich nicht.


 
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